Das Einmaleins der Schadensquantifizierung: Rolle und Vorgehen eines Gutachters

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zuletzt aktualisiert am 4. Mai 2021 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Neben der juristischen Vorbereitung gilt es bei gerichtlichen und außergerichtlichen Konflikten (Litigation & Arbitration) häufig auch, den entstandenen Schaden zu quantifizieren. Das kann auch dann nötig sein, wenn man sich einer überzogenen Schadensersatzforderung gegenüber sieht und sie auf eine angemessene Höhe reduzieren möchte. Was ist bei der Beauftragung eines Gutachters zu beachten und welche Rollen kann er dabei einnehmen? Wie geht ein Gutachter bei der Schadensermittlung vor?

 

 

      

Ob Schieds- oder Parteigutachter – Unabhängigkeit zählt

Unabhängig von der Ursache eines Konflikts gilt es zunächst, das Gutachterteam auszuwählen und dessen Rolle zu bestimmen. Aufgrund der Vielfältigkeit von Schadensursachen und -wirkungen ist es ratsam, ein inter­disziplinäres Team aufzustellen, dass neben der juristischen und finanzwirtschaftlichen Expertise weitere erforderliche Kompetenzen umfasst: Je nach Aufgabenstellung sollten Branchen- und Industrie­experten ebenso einbezogen werden wie Sachverständige in besonderen technischen Bereichen oder für Spezialthemen wie versicherungsmathematische Gutachten. Da ein Schaden häufig unerwartet eintritt und Auswirkungen in der Vergangenheit hatte bzw. in der Zukunft haben wird, sind zudem IT-, Controlling- und Forensik-Experten einzubeziehen, die Daten aus den Informationssystemen des Unternehmens gewinnen und aufbereiten können. Nur so kann der Schaden ganzheitlich ermittelt und die erforderliche Dokumen­tation geschaffen werden, um vor einem (Schieds-)Gericht zu überzeugen.

 

Ein Gutachter kann prinzipiell für eine der involvierten Parteien als Parteigutachter oder als Schiedsgut­achter im Auftrag des (Schieds-)Gerichts tätig werden. Gleich welche Rolle er wahrnimmt, hat der Gutachter stets unabhängig zu agieren und einen auf objektiven Annahmen beruhenden und für Dritte nachvollziehbaren Schadensersatz zu ermitteln. Auch wenn es dabei häufig einen gewissen gutachter­lichen Ermessensspielraum gibt, sollte ein Parteigutachter nicht durch subjektive Annahmen zu sehr für seinen Auftraggeber Partei ergreifen. Er riskiert sonst seine Glaubwürdigkeit vor den (Schieds-)Richtern und könnte dadurch sein gesamtes Gutachten entkräften.

   

Die Beauftragung eines Parteigutachters ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die geschädigte Partei ein Verfahren vorbereiten möchte, bevor der Gegenseite die Streiteröffnung verkündet wurde. Auf Basis des ermittelten Schadensersatzes kann dann auch abgewogen werden, ob die erwartete Kompensation im Verhältnis zu dem mit einem Verfahren verbundenen Aufwand steht. Die Stellungnahme eines Parteigut­achters zur Schadenshöhe bei Streiteröffnung hat aber meist zur Folge, dass die Gegenseite dann zur Verteidigung ihrerseits ebenfalls einen Parteigutachter beauftragt. Ein Schiedsgutachter ist häufig dann vorzuziehen, wenn die juristische Auseinandersetzung bereits begonnen hat oder schon so weit fortgeschritten ist, dass lediglich die Höhe des Schadensersatzes offen ist. Zudem wird ein Schieds­gutachter – dann jedoch insbesondere auf Betreiben des (Schieds-) Gerichts – eingesetzt, wenn Parteigutachter zu diametral anderen Ergebnissen gelangt sind.

 

Der Rahmen jeder Schadensermittlung orientiert sich an der juristischen Ausgangslage

Bei einer Schadensermittlung hat ein Gutachter als erste Aufgabe Hand in Hand mit den juristischen Beratern die Anspruchsgrundlage zu ermitteln. Ein Schadensersatz kann z.B. aufgrund einer Schutzpflicht­verletzung (§280 Abs. 1 BGB) oder aufgrund der Verzögerung einer Leistung (§§ 280 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 286 BGB) begründet sein. Aber er kann auch unabhängig von gesetzlichen Normen aus einer Schiedsklausel resultieren, die z.B. in einer gesellschaftsrechtlichen Vereinbarung für das Ausscheiden eines Gesellschafters oder im Rahmen einer M&A-Transaktion im Unternehmenskaufvertrag vereinbart wurde.

 

Direkte und indirekte Schäden

Durch den ermittelten Schaden ist die geschädigte Partei in einen hypothetisch schadensfreien Zustand zu versetzen. D.h., die Schadenshöhe entspricht einer vollständigen Kompensation des Schadens, der auf das schädigende Verhalten des Schadensverursachers zurückzuführen ist. Der hypothetisch schadensfreie Zustand wird ermittelt, indem analysiert wird, wie viele Erträge der geschädigten Partei aufgrund des Schadens entgangen sind.    

Die Erträge können direkt aus dem Schaden ableitbar sein, z.B. wenn vertraglich garantierte Abnahme­mengen nicht eingehalten wurden und somit Umsatz verloren gegangen ist oder eine verspätete Lieferung von Komponenten dazu führt, dass eigene Produkte nicht termingerecht geliefert werden können und dafür Strafgebühren angefallen sind.    
 

Es gibt aber auch indirekte Folgen wie bspw. der Verlust von Marktanteilen. Er kann aus einem Produkt­rückruf durch eine defekte technische Komponente eines Zulieferers resultieren, der das Image des Unternehmens geschädigt und so zu einem Einbruch der Absatzmengen auch bei nicht betroffenen Produkten geführt hat. Die Schwierigkeit in solchen Situationen liegt in der Erfordernis, die Auswirkungen der Schadensursache umfassend zu identifizieren, während sichergestellt wird, dass nur vernünftig messbare Auswirkungen erfasst werden, die in einem direkten Kausalzusammenhang mit der Schadens­ursache stehen.

 

„But for”-Analyse zur Quantifizierung des Schadens

Der Schaden wird dann im Rahmen einer sog. „But for”-Analyse aus dem Vergleich zweier Situationen abgeleitet: Dem tatsächlichen Verlauf der Ertragslage einerseits und einer hypothetischen Ertragsent­wick­lung, wie sie ohne das Schadensereignis eingetreten wäre. Die für das fiktive Szenario zu treffenden Annahmen sind dabei durch externe, unabhängige Daten zu belegen. So ist, um bei dem o.g. Beispiel eines Produktrückrufs zu bleiben, die Entwicklung des Absatzmarktes insgesamt, des Marktanteils vor, während und nach dem Rückruf, die branchenüblichen Gewinnmargen, aber auch die durch den Absatz einer geringeren Stückzahl ausgelösten Kosten zu analysieren. Solche Kosten können bspw. im Zusammenhang mit einer schlechteren Auslastung der Produktionsanlagen oder der dadurch erforderlichen Freisetzung von Mitarbeitern entstehen. Die Schadens­höhe ermittelt sich dann aus dem Vergleich der tatsächlichen Ertragslage, die den Schadensfall repräsentiert, und der fiktiven Ertragslage, die ohne Schadensfall eingetreten wäre.

 

Eine überzeugende Dokumentation ist die halbe Miete

Neben der eigentlichen Quantifizierung der Schadenshöhe ist es mindestens genauso wichtig, die Vor­gehens­weise sowie die getroffenen Annahmen zu dokumentieren und in einem schlüssigen, gut nach­voll­ziehbaren und überzeugenden Gutachten darzustellen. In o.g. Fall des Produktrückrufs ist es bspw. essentiell, den Kausal­zusammen­hang zwischen dem technischen Defekt einer Komponente, dem Rückruf und dem Absatzrückgang (auch bei anderen Produkten) herzustellen, sowie die Auswirkung auf den Ruf des Unternehmens und die Implikation für das Absatzvolumen vor, während und nach dem Produktrückruf darzustellen.

 

Ganz gleich, wodurch ein Schaden verursacht wurde und welcher Weg zur Beilegung des Konflikts einge­schlagen wird, ist die Schadensermittlung sorgfältig durchzuführen und zu dokumentieren. Zudem sollte man nicht der Versuchung erliegen, einen überzogenen Schadensersatz zu fordern. Auch wenn die Gegenseite in den meisten Fällen versuchen wird, die Schadensermittlung zu entkräften, so wird am Ende die Seite Gehör finden, die ihre Schadensermittlung am besten substantiieren kann.

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