Vertragsärzte sind keine Amtsträger und keine Beauftragten – trotzdem kein Freibrief zur Bestechlichkeit!

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Von Tobias Kirchgessner, Rödl & Partner Nürnberg

Am 22. Juni 2012 veröffentlichte der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs seinen Beschluss (Az.: GSSt 2/11) zu der Frage, ob sich niedergelassene Vertragsärzte wegen Bestechlichkeit strafbar machen, wenn sie von Pharmaunternehmen Vorteile dafür entgegennehmen, dass sie ihren Patienten bevorzugt deren Arzneimittel verschreiben.

Gegenstand des Falles war eine Rückvergütung von fünf Prozent der Herstellerabgabepreise für die Verordnung von Medikamenten durch eine Pharmareferentin an verschreibende Ärzte.

Entscheidend war dabei in rechtlicher Hinsicht, ob diese Ärzte durch ihre vertragliche Abhängigkeit von den öffentlichen Krankenkassen als deren Beauftragte oder sogar Amtsträger zu behandeln sind.

Der BGH verneinte beides und spricht damit beteiligte Ärzte und Angestellte von Krankenkassen von strafrechtlichen Vorwürfen frei. Interessant war das Rollenverständnis von Vertragsärzten, das der Senat in der Urteilsbegründung zum Ausdruck brachte.

So gehörten die Krankenkassen selbst zwar zum Bereich der öffentlichen Verwaltung, der niedergelassene Arzt (Vertragsarzt) fungiere aber nicht als deren „langer Arm“ und werde nicht aufgrund einer hierarchischen Dienststellung als bloßer Funktionsträger tätig. Daher ist ein Vertragsarzt kein Amtsträger.

Vielmehr wirke er im Bereich der öffentlichen Daseinsfürsorge gleichberechtigt auf einer Ebene mit den Krankenkassen zusammen. Anders als etwa bei Krankenhausärzten sei die berufliche Stellung des niedergelassenen Arztes durch seine Patienten bestimmt, die ihn frei und individuell auswählen.

Insofern herrsche auch bei der Verordnung von Arzneimitteln ein persönliches Vertrauensverhältnis, das dem Einfluss der Krankenkassen entzogen sei und nicht einer hoheitlich geprägten Verwaltungsausübung als Amtsträger entspreche. Daher ist der Vertragsarzt auch kein Beauftragter der Krankenkassen.

Damit bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, künftig das korruptive Zusammenwirken zwischen Vertragsärzten und Pharmaunternehmen durch eine Änderung der Rechtslage unter Strafe zu stellen. Gegenwärtig bestehen bereits Bestrebungen, etwa der SPD-Fraktion, einen solchen Gesetzesentwurf
auf den Weg zu bringen.

Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis die geschilderte Praxis strafrechtlich erfasst und damit auch eine Angleichung an die außerstrafrechtliche Rechtslage erreicht wird.

Die Politik hat sich dieser Entscheidung bereits angenommen und wird diese entsprechend berücksichtigen, d. h., in wohl naher Zeit angepasste Straftatbestände schaffen. In der Vergangenheit gab es zwar politische Lösungsvorschläge. Diese fanden jedoch keine parlamentarische Mehrheit.

Auf keinen Fall darf Folgendes unbeachtet bleiben: Bereits jetzt schon drohen Sanktionen außerhalb des Strafrechts, etwa nach ärztlichem Berufsrecht, Wettbewerbsrecht oder Vertragsarztrecht.

In Sicherheit wiegen dürfen sich betroffene Vertragsärzte trotz des Beschlusses also ohnehin nicht.

Daher kann jedem betroffenen Vertragsarzt nur empfohlen werden, etwaige „Absprachen“ schon jetzt sorgfältigst auf die Vereinbarkeit mit dem bereits geltenden Recht zu überprüfen.

Das gilt auch und insbesondere für das weit verbreitete „Phänomen“ der Rabatte, Einladungen zu Luxus-Wochenenden oder überzogene Dozentenhonorare usw. (vgl. dazu auch Lübbersmann, AMK 7/2012, S. 1).

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Ulrike Grube

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