Mindestlohn: Laut des italienischen Kassationsgerichtshofs hat eventuell über den einschlägigen Tarifvertrag hinausgegangen zu werden

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veröffentlicht am 15. November 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Der Kassationsgerichthof (Italien: „Corte di Cassazione“) hat in seinem Urteil Nr. 27711 vom 2. Oktober 2023 (eines von insgesamt sechs Urteilen des Obersten Gerichtshofs im selben Monat) die Wichtigkeit des Rechts auf eine angemessene und ausreichende Vergütung erneut bekräftigt.

 
  
Dies wurde durch die Beachtung von Artikel 36 der Verfassung und die Bekräftigung der Bedeutung des Kollektivvertragsrechts vorgenommen. Dennoch ist dies nicht immer ausreichend. In diesem Zusammenhang weist der Kassationsgerichtshofs auf die Lösung für die Mindestlöhne hin, die sich als zu niedrig erweisen: Hier hat man sich an den nationalen Tarifverträgen verwandter Sektoren oder gegebenenfalls an anderen Referenzwerten zu orientieren, um die Mindestlöhne neu zu formulieren und zu versuchen, akzeptable Schwellenwerte zu erreichen.

Das Thema Mindestlohn steht seit Monaten im Fokus einer großen Debatte über dessen Nützlichkeit und die möglichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Auch in der Rechtsprechung gewinnt diese Thematik immer mehr an Aufmerksamkeit.

Der Kassationsgerichtshof hat mit seinem Urteil Nr. 27711 vom 2. Oktober 2023 die Entscheidung des Richters im Berufungsverfahren gekippt. In der zweiten Instanz hat das Berufungsgericht nämlich die Klage des Arbeitnehmers mit der Begründung abgewiesen, dass die betreffende Genossenschaft für ihre Arbeitnehmer unzweifelhaft den nationalen Tarifvertrag für private Sicherheits- und Treuhanddienste (Italien: „CCNL Vigilanza Privata e Servizi Fiduciari“) angewandt habe, der für ihren Tätigkeitsbereich gelte und von den repräsentativsten Gewerkschaften auf nationaler Ebene abgeschlossen wurde.

Es wurde hier nur darauf abgestellt, dass Arbeitsverhältnisse, die durch sektorspezifische Tarifverträge geregelt sind und von den repräsentativsten Gewerkschaften auf nationaler Ebene unterzeichnet wurden, von der Bewertung der Konformität gemäß Artikel 36 der Verfassung ausgenommen werden. 

Der Kassationsgerichtshof bekräftigte in seinem Urteil die Ansicht, dass zur Ermittlung der gerechten und ausreichenden Entlohnung, die bereits in Artikel 36 der italienischen Verfassung vorgesehen ist, diese auf der Grundlage der Bestimmungen des von den repräsentativsten Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifvertrages überprüft werden muss. Doch das ist nicht alles. Der Kassationsgerichtshof spulte nämlich zurück und argumentierte, dass das eigentliche Problem dadurch entstehe, wenn der nationale Tarifvertrag selbst zu niedrige Mindestlöhne festlegt.

In einem solchen Fall hat der Richter, laut Kassationsgerichtshof, die in anderen Tarifverträgen in ähnlichen Sektoren vorgesehenen wirtschaftlichen Behandlungen zu bewerten oder wiederum andere Kriterien herzuziehen: also die wirtschaftlichen und statistischen Indikatoren, die zur Messung der Armutsschwelle herangezogen werden, wie zum Beispiel den ISTAT-Index, die Uniemens-Daten zur Berechnung des Durchschnittslohns, die Höhe des Arbeitslosengelds (Italien: „NASPI“) oder der Kurzarbeit-Entschädigungen bei einer Aussetzung der Arbeitstätigkeit.

Das Urteil vom 2. Oktober ist Teil eines Bündels von Urteilen: Im Detail gibt es fünf weitere Urteile, alle mit gleichartigen Begründungen (Italien: „Cass. civ., Sez. lav., 2/10/2023, no. 27713; Cass. civ, Sez. lav., 2/10/2023, Nr. 27769; Cass. Civ., Sez. lav., 10/10/2023, Nr. 28320; Cass. Civ., Sez. lav., 10/10/2023, Nr. 28321; Cass. Civ., Sez. lav., 10/10/2023, Nr. 28323“). Außerdem folgte auch das Gericht von Bari mit seinem jüngsten Urteil Nr. 2720/2023 vom 13. Oktober der Orientierung des Kassationsgerichtshofs. In allen Fällen wurde der Arbeitgeber verurteilt und musste daher einen abweichenden Lohn gewähren und die entsprechenden aufgelaufenen Gehaltsdifferenzen zahlen.

Folglich kann man deshalb sicherlich von einer drastischen und schnellen Zunahme von Rechtsstreitigkeiten zum Thema Entlohnung sprechen. Dies führt als unmittelbare Konsequenz zur erneuten Aufnahme und Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen betreffend Mindestlöhne, die bereits in der vorherigen Legislaturperiode vorgeschlagen wurden.

Auch der CNEL (Italien: „Consiglio nazionale dell'economia e del lavoro“, Italienischer Nationaler Wirtschafts- und Arbeitsrat) hat sich kürzlich dazu geäußert. So wurde am 12. Oktober das Schlussdokument über „erwerbstätige Arme“ und den Mindestlohn mehrheitlich angenommen. Darin wird die Idee eines gesetzlichen Mindestlohns mit der Begründung abgelehnt, dass seine Einführung das Problem der sog. „Armut trotz Erwerbstätigkeit“ nicht lösen würde. 

Eine umfassende Debatte, die sich in Zukunft sicherlich wechselseitig beeinflussen wird, mit einer voraussichtlichen Vielzahl von, möglicherweise auch durch Sammelklagen, eingeleiteten Rechtsstreitigkeiten. 
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