Weitere Digitalisierung in der Umsatzsteuer – Deep Inside Italien: Die E-Rechnung nach italienischem Vorbild

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​​​​​​​​​​veröffentlicht am 5. Oktober 2021 / Lesedauer ca. 5 Minuten
 

Seit 1. Januar 2019 besteht in Italien ein verbindliches Rechnungsstellungsystem (sog. „E-Rechnung”), das für bestimmte Unternehmer zur Abrechnung aller inländischen Lieferungen und Dienstleistungen obligatorisch ist. Die E-Rechnung ist in dieser Aus­gestaltung bisher EU- und weltweit einmalig. Sie wird nach den sehr guten prakti­schen Erfahrungen und Auswirkungen auf das Steueraufkommen bei der Umsatz­steuer und bei den direkten Steuern mehr und mehr, auch durch die EU-Kommission, als Vorbild mit viel Potenzial gewertet. Die Anwendung der E-Rechnung soll in Italien im Jahr 2022 auch auf EU-grenzüberschreitende Geschäftsvorfälle ausgeweitet werden. Daher scheint es Zeit, sich mit Inhalt und technischen Anforderungen einer E-Rechnung zu beschäftigen. Denn eine Ausdehnung auf andere EU-Mitgliedstaaten, auch auf Deutschland, erscheint sehr wahrscheinlich.

  

  

 

Seit 1. Januar 2019 ist die sog. „E-Rechnung” in Italien obligatorisch für die Allgemeinheit der italienischen Unternehmer (im B2B-, B2C-, B2G-Geschäft) und zur Abrechnung aller inländischen Lieferungen und Dienstleistungen implementiert. Das Rechnungsstellungssystem wurde mit umsatzsteuerlicher Intention seitens der EU auf Antrag Italiens als Ausnahmeregelung genehmigt (an sich befristet bis Ende 2021), um das hohe Ausmaß an Steuerhinterziehung und (Umsatz-)Steuerbetrug zu reduzieren.
 
Diese Form der E-Rechnung ist von der Abbildung her und dem technischen Prozess der Erteilung sowie Übermittlung (mit Zusammenspiel zwischen Lieferant / Dienstleister, Kunde und Finanzverwaltung) EU- und weltweit einmalig und gilt mehr und mehr als Vorbild. Die Rechnungen, Gut- und Lastschriften sind im einheitlichen XML-Format zu erstellen („Fattura PA“) und ausschließlich über eine behördliche (zentrale Übermittlungs-)Plattform auszutauschen („Sistema di Interscambio“, kurz: SdI, von der Finanzbehörde zur Verfügung gestellt). Die Verwendung des vorgegebenen Formats und der Austausch der Rechnungen über SdI sind Voraussetzungen für einen (umsatzsteuerlichen) Vorsteuerabzug beim Unternehmerkunden und für die (ertragsteuerliche) Abzugsfähigkeit von Aufwendungen.
 
Das Dokument „Rechnung” mit all den zu beachtenden Formalien zur Ordnungsmäßigkeit hat im Umsatzsteu­er­recht seit jeher zentrale Bedeutung, um ein Umsatzgeschäft zu dokumentieren und beim unternehmerischen Leistungsbezug einem Unternehmerkunden grundsätzlich einen Vorsteuerabzug zu sichern.
 
Mit ihrer Erfolgsgeschichte zur Ausgestaltung des Dokuments sowie der Übermittlungsform und den Aus­wirkungen auf einen Vorsteuerabzug könnte die E-Rechnung nun Anwendung auf gesamteuropäischer Ebene finden. Zugleich stellt die Form der elektronischen Abbildung der Rechnungsstellung und des Übermittlungs­prozesses einen großen Schritt weiterer Digitalisierung in Verbindung zur Finanzverwaltung dar.

 

Europäischer und deutscher Status quo „Digitalisierung“

Im Fokus der bisherigen Digitalisierungsbestrebungen in der Steuerverwaltung stehen v.a. die digitale Abgabe von Steuererklärungen sowie die Formen, wie steuerrelevante Daten bereitzustellen sind. Als Meilenstein gelten das beinahe Real-Time-Reporting in Spanien und Ungarn, die SAF-T in Polen, Portugal oder Frankreich, Making Tax Digital for VAT in UK  und nun die E-Rechnung mit SdI in Italien.
 
In Deutschland kennen wir v.a. die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei einer Betriebsprüfung über die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GdPdU) sowie diverse Tools der Finanzverwaltung (z.B. ELSTER, NACHDiGAL, RaBe, DIVA). Betreut werden diverse Forschungsprojekte, etwa zur Überprüfung und zum Nachweis der Unternehmensidentitäten im grenzüberschreitenden Online-Handel (Blockchain-RegID). Auch ist seit 2017 auf Basis der EU-Richtlinie 2014/55 die elektronische Rechnungs­stellung im öffentlichen Auftragswesen mit Empfang und Verarbeitung elektronischer Rechnungen durch öffentliche Auftragsgeber verpflichtend. Zwar kennt das deutsche und europäische Umsatzsteuerrecht die elektronische Rechnung seit Langem, die in einem elektronischen Format ausgestellt und empfangen wird, z.B. Rechnungsversand per E-Mail, als PDF oder Textdatei, als E-Mail-Anhang oder Web-Download. Sie erfolgt jedoch in einer „Zweier-Beziehung“ und ist noch entfernt von der italienischen E-Rechnung.
 

Überblick: Das italienische E-Rechnungssystem

Mit dem italienischen Haushaltsgesetz 2018 (Nr. 205 / 2017) wurde die Verpflichtung zur elektronischen Rechnungsstellung ausgeweitet. Es handelt sich um eine Abweichung von den Regeln der Richtlinie 2006 / 112 / EG, weshalb eine entsprechende Sondergenehmigung auf europäischer Ebene notwendig war. Begründet wurde die Beantragung dieser Sonderregelung mit der enormen italienischen Steuerlücke von geschätzten 107 Mrd. Euro, davon rund 35 Mrd. Euro bezogen auf Umsatzsteuerausfälle. Das war der höchste absolute Wert in der EU.
 
Die Abrechnung mittels E-Rechnung ist derzeit verpflichtend vorgesehen für alle erbrachten Warenlieferungen und Dienstleistungen durch Unternehmer mit Sitz oder Niederlassung/Betriebsstätte in Italien. Dazu gehören Handelsgeschäfte sowohl mit italienischen Umsatzsteuersubjekten (B2B) als auch mit Privatpersonen (B2C) und Personen der öffentlichen Hand (B2G). Ausgenommen sind derzeit Lieferanten und Dienstleister, die nicht in Italien ansässig sind, auch wenn sie dort für Umsatzsteuerzwecke registriert sind. Sie können in Zweier-Beziehung die Rechnung stattdessen im Papierformat oder elektronisch nach den zugelassenen Wegen erteilen. Ebenso sind Rechnungen, die von italienischen Unternehmen an nicht in Italien ansässige Kunden/ Empfänger ausgestellt werden, von der Pflicht zur Übermittlung als E-Rechnung befreit  –  also bestimmte Konstellationen im EU-grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr.
 
Optional können Rechnungen für „EU-Transaktionen“ im E-Format gesendet werden, wobei eine Kopie der Rechnung auf herkömmliche Weise an den Leistungsempfänger übermittelt wird.
 
Ganz aktuell ist darauf hinzuweisen, dass nach italienischem Haushaltsgesetz 2021 einige Änderungen in Bezug auf die Übermittlung von Steuerdaten eingeführt wurden. Nach Absatz 1103 ist vorgesehen, dass bei Umsätzen mit nicht in Italien ansässigen Rechtsträgern ab dem 1. Januar 2022 die Übermittlung von Daten nicht mehr über das sog. „Esterometro“, sondern über das SdI erfolgen soll. Dadurch werden die Ausstellung der E-Rechnungen an ausländische Vertragsparteien sowie elektronische Gutschriften für den Leistungsbezug aus dem Ausland zur Verpflichtung gemacht; das Esterometro-System wird überflüssig. Das bedingt, dass seitens der EU die Genehmigung zur E-Rechnungsstellung in Italien verlängert würde.
 

Wie der Prozess der italienischen E-Rechnung funktioniert

Zunächst wird die E-Rechnung in XML über eine elektronische Rechnungssoftware erstellt. Das Format wird „FatturaPA“ genannt. Es handelt sich um einen digital strukturierten Datenstrom mit dem gleichen Informationsgehalt wie eine Papierrechnung, jedoch in XML-Sprache. Die Auswahl der verwendbaren Rechnungssoftware ist groß: Die italienische Finanzbehörde selbst stellt drei Programmarten zur Generierung der E-Rechnung kostenlos zur Verfügung. Alternativ können sich Unternehmer für identifizierbare private Software entscheiden.

 

Die E-Rechnung muss vom Rechnungsaussteller oder seinem Vermittler digital mit einer qualifizierten elektronischen Signatur unterzeichnet werden, um Herkunft und Inhalt zu garantieren. Anschließend wird die Rechnung durch das Austauschsystem der Steuerbehörde SdI an den Empfänger gesendet. Das SdI-System ist laut Gesetz obligatorischer Durchgangspunkt für alle E-Rechnungen, womit SdI als „Briefträger“ zwischen den beiden am Umsatz beteiligten Parteien fungiert.
 
Was die für die Rechnung erforderlichen formellen Angaben betrifft, so bleiben die Mindestangaben (Name des Leistenden und Leistungsempfängers, Umsatzsteuernummer, Datum, Beschreibung der Menge und Qualität der verkauften Waren, Steuerbemessungsgrundlage, Steuersatz, Umsatzsteuer usw.) unverändert. Was die E-Rechnung von der traditionellen Rechnung per Papier oder elektronischer Übertragung unterscheidet, ist die Anzeige der Telematikadresse, an die das SdI das Dokument senden muss. Es gibt drei verschiedene Arten der Telematikadresse, da jede von ihnen für einen bestimmten Benutzertyp vorgesehen ist:

  • PEC-Adresse (für Unternehmen geeignet, die wenige Rechnungen verwalten müssen),
  • Empfängercode (persönlicher 7-stelliger alphanumerischer Code: diese Option ist nützlich für strukturiertere Unternehmen, die ein entwickeltes elektronisches Rechnungssystem benötigen),
  • numerischer Code 0000000 (wenn der Kunde keine der oben genannten E-Invoicing-Adressen mitgeteilt hat, z.B. Nichtunternehmer).

 

Da das SdI-System wie eine (Übermittlungs-)Plattform zum Austausch strukturiert wurde, besteht die Hauptaufgabe in der Durchführung einiger Kontrollen, z.B.:

  • Sind die Mindestinformationen auf der E-Rechnung zutreffend enthalten, bspw. angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Lieferanten und des Leistungsempfängers zutreffend?
  • Enthält die E-Rechnung die Telematikadresse des Empfängers?
  • Besteht Konsistenz zwischen Betrag der Bemessungsgrundlage (Entgelt), Steuersatz und Umsatzsteuerbetrag?
     

Sind diese Validierungen erfolgreich, liefert SdI die E-Rechnung an die Telematikadresse. Gleichzeitig sendet SdI eine Zustellungsbestätigung mit Datum und Uhrzeit der Zustellung an die Person, die die Datei gesendet hat. Werden die Kontrollen im SdI nicht bestanden, wird innerhalb von fünf Tagen eine Ablehnungsmitteilung der Datei an die übermittelnde Partei zugestellt; die E-Rechnung gilt dann als nicht ausgestellt. Anders verhält es sich, wenn die Telematikadresse nicht aktiv ist. Dann gilt die Rechnung als an den Lieferanten ausgestellt, aber noch nicht endgültig für Steuerzwecke als beim Kunden eingegangen.

 

Erfolg der italienischen E-Rechnungsstellung

Die Einführung der elektronischen Rechnung kann trotz des anfänglichen Misstrauens der Marktteilnehmer zumindest vorläufig als erfolgreich bezeichnet werden. „Im B2B-Bereich ist die Digitalisierung vor allem durch regulatorische Verpflichtungen vorangekommen, und heute haben 78 Prozent der Unternehmen zumindest die elektronische Rechnungsstellung in ihrem Unternehmen eingeführt. Investitionen in Integration und Zusammenarbeit breiten sich auch auf kleinere und weniger strukturierte Unternehmen aus“ erklärt Riccardo Mangiaracina, wissenschaftlicher Leiter des Digital B2b Observatory (School of Management des Politecnico di Milano).
 
Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung des Digital B2b Observatory, die im Jahr 2020 – und damit mehr als ein Jahr nach der Einführung der elektronischen Rechnungsstellung – entstanden sind, zeigen, dass von der Gesamtzahl der übermittelten E-Rechnungen 57 Prozent auf Großunternehmen, 23 Prozent auf KMU und die restlichen 20 Prozent auf Kleinstunternehmen und Einzelunternehmer entfallen. Außerdem wurden 45 Prozent der Rechnungen an Unternehmer (B2B), 44 Prozent an Endverbraucher (B2C) und 1 Prozent an den öffentlichen Sektor (B2G) erteilt.
 
Zu sehen sind auch erste Erfolge im Kampf gegen Steuerhinterziehung. So ergaben sich höhere Umsatz­steuereinnahmen von ca. 2 Mrd. Euro; die Gesamteffekte des neuen Telematik-Steuersystems belaufen sich auf insgesamt ca. 3,5 Mrd. Euro.

 

Ausblick E-Rechnung

Dass die Ausdehnung eines solchen elektronischen Rechnungsstellungs- und Rechnungsübermittlungs­systems seitens der EU weiter verfolgt wird, wird derzeit nicht nur mündlich in Vorträgen durch Vertreter des Mehrwertsteuerausschusses der EU-Kommission berichtet, sondern findet sich auch für den Bereich der indirekten Steuer als ein Ziel neben der Vermeidung von Steuerhinterziehung / -ausfall und der Reduzierung von Tax Compliance-Kosten für alle Unternehmer seitens der EU in deren veröffentlichten Action Plan „For fair and simple taxation supporting the recovery strategy“ (COM (2020) 312 vom 15. Juli 2020). Darin wird explizit vom Ausbau elektronischer Kostenbeteiligung und weiterer digitaler Lösungen gesprochen.
 
Mit Antrag (19 / 26534) vom 9. Februar 2021 forderte auf deutscher Ebene die FDP-Fraktion die Bundes­regierung auf, schnellstmöglich ein der italienischen SdI vergleichbares elektronisches Meldesystem einzuführen, um Mehrwertsteuerbetrug wirksamer zu unterbinden. Daher bietet es sich an, die elektronische Rechnungsstellung in Italien und auch die geplanten Erweiterungen dazu für EU-Transaktionen vorzustellen, um zu verstehen, was in Fällen einer solchen Einführung in Deutschland auf Unternehmer zukommt, welcher Vorbereitungsaufwand bzw. welche Kosten drohen.

 

Die italienische Vorarbeit ist für Europa und Deutschland ein Glücksfall. Zu klären sind derzeit in Bezug auf eine Übertragbarkeit auf die einzelnen nationalen Rechtssysteme der EU etwa Fragen zu den Übertragungswegen und datenschutzrechtlichen Aspekten bzw. zur Datensicherheit und -archivierung.
 
Vorteilhaft ist sicher die Reduzierung behördenseitiger Rückfragen zum Vorsteuerabzug, die weitere Digitali­sierung der Buchhaltung und Minimierung von Medienbrüchen in der Verarbeitung von Kundenaufträgen. Für die geplante Ausdehnung des OSS-Verfahrens in der EU für alle grenzüberschreitenden Warenlieferungen und Dienstleistungen sowie der Umsetzung des angestrebten endgültigen Mehrwertsteuersystems (mit Wegfall etwa der innergemeinschaftlichen Lieferung und eines korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den Leistungsempfänger und stattdessen Besteuerung im Bestimmungsland der Ware oder Dienstleistung durch den leistenden Unternehmer) ist sicher auch die geplante Erweiterung der italienischen E-Rechnung auf EU-Fälle ein Wegbereiter, so dass die E-Rechnung nach italienischem Vorbild mittelfristig recht wahrscheinlich für die ganze EU erscheint.

 Bitte beachten Sie

  • ​Die Verpflichtung zur E-Rechnung besteht für alle in Italien steuerbare und steuerpflichtige Lieferungen von Waren und Dienstleistungen durch Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung / Betriebsstätte in Italien.
  • Ab 1. Januar 2022 wird die Verpflichtung zur E-Rechnung auch auf intra-EU-Transaktionen ausgeweitet, was zur Abschaffung des italienischen „Esterometro“ führen wird.
  • Für Rechnungsstellungen an oder von einem in Italien ansässigen Unternehmen (z. B. Tochtergesellschaft) über in Italien steuerbare und steuerpflichtige Umsätze ist für ausländische Unternehmen zunächst keine Auswirkung zu erfahren. Die Abbildung der E-Rechnungsvorgaben erfolgt grundsätzlich durch die in Italien ansässigen Unternehmen bezogen auf inbound- und outbound-Fälle.
  • Der gesamte Prozess der elektronischen Rechnungsstellung (E-Rechnung) kann von einem Vermittler durchgeführt werden, der die Rechnungsstellungssoftware nutzt und alle Rechnungen für das Unternehmen versendet.

 

Aus Sicht des italienischen Staates kann die E-Rechnungseinführung derzeit als Erfolg bezeichnet werden und wird daher erweitert.

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