Internationales Steuerrecht: Komplexere Normen, begierigere Fisci, härterer Wettbewerb

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Interview mit Prof. Dr. Florian Haase

zuletzt aktualisiert am 8. April 2020 | Lesedauer: ca. 3 Minuten



HERR PROFESSOR HAASE, SIE LEITEN GEMEINSAM MIT IHRER KOLLEGIN DR. DAGMAR MÖLLER-GOSOGE AUS MÜNCHEN DAS BERATUNGSFELD INTERNATIONALES STEUERRECHT BEI RÖDL & PARTNER. GEBEN SIE UNS BITTE EINEN ÜBERBLICK ÜBER DIE AKTUELLEN HOT TOPICS IN DIESEM BEREICH.

Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass sich das internationale Steuerrecht gegenwärtig im Umbruch befindet. Die Besteuerung, gerade von multinationalen Unternehmensgruppen, wird in dem Sinne immer „internationaler”, dass einerseits mit OECD und EU zunehmend inter- bzw. supranationale Normgeber auf den Plan treten und andererseits die Besteuerung in einem Staat verstärkt von Verhältnissen oder Bedingungen in einem anderen Staat abhängig gemacht wird. Ich will zwei Beispiele geben: Nachdem die OECD 2016 mit dem sog. BEPS-Projekt (BEPS = Base Erosion and Profit Shifting) ein steuerpolitisches Jahrhundertprojekt aufgestellt hat, arbeitet sie heute an der Umsetzung der letzten Direktive: der Anpassungen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Mit der sog. Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie hat die EU 2016 nach einer Pause von mehr als zehn Jahren die erst 6. EU-Richtlinie auf dem Gebiet der direkten Steuern erlassen (sog. ATAD). Wir in Deutschland arbeiten heute noch an der Umsetzung, die bspw. massive Auswirkungen auf die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung haben wird – obwohl die Richtlinie bereits zum 1. Januar 2019 hätte in nationales Recht transferiert sein müssen.

 

SIE SPRECHEN DAS THEMA BEPS AN. WELCHE FRAGESTELLUNGEN SIND HEUTE NOCH RELEVANT?

Die Eindämmung von – auch aggressiv betriebenen – Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen von multinational tätigen Unternehmen und eines unfairen Steuerwettbewerbs zwischen den Staaten gehören zu den Dauerbrennern, die das internationale Steuerrecht seit der BEPS-Initiative bewegen.

 

Aktuell befinden wir uns mitten in der Umsetzung der sog. DAC 6, der Mitteilungspflichten für grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Sie müssen ab 1. Juli 2020 an die nationalen Steuerverwaltungen gemeldet werden, die sie Informationen wiederum im EU-Raum austauschen. So soll Transparenz für den realen Markt von Steuergestaltungen geschaffen werden.

 

Die Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung wird zur Revision von Unternehmensstrukturen führen müssen. Für die Unternehmen in Deutschland ist es eine besondere Herausforderung, dass immer noch keine Klarheit über wesentliche Elemente der Hinzurechnungsbesteuerung wie die Niedrigsteuergrenze, die Behandlung von Vertriebs- und Dienstleistungsgesellschaften sowie die zukünftige Bedeutung der Mitwirkungstatbestände besteht.

 

Für den Herbst erwarten wir grundlegende Entscheidungen auf OECD-Ebene über zwei Projekte, die disruptive Wirkung auf das internationale Steuerrecht haben werden. Unter dem Stichwort „Pillar I und II” geht es zum einen um einen neuen Nexus für die internationale Verteilung des Steuersubstrats, bei dem die Marktorientierung der Geschäftsmodelle großer digitalisierter Unternehmen ohne räumliche Präsenz berücksichtigt werden soll. Zum anderen wird über die Einführung einer internationalen Mindestbesteuerung diskutiert.

 

Es geht dabei um Themen wie die Versagung eines mehrfachen Schuldzinsenabzugs in verschiedenen Staaten, die künstliche Vermeidung von Betriebsstätten durch vertragliche Konstruktionen, den Missbrauch von Doppelbesteuerungsabkommen oder die Verlagerung von Intellectual Property über Verrechnungspreise. Wir führen bei Mandanten daher neuerdings mit großem Erfolg sog. BEPS-Checks durch, um Schwachstellen zu identifizieren und herauszufinden, ob die BEPS-Maßnahmen nicht zu einer Änderung der Unternehmens­struk­tur und internationalen Aufstellung zwingen. Das kommt durchaus häufiger vor: Vertriebsstrukturen im Allgemeinen sind ein schönes Beispiel. Sie sind vor dem BEPS-Hintergrund besonders kritisch zu hinterfragen.

 

WIE GEHEN UNTERNEHMEN MIT DIESEN HERAUSFORDERUNGEN UM?

Für Steuerpflichtige und Beraterschaft erfordert die Einführung von DAC 6 einen enormen Aufwand für neu geschaffene Prozesse und Implementierung von digitalen Systemen für die Compliance der Meldeaktivitäten. Die Projekte befinden sich großteils in der aktiven Umsetzungsphase, die intensive Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten erfordert. Zudem sind die Vorgaben für die technische Umsetzung des vorgeschriebenen digitalen Meldeprozesses immer noch nicht endgültig definiert. Es mehren sich daher die Stimmen, die die Unternehmen, aber auch die Finanzverwaltung, in der akuten Corona-Krise mit den Anforderungen für überfordert halten und eine Verschiebung des Go-Live bis ins Jahr 2021 fordern. Zur Umsetzung der ATAD wartet die Wirtschaft händeringend auf einen verlässlichen Startschuss durch das Bundesfinanzministerium. Nach diversen Anläufen mit höchst unterschiedlichen Vorgaben ist es endlich Zeit, den Unternehmen Sicherheit für ihre steuerlichen Dispositionen zu geben, zumal mit der rückwirkenden Anwendung verschiedener Vorschriften zum 1. Januar 2020 gerechnet werden muss. Was besonders belastend ist: das BMF will die Niedrigsteuergrenze von 25 Prozent zunächst unberührt lassen und sie erst in der Zukunft nach Kenntnis einer internationalen Mindestbesteuerung anpassen. Dann werden sich viele Unternehmen für 2020 auf einen erhöhten Aufwand für Steuererklärungen nach §§ 7 ff. AStG und ggf. für eine selbst bei Ländern wie den USA oder Großbritannien greifenden Hinzurechnungsbesteuerung einstellen müssen.

 

Noch sind Auswirkungen der unter dem Stichwort Pillar I und II diskutierten Revolution im Internationalen Steuerrecht nicht zuverlässig absehbar. Jedoch führen wir erste Gespräche mit Unternehmen, um deren mögliche Betroffenheit zu analysieren. Ein Ansatzpunkt ist z.B. eine Niedrigbesteuerung unternehmersicher Aktivitäten außerhalb der Hinzurechnungsbesteuerung. Wir beobachten auch eine verstärkte Bereitschaft der Unternehmen, sich mit einer Analyse der werttreibenden Faktoren ihres Geschäftsmodells und deren regionaler Zuordnung auseinanderzusetzen. All das sind Vorbereitungen, um das Unternehmen für eine marktorientierte Aufteilung des Besteuerungssubstrats und eine allgemein Mindestbesteuerung fit zu machen und auch in einer „neuen Steuerwelt” die Kontrolle über die steuerliche Erfassung in der Hand zu behalten.

 

DAS BEDEUTET, DIE ZEITEN WERDEN SCHLECHTER FÜR INTERNATIONAL AUFGESTELLTE UNTERNEHMENSGRUPPEN?

Schon heute ist internationale Steuergestaltung eine komplexe Herausforderung, und die Zeiten werden nicht einfacher. Die Regelungsdichte wird enger, die Normen komplexer, die beteiligten Fisci begieriger und der Wettbewerb härter. Wer im zukünftigen Wettbewerb um knappe Ressourcen an Steuermitteln bestehen will, braucht vertiefte Kenntnisse über innovative Geschäftsmodelle und deren Wertschöpfungsketten. Nachdem die deutsche Finanzverwaltung zuletzt massiv in die Schulung von Bundesbetriebsprüfern im internationalen Steuerrecht investiert hat, kommen neue Anforderungen im betriebswirtschaftlichen Bereich auf sie zu, für die sie noch nicht gerüstet ist. Dabei wird sich zeigen, dass Steuerpflichtige und Finanzverwaltung in inter­nationalen Sachverhalten zukünftig verstärkt den Schulterschluss üben müssen, um sich die Begehrlichkeiten ausländischer Fisci zu wehren, wenn der deutsche Fiscus und die deutschen Unternehmen nicht die Verlierer der Neuorientierung des internationalen Steuerrechts werden sollen. Da Erfahrungswerte bei der neuen Rechtslage naturgemäß noch nicht vorhanden sind, benötigen Steuerpflichtige Berater, die selbst innovativ und international aufgestellt sind und die deshalb auch mehr Erfahrungen sammeln können als rein nationale Beratungsgesellschaften. Insofern betrachte ich die jüngsten Entwicklungen im internationalen Steuerrecht mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

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Prof. Dr. Florian Haase, M.I.Tax

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht

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