Der Brexit und die Konsequenzen für den Binnenmarkt

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veröffentlicht am 28. Februar 2019


Der Brexit bringt tiefgreifende Folgen für die Bürger Großbritanniens und der EU mit sich. Insbe­sondere der gemeinsame europäische Binnenmarkt wird nun mit vielfältigen Fragen konfrontiert. Die Rechtsfolgen des Brexits hängen davon ab, ob es dem Vereinigten Königreich (UK) und der EU gelingen wird, sich auf Regelungen für den EU-Austritt zu einigen.

 

 

Denkbar ist auf der einen Seite ein geordneter Austritt auf Grundlage eines Austrittsabkommens (sog. weicher Brexit). Ebenfalls möglich ist ein Austritt ohne Austrittsabkommen, ein sogenannter harter Brexit. Da es den Verhandlungspartnern auch kurz vor dem Ende der Übergangszeit noch nicht gelungen ist, den Brexit umfassend und rechtssicher zu regeln, bereiten sich immer mehr Firmen auf ein No-Deal-Szenario vor. Die Folgen sind, wie sich in verschiedenen Bereichen zeigt, tiefgreifend. Unsicherheiten treten insbesondere bei Fragen in Bezug auf den Binnenmarkt sowie im Hinblick auf bestehende Verträge, deren Durchsetzung und das Gesellschaftsrecht auf.


Europäischer Binnenmarkt

Ein Kernstück des gemeinsamen Binnenmarktes ist die Wirtschafts- und Zollunion. Das wird bereits histo­risch deutlich, da die EU ursprünglich als Handels- und Zollunion gegründet worden ist und die Abschaffung von Zöllen und anderer Abgaben den grenzüberschreitenden Handel innerhalb der EU erst gefördert und vereinfacht hat.

Im Falle eines harten Brexits werden die Regelungen des Binnenmarktes durch die regulären Vorschriften des Zollrechts ersetzt.


Warenlieferungen von und nach Großbritannien werden ab dem 29. März 2019 dadurch teurer und faktisch erheblich erschwert werden. Der Handel zwischen den Mitgliedstaaten der EU und dem UK wäre folglich wie der Handel mit Drittstaaten zu behandeln – eine Situation, die für Unternehmen im internationalen Güterhandel grundsätzlich nicht Unbekannt ist. Ob ein deutsches Unternehmen Waren aus Chile einführt oder aus England, ist dann, rechtlich gesehen, als vollkommen gleichwertig anzusehen.

Dass die Parteien auch nach dem Brexit nicht die in über 45 Jahren entstandenen wirtschaftlichen Ver­flechtungen und gegenseitigen Privilegierungen aufgeben wollen, wird in der vorläufigen, am 25. November 2018 verabschiedeten Erklärung zum Austritt des UK aus der EU („Erklärung”) deutlich.

In Nummer 17 der Erklärung findet sich die Absicht, auch künftig eine ambitionierte, weitreichende und ausgewogene ökonomische Partnerschaft zu führen. Hiervon umfasst sollen eine Freihandelszone sowie enge Handelsbeziehungen sein (Nummer 20). Wie genau das in der Praxis aussehen wird, muss sich erst zeigen, sodass weiterhin erhebliche Unsicherheiten bestehen.


Verträge und Rechtswahl

Auf bereits bestehende Verträge – wo grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist – wird der Brexit in rechtlicher Hinsicht keine Auswirkungen haben.

Abzustellen ist – wie bisher – auf die Rechtsordnung Großbritanniens, die zwar vom Europarecht geprägt wurde, allerdings immer als eigene Rechtsordnung bestanden hat. Der Einfluss durch die EU-Gesetzgebung entfällt, wie auch in Nummer 21 der Erklärung klargestellt wird.

Unabhängig von der Mitgliedschaft einzelner Staaten in der EU unterliegen Verträge der Vertragsfreiheit, die es jedem einzelnen ermöglicht, zu entscheiden, ob und wie er einen Vertrag schließen möchte. Dabei sind die Vertragsparteien autonom, wobei die Entscheidung für die anwendbare Rechtsordnung ebenso wie Inhalte und Gestaltung der Verträge den Parteien obliegen. Probleme sind vorstellbar im Hinblick auf die Frage, welches Recht auf den konkreten Vertrag anwendbar ist.

Bei bereits bestehenden Verträgen bestimmt sich das für diese Verträge anwendbare Recht nach einer wirksam getroffenen Rechtswahl, oder – wurde keine Wahl getroffen – nach der Rom-I-Verordnung über das auf Verträge anzuwendende Recht. Die Rom-I-Verordnung gilt für alle Verträge, die während der Zugehörigkeit des UK zur EU abgeschlossen wurden.

Im Hinblick auf künftige Verträge empfiehlt sich die Aufnahme einer Rechtswahlklausel, um Unsicherheiten zu vermeiden. Unterbleibt eine solche, muss auf die Grundsätze des internationalen Privatrechts zurückgegriffen werden, wonach sich das anwendbare Recht typischerweise nach dem Ort der Erbringung der vertragstypischen Leistung richtet.


Vollstreckung von Titeln

Im Gegensatz zu Verträgen, wo auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, ist bei der Vollstreckung von Titeln auf den Zeitpunkt des Vollstreckungsversuchs abzustellen. Grundsätzlich sieht das Europarecht eine vereinfachte Vollstreckbarkeit von Titeln der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten vor. Das Europäische Vollstreckungsverfahren, das Zwangsvollstreckungsmaßnahmen innerhalb der EU erleichtert, entfällt aber bei einem ungeregelten Austritt aus der EU.

Mangels neuer Regelungen gälte im Verhältnis zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich das deutsch-britische Abkommen. Letzteres enthält Regelungen zur Vollstreckung von Urteilen, die auf eine Zahlung einer bestimmten Geldsumme lauten. Jedoch ist eine deutsche Entscheidung im Vereinigten Königreich laut Art. VI des Abkommens bei den dortigen Gerichten zu registrieren, bevor mit der Voll­streckung begonnen werden kann. Gemäß Art. VII des Abkommens ist für die Vollstreckung von Urteilen aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung notwendig. Das bedeutet, dass mit der Vollstreckung erst begonnen werden kann, wenn das Vollstreckungsurteil vorliegt. Das kann zu einer erheblichen Verzögerung des Vollstreckungsbeginns führen. Hinzu kommt, dass Art. III des Abkommens Gründe für die Versagung der Anerkennung aufzählt, die weitergehen als die in der EuGVO genannten Versagungsgründe. Das kann dazu führen, dass einem derzeit anerkennungs- und vollstreckungs­fähigen Urteil nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU die Anerkennung und Vollstreckung versagt wird.

Sicherheit wird hier bereits heute die Vereinbarung einer Schiedsklausel geben, denn das UK ist – wie z.B. auch Deutschland – Mitglied des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New York Convention 1959). Danach werden Schiedssprüche, die in einem Mitgliedstaat erlassen wurden, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt.


Gesellschaftsrechtliche Fragen

Gesellschaften, die die britische Unternehmensform der britischen Limited Liability Company (Limited) gewählt haben, stehen vor einem ungewissen Schicksal. Die Gesellschaftsform kann mit ihrer Haftungs­beschränkung als Gegenstück zur deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung gesehen werden und war häufig aus dem Grund interessant, dass sie – im Gegensatz zur GmbH – kein Stammkapital i.H.v. 25.000 Euro verlangt hat.

Das deutsche Gesellschaftsrecht an sich kennt einen sog. Numerus clausus der Gesellschaften. Das bedeutet dem Grunde nach, dass in Deutschland nur solche Gesellschaften zugelassen sind, die das deutsche Gesellschaftsrecht kennen. Bei Kapitalgesellschaften sind das die AG, die GmbH und die UG (haftungsbeschränkt) sowie Mischformen – z.B. die GmbH & Co KG. Nach der mehrheitlich vertretenen Sitztheorie ist für die Anerkennung einer Gesellschaft das Recht maßgeblich, das am Ort ihres Sitzes gilt – in dem Sinne der Sitz der Verwaltung der Gesellschaft. Der rechtlich denkbare Anknüpfungspunkt, wo und nach welchem Recht die Gesellschaft gegründet ist – das wäre nach der abweichenden Gründungstheorie maßgeblich – ist für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Gesellschaftsform demnach nicht erheblich. Diese Frage ist nicht nur auf dem Papier von Interesse, sondern sie stellt u.a. die Weichen für die essentielle Frage, ob die Haftungsbeschränkung im jeweiligen Land – hier in Deutschland – ihre Wirkungen entfaltet.
Nur aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – eines Organs der EU – ist es auch möglich, Zweigniederlassungen von Gesellschaften anderer EU-Rechtsordnungen im deutschen Handelsregister eintragen zu lassen, dann den Verwaltungssitz zu verlegen und faktisch zu einer Anerkennung der Haftungsbeschränkung einer Limited in Deutschland zu gelangen. Hintergrund für die Entscheidung war, dass eine abweichende Rechtsauffassung faktisch zu einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit von EU-Bürgern oder EU-Gesellschaften führen würde. Dieses Argument an sich entfällt aber für englische Gesellschaften nach dem Austritt aus der EU. Sie drohen zur offenen Handelsgesellschaft (OHG) oder Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) zu werden und dabei ihre Haftungsbeschränkung zu verlieren. Denn eine Limited erfüllt nicht eo ipse die Voraussetzungen einer GmbH, sodass sie nicht ohne weiteres Zutun in eine solche umgewandelt werden könnte. Zu erwägen ist daher, hier kurzfristig und rechtzeitig aktiv zu werden, um unnötige Risiken zu vermeiden.


Fazit

Der Brexit stellt Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen. Den verhandelnden Parteien ist es schließlich nicht gelungen, den Brexit in der Übergangszeit zwischen dem Referendum und dem tat­sächlichen Austritt Großbritanniens aus der EU umfassend und rechtssicher zu regeln.

Um negative Auswirkungen für die Zukunft zu vermeiden und für alle Eventualitäten abgesichert zu sein, sollten alle Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen in das Vereinigte Königreich bereits jetzt eventuelle Risiken prüfen lassen.

Kontakt

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Frank J. Bernardi

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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