Nachweis der Sanierungsabsicht: Vorlage eines S6-Gutachtens nicht zwingend notwendig

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​Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 12. Mai 2016 (XI ZR 65/14) klargestellt, dass der Sanierungsplan eines Schuldners nicht den formalen Erfordernissen entsprechen muss, wie sie das Institut für Wirtschaftsprüfer e.V. in dem IDW Standard S6 (IDW S6) oder das Institut für die Standardisierung von Unternehmenssanierungen (ISU) als Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte aufgestellt haben. 

 

I. Sachverhalt

Der Kläger und Insolvenzverwalter der E. GmbH (Schuldnerin) nahm die Beklagte auf Rückzahlung von geleisteter Vergleichszahlung aus Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO in Anspruch. Die Beklagte erbrachte für die Schuldnerin Speditionsleistungen. Im Januar 2007 standen ihr fällige Forderungen von 59.703,20 Euro zu, von denen 25.416,85 Euro rechtskräftig tituliert waren. Aufgrund des Titels erwirkte die Beklagte im Januar 2007 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Die Drittschuldnerin teilte mit, dass keine pfändbaren Guthaben vorhanden seien und Vorpfändungen in Höhe von 16.000 Euro bestünden. Mit Schreiben vom 15. Januar 2007 wandte sich die von der Schuldnerin beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (R.) an die Beklagte und teilte mit, dass eine buchmäßige Überschuldung der Schuldnerin in Höhe von 3,5 Mio. Euro bestehe. Die Kreditlinien seien eingefroren, es drohe in Kürze Zahlungsunfähigkeit. Zur Vermeidung der Insolvenz sei ein Vergleichsvorschlag erarbeitet worden, nach dem die Gläubiger auf 65 von 100 der Forderungen verzichten sollten, davon auf 15 von 100 gegen Besserungsschein. Der Vergleichsvorschlag könne dann umgesetzt werden, weil von Dritten Liquidität zur Verfügung gestellt werde. Voraussetzung sei, dass alle Gläubiger dem Vorschlag bedingungslos zustimmten. Anderenfalls sei ein Insolvenzverfahren unabdingbar, das keine Befriedigungsquote erwarten lasse. Antwort werde bis 19. Januar 2007 erbeten.
 
Die Beklagte stimmte am 26. Januar 2007 auf einem Formular der Schuldnerin zu. Die Zahlung erfolgte am 29. März 2007.
 
Der Insolvenzverwalter hat die Zahlung nach § 133 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) angefochten. Die Schuldnerin habe sich seit vielen Jahren in einer tiefgreifenden Krise befunden. Die Beklagte habe das aufgrund des Schreibens von R. gewusst. Der Sanierungsversuch sei offensichtlich nicht ernsthaft gewesen. Es seien von vorneherein allenfalls die Hälfte der Gläubiger an den Vergleichsbemühungen beteiligt gewesen, nicht aber die Kreditinstitute, das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger. Selbst ohne Berücksichtigung dieser Gläubiger habe der von den Geschäftsführern der Schuldnerin beschaffte Kredit von 500.000 Euro nicht ausgereicht, weil Forderungen von 850.000 Euro hätten zurückgeführt werden müssen. Die mangelnde Ernsthaftigkeit des Sanierungsversuchs habe der Beklagten nicht verborgen bleiben können, schon wegen der mehrfach verzögerten Zahlung. Die Beklagte beruft sich darauf, dass die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO widerlegt sei, weil sie darauf habe vertrauen dürfen, dass die Schuldnerin einen ernsthaften Sanierungsversuch entsprechend dem vorgelegten Sanierungsplan unternommen habe.
 

II. Urteilsgründe

Nach § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, wenn der Empfänger der Leistung zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, wenn der Empfänger der Leistung wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners droht und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligt. Die Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats ihre Bedeutung als Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers hiervon verlieren, wenn die angefochtene Rechtshandlung Bestandteil eines ernsthaften, letztlich aber fehlgeschlagenen Sanierungsversuchs war. In diesem Fall ist die Rechtshandlung von einem anfechtungsrechtlich unbedenklichen Willen geleitet und das Bewusstsein der Benachteiligung anderer Gläubiger tritt in den Hintergrund. Voraussetzung ist auf Schuldnerseite, dass zu der Zeit der angefochtenen Handlung ein schlüssiges, von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgehendes Sanierungskonzept vorlag, das mindestens in den Anfängen schon in die Tat umgesetzt war und die ernsthafte und begründete Aussicht auf Erfolg rechtfertigte.
 
Ein Sanierungsplan, der zu einer Verneinung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners führt, muss dagegen nicht bestimmten formalen Erfordernissen entsprechen, wie sie etwa das Institut für Wirtschaftsprüfer e.V. in dem IDW Standard S 6 (IDW S 6) oder das Institut für die Standardisierung von Unternehmenssanierungen (ISU) als Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte (MaS) aufgestellt haben. Die Einhaltung der dort für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen mag für eine erfolgreiche Sanierung in der Regel eine positive Prognose ermöglichen. Sie ist aber nicht zwingend erforderlich und vor allem bei kleinen Unternehmen nicht immer in vollem Umfang geboten. Auch dort muss jedoch die wirtschaftliche Lage des Schuldners im Rahmen seiner Wirtschaftsbranche analysiert werden sowie Krisenursachen benannt und die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfasst werden.
 

III. Anmerkung

Der BGH setzt seine bisherige Marschroute fort und erleichtert damit künftig auch weiterhin die Sanierung von Unternehmen in bestimmten Branchen und kleinerer Unternehmen. Insbesondere Unternehmen der Gesundheitswirtschaft (z.B. Pflegeheime, MVZ etc.) und Non-Profit Organisationen profitieren davon, da sie nicht zwingend gehalten sind, zu Restrukturierungszwecken ein vollständiges S6-Gutachten zu beauftragen. Wichtig ist jedoch, dass die wirtschaftliche Lage des Schuldners zunächst im Rahmen seiner konkreten Wirtschaftsbranche analysiert wird. Ferner müssen die Krisenursachen aufgedeckt sowie die Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage erfasst werden.
 

zuletzt aktualisiert am 22.06.2016

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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