Keine unentgeltliche Wertabgabe des Organträgers bei entgeltlichen Leistungen für den hoheitlichen Bereich im umsatzsteuerlichen Organkreis? Ja, aber...!

PrintMailRate-it

veröffentlicht am 30. März 2023

 

Nach Auffassung des EuGH (Urteil vom 01.12.2022) fallen bei Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft mit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) die von einer Organgesellschaft erbrachten entgeltlichen Leistungen an den hoheitlichen Bereich des Organträgers nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 Buchstabe b der sechsten Richtlinie 77/388/EWG und können somit im Ergebnis keine steuerbaren unentgeltlichen Wertabgaben gemäß § 3 Abs. 9a UStG darstellen.

 

Für eine „Entwarnung” ist es dennoch zu früh, da der BFH im selben Verfahren ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gestellt hat, was möglicherweise dazu führen könnte, dass die Innenumsätze zwischen den Mitgliedern einer USt-Organschaft künftig insgesamt als steuerbar behandelt werden müssen, und damit möglicherweise auch die Leistungen an den hoheitlichen Bereich.

 

In einem vom Finanzgericht Niedersachsen mit Urteil vom 16.10.2019 entschiedenen Sachverhalt wurden im Rahmen einer bestehenden umsatzsteuerlichen Organschaft von einer 100%igen Tochtergesellschaft Servicedienstleistungen gegen Entgelt an den Organträger, eine Stiftung des öffentlichen Rechts, erbracht. Erwartungsgemäß kam das Finanzgericht nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Ergebnis, dass es sich insoweit um nicht (umsatz-) steuerbare Innenumsätze handelt. Die Organschaft beschränke sich nach dem Finanzgericht nicht auf den unternehmerischen Bereich, so dass es für die Einordnung als nichtsteuerbare Innenumsätze nicht darauf ankommt, wie ein Organträger die von der Organgesellschaft bezogenen Leistungen verwendet, insbesondere ob diese Leistungen unternehmerischen oder nichtunternehmerischen Zwecken dienen.


Ungeklärt war jedoch bis dahin, ob die Verwendung der Leistungen für den hoheitlichen Bereich eines öffentlich-rechtlichen Organträgers möglicherweise zu einer steuerbaren unentgeltlichen Wertabgabe beim Organträger führt.

 

Nach § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG wird die unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb seines Unternehmens liegen, oder für den privaten Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen, einer sonstigen Leistung gegen Entgelt gleichgestellt.

 

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), der der Bundesfinanzhof (BFH) und auch die Finanzverwaltung weitestgehend gefolgt sind, werden folgende drei Tätigkeitsbereiche (Sphären) unterschieden (vgl. UStAE 2.3 Abs. 1a zu § 2 UStG).

 

  • Sphäre 1: wirtschaftliche = unternehmerische Tätigkeit
  • Sphäre 2: nichtwirtschaftliche Tätigkeit im engeren Sinn = unternehmensnahe Tätigkeit
  • Sphäre 3: nichtwirtschaftliche, unternehmensfremde Tätigkeiten = private Tätigkeiten

 

Unter der Sphäre 2 werden diejenigen Tätigkeiten erfasst, die nicht auf die Erbringung einer Leistung gegen Entgelt abzielen (also keine (steuerbare) wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Sphäre 1 sind), gleichwohl aber Tätigkeitsfelder betreffen, die der Unternehmer im Rahmen seiner unternehmerischen Organisationsstruktur unterhält. Hierunter werden von der Rechtsprechung insbesondere auch die hoheitlichen Tätigkeiten von jPdöR gefasst (vgl. BFH v. 06.05.2010, V R 29/09, BFH v. 03.03.2011, V R 23/11.)

 

Der BFH selbst hatte in einer früheren Entscheidung vom 20.08.2009 (VR 30/06) offengelassen, ob auf diese Leistungen ggf. die damalig geltende Entnahmebesteuerung anzuwenden ist.
Das FG Niedersachsen hat in der Folge erstmals entschieden, dass bei Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft mit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts die von einer Organgesellschaft erbrachten entgeltlichen Leistungen an den hoheitlichen, d.h. nicht wirtschaftlichen Bereich im engeren Sinn des Organträgers, keine Leistungen sind, die Zwecken dienen, die außerhalb des Unternehmens liegen und deshalb die Regelung des § 3 Abs. 9a UStG (steuerbare unentgeltliche Wertabgabe) keine Anwendung findet. In der Folge kann auch entsprechend § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG kein Vorsteuerabzug für die mit diesen Leistungen im Zusammenhang stehenden Eingangsumsätze vorgenommen werden.

 

Im Rahmen der daraufhin vom Finanzamt eingelegten Revision zum BFH hatte dieser im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens (Beschluss vom 07.05.2020) neben der bereits vielfach in der Fachliteratur kommentierten Frage, ob die derzeitige Regelung der USt-Organschaft, wonach der Organträger die Umsätze aller Organmitglieder zu versteuern hat, mit EU-Recht konform ist, auch die Frage vorgelegt, ob entgeltliche Leistungen an den hoheitlichen Bereich einer Besteuerung nach Art. 6 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie 77/388 EWG, der Grundlage für die nationale Regelung des § 3 Abs. 9a UStG ist, unterliegen.

 

Mit Urteil vom 01.12.2022 hat der EuGH im Ergebnis die Rechtsprechung des Finanzgerichts Niedersachsen bestätigt, indem er festgestellt hat, dass die entgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch Organgesellschaften im Zusammenhang mit einer hoheitlichen Tätigkeit durch ein Mitglied der Organschaft nicht nach Art. 6 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie besteuert werden darf und damit im Ergebnis auch keine unentgeltliche Wertabgabe im Sinne des § 3 Abs. 9a UStG anzunehmen ist.

 

Eine Entscheidung des BFH in der Revisionssache (V R 40/19) ist gleich wohl bisher nicht ergangen, weil der BFH durch Beschluss vom 26.01.2023 (V R 20/22) das Verfahren ein weiteres Mal ausgesetzt hat und dem EuGH erneut grundsätzliche Fragen zur Anwendung der organschaftlichen Regelungen (Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 Richtlinie 77/388/EWG), insbesondere zur bisher nach nationalem Recht vorgenommenen umsatzsteuerlichen Einordnung der „Innenumsätze” als nicht steuerbar, vorgelegt hat.

 

Damit ist zwar nach der Entscheidung des EuGH vom 01.12.2022 die Besteuerung als unentgeltliche Wertabgabe gemäß § 3 Abs. 9a UStG vom Tisch. Der BFH sieht es aber als möglich an, dass die bisherige Behandlung der Innenumsätze zwischen den Organmitgliedern als nicht steuerbar nicht dem EU-Recht entspricht. Dies könnte wiederum dazu führen, dass bereits die Leistungen der Organgesellschaften für den hoheitlichen Bereich steuerbar wären, ohne dass ein Recht zum Vorsteuerabzug bestehen würde. Auf die Frage, ob eine unentgeltliche Wertabgabe vorliegen könnte, käme es dann nicht mehr an.
Somit kann weiterhin keine endgültige Entwarnung gegeben werden. Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH das erneute Vorabentscheidungsersuchen beantworten wird.

 

 


 

Quellen:

BFH, Beschluss v. 26.01.2023, V R 20/22 (V R 40/19), Erneutes Vorabentscheidungsersuchen)
EuGH, Urt. v. 01.12.2022 – C-269/20, S/FA T
BFH, Beschluss v. 07.05.2020, V R 40/19 (Vorabentscheidungsersuchen)
FG Niedersachsen, Urt. v. 16.10.2019, 5 K 309/17

 

Autor

Dr. Christian Ortloff

Folgen Sie uns!

Linkedin Banner

Kontakt

Contact Person Picture

Dr. Christian Ortloff

Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsmediator (IHK)

Associate Partner

+49 911 9193 3647

Anfrage senden

Profil

Wir beraten Sie gern!

Befehle des Menübands überspringen
Zum Hauptinhalt wechseln
Deutschland Weltweit Search Menu