Erbschaftsteuerliche Freibeträge bei beschränkter Steuerpflicht nun EU-konform?

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veröffentlicht am 15. November 2017

von Christian Hackethal


Mit Wirkung ab dem 25. Juni 2017 wurde der Freibetrag für beschränkt Steuerpflichtige im deutschen Erbschaftsteuerrecht modifiziert (§ 16 Abs. 2 ErbStG) (Steuerumgehungs­bekämpfungs­gesetz v. 23. Juni 2017, „StUmgBG”, BGBl. I 2017, S. 1682). Nach neuem Recht wird in Fällen beschränkter Steuerpflicht der entsprechende Freibetrag für unbeschränkt Steuerpflichtige um einen „Teilbetrag” gemindert (§ 16 Abs. 2 Satz 1 ErbStG). In Fällen unbeschränkter Steuerpflicht gelten unverändert  relativ hohe, steuerklassenabhängig gestaffelte Freibeträge von 20.000 Euro bis 500.000 Euro (§ 16 Abs. 1 ErbStG).

 

Nach dem neuen Recht kommt bei beschränkter Steuerpflicht der in Abhängigkeit von der Steuerklasse einschlägige Freibetrag des § 16 Abs. 1 ErbStG um einen „Teilbetrag” gemindert zur Anwendung. Der relevante „Teilbetrag” ist – vereinfacht gesagt – derjenige Teil des Freibetrages der in demselben Verhältnis zum vollen Freibetrag des § 16 Abs. 1 ErbStG steht wie der in Deutschland nicht steuerpflichtige Teil des Gesamterwerbs zu dem Gesamterwerb, der von dieser Person innerhalb von 10 Jahren angefallen ist (§ 16 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Frühere Erwerbe sind mit ihrem früheren Wert anzusetzen (§ 16 Abs. 2 Satz 3 ErbStG).

  

Bisher sah das deutsche Erbschaftsteuergesetz vor, dass in Fällen beschränkter Steuerpflicht nur ein einheitlicher (steuerklassenunabhängiger) Freibetrag in Höhe von lediglich 2.000 Euro zur Anwendung kam (§ 16 Abs. 2 ErbStG a.F.). Sachgrund dafür sollte sein, dass in Fällen beschränkter Steuerpflicht allein das Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG besteuert wird, bei unbeschränkter Steuerpflicht hingegen der gesamte weltweite Vermögensanfall. Unbeschränkte Steuerpflicht besteht, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer ein Inländer ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).

  

Die unterschiedliche Höhe des Freibetrages in Fällen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht hatte der EuGH zunächst in Bezug auf EU/EWR-Sachverhalte für europarechtswidrig erklärt (EuGH Urteil vom 22. April 2010, Az. C-510/08, „Mattner”). In einer weiteren Rechtssache sah er die Regelung des § 16 Abs. 2 ErbStG dann auch in Bezug auf Drittstaatensachverhalte als europarechtswidrig an, da sie gegen die auch jenseits des Binnenmarktes wirkende Kapitalverkehrsfreiheit verstoße (EuGH v. 17. Oktober 2013, Az. C-181/12, „Welte”).

  

Das durch den deutschen Gesetzgeber als Reaktion auf das Urteil in der Rechtssache „Mattner” statuierte Recht des Erwerbers (§ 2 Abs. 3 ErbStG a.F.), von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht zu optieren, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer seinen Wohnsitz in einem EU/EWR-Mitgliedstaat hat, wurde nunmehr durch das StUmgBG vom 23. Juni 2017 wieder ersatzlos gestrichen, nachdem der EuGH es ebenfalls für europarechtswidrig erklärt hatte (EuGH Urteil v. 8. Juni 2016, Az. C-479/14, „Hünnebeck”).

  

Wenn alle relevanten Personen (Erwerber und Erblasser bzw. Schenker) ihren Wohnsitz in Drittstaaten hatten, war der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 ErbStG a.F. nicht eröffnet und der Erwerber konnte auf der Grundlage des Urteils des EuGH in der Rs. „Welte” den nach der jeweiligen Steuerklasse ein­schlägigen höheren Freibetrag des § 16 Abs. 1 ErbStG für sich beanspruchen. Eines Antrags nach § 2 Abs. 3 ErbStG bedurfte es insoweit nicht, sodass eine Ausdehnung der Steuerbemessungsgrundlage nicht in Kauf genommen werden musste.
 

Die Rechtslage gilt aufgrund des Urteils des EuGH in der Rechtssache Hünnebeck gleichermaßen auch für Fälle beschränkter Steuerpflicht, in denen der Erwerber und/oder der Erblasser bzw. Schenker seinen Wohnsitz in einem EU/EWR-Mitgliedsstaat hatte. Auch hier ist in allen noch offenen Fällen, für die die Steuer spätestens bis zum 24. Juni 2017 entstanden ist, der nach der Steuerklasse einschlägige Freibetrag des § 16 Abs. 1 ErbStG zu gewähren, ohne dass es zu einer Ausdehnung der Steuerbemessungsgrundlage über das Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG hinaus kommt.

  

Für die von der deutschen Finanzverwaltung in solchen Fällen vertretene nur anteilige Gewährung des Freibetrages nach dem Verhältnis des steuerpflichtigen Erwerbs zum Gesamterwerb fehlte die Rechtsgrundlage (so BFH Urteil v. 10. Mai 2017, Az. II R 53/14).

  

Nunmehr hat es der Gesetzgeber im Rahmen des StUmgBG unternommen, diese Rechtsgrundlage zu schaffen (§ 16 Abs. 2 ErbStG n.F.).

  

Gleichwohl darf bezweifelt werden, dass damit das Schlusswort zum Thema „erbschaftsteuerliche Freibe­träge bei beschränkter Steuerpflicht” gesprochen ist.

  

Zum einen verlangt der Vollzug der Neuregelung äußerst weitgehende Aufklärung von bis zu 10 Jahren in der Vergangenheit und außerhalb des Geltungsbereiches des Erbschaftsteuergesetzes und der Abgaben­ordung liegender Sachverhalte. Es ist fraglich, ob die entsprechenden Mitwirkungspflichten der Steuer­pflichtigen bestehen, die den Gesetzesvollzug in der gebotenen Gleichmäßigkeit überhaupt erst ermö­glichen. Die erweiterte Mitwirkungspflicht bei Auslandsachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO), insbesondere das damit einhergehende Gebot der Beweisvorsorge, setzt den Status als „Beteiligter” voraus. Der besteht aber regelmäßig nicht während des Zeitraums von zehn Jahren vor dem steuerpflichtigen Erwerb, der für die Berechnung des Teilbetrages gem. § 16 Abs. 2 ErbStG n.F. relevant sein soll. In den meisten Fällen werden Erwerber mit Fug und Recht anführen können, dass sie nicht ansatzweise haben ahnen können, dass sie einmal zu solchen Angaben gegenüber dem deutschen Fiskus verpflichtet sein würden.

  

Selbst wenn man eine entsprechende Mitwirkungspflicht in internationalen Erbschafts- bzw. Schenkungs­steuerfällen grundsätzlich bejahen will, stellt sich die Frage ihrer Durchsetzbarkeit und der Nachprüfbarkeit der erfolgten Angaben. Die ist für das durch das Bundesverfassungsgericht statuierte Gebot gleichmäßigen Gesetzesvollzuges von zentraler Bedeutung (BVerfG v. 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 unter C.I.1. lit. d) und C.I.2. sowie BVerfG v. 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 unter C.II.1.). Ein strukturelles Vollzugsdefizit zieht die Verfassungswidrigkeit der Steuern aufgrund Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach sich.

  

In dem Zusammenhang ist überraschend, dass der Gesetzgeber – ebenfalls durch das StUmgBG – zwar die Gewährung des besonderen Versorgungsfreibetrages nach § 17 Abs. 1 oder Abs. 2 ErbStG in Fällen beschränkter Erbschaftsteuerpflicht davon abhängig gemacht hat, dass durch die Staaten, in denen der Erblasser ansässig war oder der Erwerber ansässig ist, Amtshilfe geleistet wird (§ 17 Abs. 3 Satz 1 ErbStG) auf eine ähnliche Bedingung im Rahmen des § 16 Abs. 2 ErbStG jedoch verzichtet.
 

Da das bloße Vertrauen auf die Angaben eines in der Bundesrepublik Deutschland nicht ansässigen Erwerbers oft „blauäugig” sein dürfte, spricht viel für ein strukturelles Vollzugsdefizit im Rahmen des § 16 Abs. 2 ErbStG und damit für die Verfassungswidrigkeit der Rechtsnorm.

  

Zudem wirft die Neuregelung auch zahlreiche materiell-rechtliche Fragen auf, insbesondere soweit bei der Definition des „Teilbetrages” i.S.d. § 16 Abs. 2 Satz 2 ErbStG von „Werten” spricht. Ist insoweit der „gemeine Wert” i.S.d. § 11 Abs. 2 BewG, ein etwaiger Bedarfswert i.S.d. §§ 138 ff. BewG oder ein nach Abzug von Bewertungsabschlägen für begünstigtes Vermögen i.S.d. §§ 13a, 13b ErbStG unter den dafür geltenden Voraussetzungen anzusetzender erbschaftsteuerlicher Wert maßgebend?

 

Fazit

Rechtzeitige Beratung ist in einschlägigen Fällen gerade angesichts der Neuregelung durch das StUmgBG unbedingt geboten. Da durch frühzeitige Gestaltungsmaßnahmen Steuerbelastungen häufig deutlich reduziert oder gar gänzlich vermieden werden können, sollten sie geprüft und ggf. umgesetzt werden, sobald sich ein entsprechender Sachverhalt auch nur abzeichnet.

 

Jedenfalls ist in allen noch offenen Fällen beschränkter Erbschaftsteuerpflicht, für die die Steuer spätes­tens am 24. Juni 2017 entstanden ist, der Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 ErbStG ohne Ausdehnung der Steuerbemessungsgrundlage über das Inlandsvermögen i.S.d. § 121 BewG zu beanspruchen anstatt nur desjenigen nach § 16 Abs. 2 ErbStG a.F.

  

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Elke Volland

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Steuerrecht

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