Umsatzsteuerliche Organschaft: Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) als Organgesellschaft auch ohne finanzielle Eingliederung aller anderen Gesellschafter

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veröffentlicht am 23. April 2021 | Lesedauer ca. 4 Minuten

   
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bezeichnet die Einschränkung der deutschen Finanzverwaltungsauffassung in Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE, dass Personengesellschaften nur Organgesellschaften sein können, wenn auch alle anderen Gesellschafter (neben dem Organträger) finanziell in den Organträger eingegliedert sind, für unionsrechtswidrig. Personengesellschaften können nun unabhängig von ihren anderen Gesellschaftern finanziell eingegliedert in das Unternehmen einer ihrer Gesellschafter (Organträger) sein. Der EuGH erteilt damit den Beschränkungen von Bundesfinanzhof (BFH) und Bundesfinanzministerium (BMF) eine Absage. Das ist ein weiterer Meilenstein in der europäischen und nationalen Organschaftsrechtsprechung seit dem letzten von Ende 2015 / Anfang 2016.
 

  

  

 

Hintergrund

Nach Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG können nur juristische Personen Organgesellschaften in einer umsatzsteuerlichen Organschaft sein. Mit Urteil vom 16.7.2015, Rs. C-108/14 und C-109/14 (Larentia + Minerva und Marenave) stellte der EuGH klar, dass auch Personengesellschaften Organgesellschaften sein können. Das kann nur zur Vermeidung von Steuerumgehungen eingeschränkt werden. Im Nachfolgeurteil zu dieser deutschen EuGH-Vorlage hat der BFH XI. Senat entschieden (Urt. v. 19.1.2016, XI R 38/12), dass in richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bzw. des darin erwähnten Tatbestandsmerkmals „juristische Person" auch Personengesellschaften Organgesellschaften sein können. Denn eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG hat eine „kapitalistische Struktur". In der Rechtsprechung wird die GmbH & Co. KG der Form nach als Personengesellschaft gesehen. Der Sache nach wird sie jedoch von der Literatur zum Handelsrecht eher als GmbH gewertet. Steuerrechtlich sind die ehemals erheblichen Unterschiede zwischen einer GmbH und einer GmbH & Co. KG in vielerlei Hinsicht mittlerweile durch den Gesetzgeber eingeebnet worden. In diversen Vorlagen mit unterschiedlichen Sachverhaltsnuancen bestand zwischen den beiden Umsatzsteuersenaten des BFH seit dieser EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen Larentia + Minerva und Marenave noch keine Einigkeit darüber, ob alle Kommanditisten finanziell in den vermeintlichen Organkreis eingegliedert sein müssen. Das hat der EuGH nun mit Urteil vom 15.4.2021, Rs. C-868/19 beantwortet (s. unten).

 

Nach Auffassung des V. Senat des BFH setzt bisher die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft voraus, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei der stets möglichen Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet ist (vgl. BFH, Urteile vom 2.12.2015, V R 25/13 und vom 3.12.2015, V R 36/13). Danach könnten an der finanziell einzugliedernden Personengesellschaft keine natürlichen Personen beteiligt sein. Die Finanzverwaltung übernahm diese Rechtsauffassung in Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE.

 

Der XI. Senat des BFH hat bisher offengelassen, ob er der einschränkenden Auffassung des V. Senats folgen möchte (vgl. BFH, Urteil vom 19.1.2016, XI R 38/12, und Urteil vom 1.6.2016, XI R 17/11).

 

EuGH: Einschränkung des UStAE unionsrechtswidrig

Das FG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 21.11.2019 (Az. 5 K 5044/19) den EuGH um eine Vorabentscheidung zur Frage der finanziellen Eingliederung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft ersucht. Ein weiteres anhängiges Verfahren beim BFH (Az. V R 45/19) wurde bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.2019, 1 K 1952/18). Auch das FG Baden-Württemberg scheint sich gegen die Rechtsprechung des V. Senats zu stellen. Das FG Berlin-Brandenburg ist der Auffassung, dass die vom V. Senat des BFH gesetzte Einschränkung nicht mit Unionsrecht (d.h. der MwStSystRL) und der Rechtsprechung des EuGH in Einklang zu bringen ist. Nach seiner Auffassung kann eine Personengesellschaft bereits Organgesellschaft werden, wenn der Organträger über die einfache Mehrheit der Stimmrechte verfügt.

 

In der vom EuGH zu entscheidenden Rechtssache M-GmbH handelte es sich um eine GmbH & Co. KG, die eine Komplementärin und fünf Kommanditisten hat. Die M-GmbH hat in ihrer Stellung als Kommanditistin sechs Stimmen. Alle anderen Kommanditisten, hierunter auch natürliche Personen, und die Komplementärin haben jeweils eine Stimme. Sie sind nicht gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen der M-GmbH finanziell eingegliedert. Im vorliegenden Fall wurden Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst. Die GmbH & Co. KG ist organisatorisch und wirtschaftlich in das Unternehmen der M-GmbH eingegliedert.

 

Nach Auffassung des Finanzgerichts müsste auch in diesem Fall, entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, eine finanzielle Eingliederung der GmbH & Co. KG in die M-GmbH vorliegen. Es hat Zweifel, dass die vom BFH (V. Senat) und BMF vorgenommene Einschränkung zulässig ist.

 

Der EuGH hat nun mit Urteil vom 15.4.2021, Rs. C-868/19 klargestellt, dass eine solche Einschränkung, dass Personengesellschaften nur Organgesellschaften sein können, wenn auch alle Gesellschafter finanziell in den Organträger eingegliedert sind, gegen Unionsrecht verstößt. Diese Einschränkung ist auch nicht zur Vermeidung von Steuerhinterziehung und / oder Steuerumgehungen geeignet. Hierzu wäre z. B. eine Bewilligung der Organschaft durch die Finanzverwaltung besser geeignet.

 

Hinweis für die Praxis

Bis zu einer Neuregelung können Steuerpflichtige sich nun entweder unmittelbar auf Unionsrecht beziehen oder die bisherige nationale Regelung (bzw. Auffassung des BFH V. Senats oder der Finanzverwaltung) weiter anwenden. D. h. sie haben in der Zwischenzeit die Wahl, welcher Rechtsauffassung sie folgen wollen.

Die Auffassung des BFH V. Senats widerspricht ebenso wie die in Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE dem nun ergangenen EuGH-Urteil. Derzeit besteht noch keine Gefahr, dass nun umsatzsteuerliche Organschaften entstehen, die vorher nicht angenommen wurden. Bringt die Organschaft weder Vor- noch Nachteile im Sinne umsatzsteuerlicher Effekte mit sich, können sich Unternehmer bei der Besteuerung und Erklärung von Ausgangsumsatzsteuer und Vorsteuer in einer Gruppe aber weiter an den Vorgaben der Finanzverwaltung im UStAE orientieren.

 

Nur wenn der Steuerpflichtige sich direkt auf das Unionsrecht beruft, wird für die zur EuGH-Rechtssache vergleichbaren Sachverhalte entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung eine Organschaft begründet. Wer eine umsatzsteuerliche Organschaft mit Hilfe der EuGH-Rechtsprechung nun gewollt begründen will, muss sich aktiv auf das Unionsrecht beziehen. Die jeweiligen umsatzsteuerlichen (positiven wie negativen) Effekte und gegenläufigen Effekte für vermeintliche Organgesellschaften, einen Organträger und den gesamten Organkreis sind für etwaige offene Veranlagungen im Detail und im jeweiligen Einzelfall dringlichst komplett durchzubeurteilen und auch betragsmäßig durch zu deklinieren, falls man sich in der Praxis nun auf Unionsrecht berufen möchte und das auch entsprechend gegenüber dem / den zuständigen Finanz­amt /­ Finanzämtern offen legt. Finanzämter sind an den UStAE gebunden und es besteht Vertrauensschutz nach § 176 AO für die bisherige umsatzsteuerliche Abbildung.

 

Bis zur Neuregelung oder etwaigen Anpassung durch ein BMF-Schreiben und des UStAE infolge des Nachfolgeurteils des FG Berlin-Brandenburg wird die bisherige Rechtsauffassung seitens der Finanzverwaltung weiter fortgeführt. Ob die Finanzverwaltung eine Anpassung ihrer bisherigen Auffassung vornehmen wird, bleibt abzuwarten. Sollte eine Personengesellschaft bei durchweg positiv feststellbaren Effekten nun als Organgesellschaft einbezogen werden (wollen), wo bisher infolge der Rechtsprechung des V. Senats und den vorliegenden Beteiligungsverhältnissen eher Zurückhaltung bestand, sollte jedenfalls verfahrensrechtlich eine Veranlagung offengehalten werden. Für vergangene Veranlagungszeiträume ist zu beurteilen, ob bei einem Berufen auf die Organschaft möglicherweise zum Vorteil des Steuerpflichtigen nur noch bei einer der betreffenden Gesellschaften der Steuerbescheid geändert werden kann. Das ist aufgrund eines uneinheitlichen Eintritts von Bestandskraft oder Festsetzungsverjährung bei den beiden Gesellschaften denkbar (vgl. FG Münster, Urteil vom 7.4.2020, 15 K 3019/17 U).

 

Die nationale Umsetzung der umsatzsteuerlichen Organschaft in Deutschland ist immer wieder Gegenstand von Gerichtsverfahren und Abstimmungen mit der Finanzverwaltung. Daher plant die Bundesregierung ein Antragsverfahren einzuführen, wonach eine umsatzsteuerlichen Organschaft möglichst nur auf Antrag und durch eine entsprechende Bestätigung der Finanzverwaltung über das Vorliegen der rechtlichen Kriterien entstehen kann (vgl. „Paket für Bürokratieerleichterungen" vom 13.4.2021). Dieser Vorstoß ist begrüßenswert, nachdem auch noch zahlreiche weitere anhängige Verfahren und Vorlagebeschlüsse an den EuGH zur umsatzsteuerlichen Organschaft offen sind. Allerdings sind auch hier die Grenzen des Unionsrechts bei der Ausgestaltung des Antragsverfahrens zu beachten. So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen Mitgliedstaat, der von der Befugnis Gebrauch gemacht hat, seinen Steuerpflichtigen das Recht einzuräumen, für eine bestimmte Steuerregelung zu optieren, nicht daran hindert, ihre Anwendung von einer Bewilligung der Finanzverwaltung abhängig zu machen (vgl. EuGH, Urteil vom 30.4.2020, Rs. C-661/18).

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