Betriebsübergang – Versteckte Gefahr bei M&A-Transaktionen

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In beinahe jeder M&A-Transaktion muss der Käufer entscheiden, ob er die Mitarbeiter oder zumindest einen Teil davon übernehmen will. Die aktive Strukturierung der Übernahme von Arbeitnehmern ist zwar nicht frei von arbeitsrechtlichen Stolpersteinen, eröffnet aber auch dem Käufer erheblichen Spielraum. Eine gute Planung des Betriebsübergangs kann daher entscheidend für den Erfolg der Transaktion sein.


Definition

Der Rechtsbegriff des Betriebsübergangs charakterisiert den Wechsel des Eigentümers eines Unternehmens oder eines Teils eines Unternehmens durch eine Rechtsvereinbarung im weitesten Sinne. Den allgemeinen Rechtsrahmen in allen drei baltischen Staaten bildet die EU-Richtlinie über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (2001/23/EG), welche die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern in Unternehmen schützt, die auf einen anderen Eigentümer übertragen werden. Dahinter steckt die Idee, dass Entlassungen nicht aufgrund der Übertragung möglich sein sollten, sondern lediglich aus „wirtschaftlichen, technischen und organisatorischen Gründen“ erfolgen dürfen.

Unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich des Betriebsübergängen schaffen jedoch eine enorme Komplexität und sorgen dafür, dass übernommene Arbeitnehmer nicht gleichbehandelt werden.

Der Begriff „Betriebsübergang“ wird in allen drei baltischen Staaten sehr allgemein gefasst, ohne dass seine spezifischen Bedingungen genauer definiert werden. Auch die nationalen Rechtspraktiken bieten nur geringfügig mehr Klarheit.


Vorgaben des EuGH

Aus diesem Grund ist es essenziell, sich die Rechtsprechung des EuGH zu näher zu betrachten, um eine Definition des "Betriebsübergangs" zu erarbeiten. Seit mehr als 20 Jahren werden die im Spijkers-Urteil des EuGH definierten Kriterien als Basisformel für die Bestimmung des Betriebsübergangs angewendet:
 
  • Art des Unternehmens oder der Geschäftstätigkeit
  • Wert der Sachanlagen (Gebäude, Einrichtungen)
  • Wert der immateriellen Vermögenswerte (Goodwill)
  • ob die Mehrheit des Personals auf den neuen Arbeitgeber übertragen wird
  • Übertragung eines beliebigen Kundenkreises
  • Ähnlichkeit zwischen Aktivitäten vor und nach dem Übergang
  • die Dauer einer Unterbrechung dieser Aktivitäten
 
Dennoch ist es wichtig, die Definition eines Betriebsübergangs im Arbeitsrecht vom Handelsrecht zu unterscheiden. Zunächst einmal haben die beiden Gesetze unterschiedliche Ziele. Das Handelsrecht regelt das Verhältnis zwischen den Kaufleuten und sichert den gewerblichen Verkehr, während das Arbeitsrecht darauf abzielt, die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu regeln und den Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Bei M&A-Transaktionen unterliegt der Übergang des Unternehmens aus Arbeitnehmersicht dem Arbeitsrecht – wesentlich von Bedeutung sind hierbei die Verpflichtungen, die der Käufer gegenüber den Arbeitnehmern erlangt.

Share vs. Asset Deal

Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist es bei einem Share Deal, bei dem der Käufer (nur) die Anteile an der
Zielgesellschaft kauft, einfacher festzustellen, ob es zu einem Betriebsübergang kommt.

 

Share Deal

Nach estnischem Recht führt der Kauf/Verkauf von Anteilen überhaupt nicht zu einem Betriebsübergang.


In Lettland erfolgt ein Betriebsübergang, wenn 75 Prozent der Anteile an einem Unternehmen auf einen Käufer übertragen werden.


In Litauen kommt es zu einem Kontrollwechsel in einer Gesellschaft und damit zu einem Betriebsübergang, wenn Rechte aus Gesetzen oder Transaktionen, die zur Ausübung eines maßgeblichen Einflusses auf die Tätigkeit der Gesellschaft berechtigen, übertragen werden. Unter maßgeblichem Einfluss versteht man eine Situation, in welcher die kontrollierende Person Entscheidungen in Bezug auf die wirtschaftliche Tätigkeit der kontrollierten Gesellschaft, Entscheidungen ihrer Organe oder die Zusammensetzung ihres Personals beeinflussen oder treffen kann.


Asset deal

Mit einem Asset Deal wird es einerseits schwieriger und andererseits bietet sich mehr Spielraum: Bestimmte einzelne Assets des Unternehmens werden bei dieser Transaktionsart verkauft.


Die einzelnen Vermögenswerte – wie Produktionsanlagen, Patente, Lizenzen, Marken, Grundstücke und Gebäude – werden einzeln übertragen. Der Käufer kann jedoch nicht nach eigenem Ermessen Personal auswählen und vermeiden, Mitarbeiter übernehmen zu müssen, wenn er z. B. nur den Kundenstamm kauft. Es ist zu prüfen, ob ein Betriebsübergang stattfindet und ob die mit dem jeweiligen Unternehmen – oder auch nur mit einem Teil des Unternehmens – verbundenen Arbeitsverhältnisse per Gesetz auf den neuen Arbeitgeber übertragen werden.


Nach estnischem Recht besteht ein Unternehmen (in estnischer Sprache ettevõte) aus Gegenständen, Rechten und Pflichten im Zusammenhang mit und im Dienste der Unternehmensleitung, einschließlich Verträgen über das Unternehmen. Nach estnischem Recht kann auch ein Teil des Unternehmens übertragen werden, in diesem Fall ist ein Teil des Unternehmens ein organisatorisches Ganzes (eine Anlage oder in Estnisch käitis).


In Lettland beinhaltet ein Asset Deal einen Betriebsübergang, wenn Folgendes eintritt: sowohl materielle und immaterielle Güter, die zu einem Unternehmen gehören, als auch andere wirtschaftliche Vorteile, die von einem Unternehmen zur Ausübung seiner gewerblichen Tätigkeit genutzt werden, werden als Gegenstand des Asset Deals verkauft. Darüber hinaus hat der Senat für Zivilsachen des Obersten Gerichts der Republik Lettland in einer seiner jüngsten Entscheidungen über arbeitsrechtliche Fragen bei der Übertragung von Unternehmen festgestellt, dass die Übertragung von Anlagevermögen und Vorräten, die Sitzänderung oder eine Änderung der der Geschäftsanschrift der Gesellschaft sowie die Übernahme von Verbindlichkeiten gegenüber Banken Indiz für einen Betriebsübergang sein können.

In Litauen beinhaltet ein Asset Deal die Übertragung des Eigentums an der Gesellschaft als Eigentumskomplex oder ein wesentlicher Teil davon, mit Ausnahme der Rechte und Pflichten, die der Verkäufer nicht auf andere Personen übertragen kann.


HINWEIS

Für den Unternehmenskäufer ergeben sich typischerweise folgende transaktionsbezogene Risiken:
  • Der Käufer hat durch den Betriebsübergang plötzlich Mitarbeiter (insbesondere beim Asset Deal), die er überhaupt nicht wollte.
  • Kündigungen (im Falle von Share- und Asset-Deals) könnten mit dem Argument des „Betriebsübergangs" wirksam angefochten werden.
  • Arbeitnehmeransprüche werden auf den Käufer oder auf die neue Einheit übertragen und führen zu erheblichen finanziellen Belastungen (z. B. Urlaubsansprüche). 


Auswirkungen auf Arbeitsverträge

In Estland gehen im Falle eines Betriebsübergangs alle Arbeitsverhältnisse unverändert auf den neuen Arbeitgeber über, wenn das Unternehmen die gleiche oder eine ähnliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.


In Lettland bleiben Arbeitsverhältnisse, die auf einen neuen Arbeitgeber übertragen werden, weiterhin in Kraft, sofern dieselben Arbeitnehmertätigkeiten ausgeführt werden sollen oder diese einen ähnlichen Charakter haben. Der Betriebsübergang kann nicht als Grundlage für die Beendigung eines Arbeitsvertrags dienen und stellt keinen ausreichenden Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar. Wenn der Erwerber des Unternehmens wirtschaftliche, organisatorische, technische oder andere strukturelle Veränderungen im Unternehmen durchführt, die einen Abbau der Belegschaft mit sich bringen, kann der Erwerber des Unternehmens das Arbeitsverhältnis mit einem oder mehreren Arbeitnehmern zwar kündigen, wobei jedoch die allgemeinen Kündigungsschutzbestimmungen eingehalten werden müssen.


Obwohl Arbeitsverhältnisse automatisch übertragen werden, muss beachtet werden, dass das Gesetz sowohl den früheren als auch den zukünftigen Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitnehmer über die Veränderungen im Unternehmen zu informieren und zu konsultieren. Wird die Zustimmung des Arbeitnehmers in Estland nicht eingeholt, droht dem Arbeitgeber eine Geldstrafe von bis zu 1.300 Euro.


In Lettland ist gesetzlich vorgeschrieben, dass sowohl der Veräußerer als auch der Erwerber eines Unternehmens bestimmte Informationspflichten gegenüber ihren Arbeitnehmern haben:


  • den (voraussichtlichen) Zeitpunkt des Betriebsübergangs
  • die Gründe für den Betriebsübergang
  • die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs
  • die Maßnahmen, die in Bezug auf die Arbeitnehmer ergriffen werden


Die oben genannten Informationen sind spätestens einen Monat vor dem Betriebsübergang zu übermitteln. Was den Erwerber eines Unternehmens anbelangt, so muss er den Arbeitnehmern spätestens einen Monat vor Beginn des Betriebsübergangs Informationen zur Verfügung stellen, die sich unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsbestimmungen des Arbeitnehmers auswirken. Ist beabsichtigt, dass der Betriebsübergang organisatorische, technologische oder soziale Maßnahmen in Bezug auf die Arbeitnehmer mit sich bringt, so ist der Veräußerer und/oder der Erwerber (je nach Einzelfall) verpflichtet, spätestens drei Wochen im Voraus Konsultationen mit den Arbeitnehmervertretern aufzunehmen, um eine Einigung über diese Maßnahmen und Verfahren zu erzielen.


Sowohl das Arbeitsrecht als auch die EU-Richtlinie legen zwei Grundprinzipien fest, die im Falle eines Betriebsübergangs gelten sollen:

 

  • Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmervertreter (einzelne Arbeitnehmer, falls kein Betriebsrat oder keine Gewerkschaft besteht) über den Betriebsübergang und
  • die automatische Übertragung der Arbeitnehmer auf den Betriebsempfänger

 

Wenn der Käufer diese Grundsätze nicht einhält, kann ein Arbeitnehmer innerhalb eines Monats nach Erhalt der Kündigung gerichtlich die Nichtigkeit der Kündigung geltend machen. Der Arbeitnehmer kann zudem eine Entschädigung verlangen.


Neben der zivilrechtlichen Haftung besteht auch das Risiko, dass die lettische Arbeitsaufsichtsbehörde eine Verwaltungsstrafe gemäß dem lettischen Ordnungswidrigkeitengesetzes verhängt.


Die litauischen Vorschriften sehen dagegen keine automatische Übertragung von Arbeitsverhältnissen im Zusammenhang mit einem Unternehmenskauf vor. Der Übergang von Arbeitsverhältnissen zwischen dem alten Arbeitgeber und dem zukünftigen Arbeitgeber sollte daher gesondert vereinbart werden, und die Zustimmung zum Arbeitnehmerübergang muss von jedem Mitarbeiter eingeholt werden – als gesonderte Vereinbarung oder als Anhang zum Arbeitsvertrag. Wenn der Arbeitnehmer beim Betriebsübergang nicht der Betriebsfortführung zustimmt, ist es möglich, den Arbeitsvertrag gemäß den Bestimmungen des litauischen Arbeitsgesetzes ordentlich zu kündigen.


Wenn die Zustimmung des Arbeitnehmers in Litauen dagegen nicht eingeholt wird, kann der Arbeitnehmer ein Gerichtsverfahren anstreben und den Arbeitgeber auffordern, den vorherigen Arbeitsvertrag zu erfüllen und Schadensersatz zu verlangen. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber in Litauen verpflichtet, die Arbeitnehmer über den geplanten Betriebsübergang zu informieren und Konsultationen mit den Arbeitnehmern oder deren Vertretern (Betriebsrat oder Gewerkschaft) aufzunehmen, bevor er die endgültige Entscheidung trifft. Die Nichteinhaltung der Informations- und Konsultationspflicht könnte zur Nichtigkeit des Beschlusses zur Unternehmensübertragung führen.


Weder in Estland, Lettland noch in Litauen besteht allerdings die Gefahr, dass (z.B. wie in Deutschland) bei unvollständigen oder unrichtigen Angaben die Arbeitnehmer gegen den Betriebsübergang Einspruch erheben können, sodass die Arbeitnehmer ihr Recht auf Rückkehr zu ihrem alten Arbeitgeber noch Jahre nach der Transaktion ausüben können.


Auswirkungen auf Kollektivverträge

Grundsätzlich gelten Kollektivverträge in allen drei baltischen Staaten weiter. In Lettland dürfen die Bedingungen der Kollektivverträge jedoch für die Dauer des ersten Jahres nach dem Betriebsübergang nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Der Erwerber ist nach dem Betriebsübergang zudem verpflichtet, die Bestimmungen des geltenden Kollektivvertrags, der ebenfalls übertragen wird, weiterhin einzuhalten.


Fazit

Betriebsübergänge bergen Risiken, aber auch einen gewissen Handlungsspielraum. Insbesondere in Litauen schafft die Anforderung an die Zustimmung der Mitarbeiter eine gewisse (zumindest theoretische) Unsicherheit darüber, ob die Mitarbeiter auch für den neuen Eigentümer tätig sein werden, wenn sie nicht zustimmen.


Die Nichteinhaltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen kann sowohl zivilrechtliche Ansprüche, Arbeits- und Entschädigungsansprüche, Schadensersatzansprüche als auch eine ordnungsrechtliche Haftung zur Folge haben.


Es ist daher ratsam, bei jedem Unternehmenserwerb die folgenden Fragen zu prüfen:

 

  • Gibt es einen Betriebsübergang in der spezifischen Transaktion?
  • Besteht die Gefahr, dass Arbeitsverhältnisse übertragen werden, obwohl die Parteien nicht wollen, dass diese Übertragung stattfindet?
  • Welche möglichen finanziellen Ansprüche können hieraus geltend gemacht werden?
  • Welche Verfahren sind im Zusammenhang mit dem Übergang von Arbeitsverhältnissen (insbesondere bei einem Asset Deal) zu beachten?
  • Welchen Einfluss haben mögliche übertragbare Ansprüche auf den Kaufpreis? Welche Garantien und Haftungsregelungen müssen diesbezüglich im Kaufvertrag enthalten sein?


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