Grenzüberschreitende Steuergestaltung – EU-Meldepflicht und Überprüfung ausgewählter Geschäfte

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veröffentlicht am 12. Juni 2019
 
Alle seit dem 25. Juni 2018 abgewickelten grenzüberschreitenden Geschäfte müssen aufgrund der Vorschriften über meldepflichtige Steuergestaltungen (engl. „Mandatory Disclosure Rules”, kurz: MDR) daraufhin überprüft werden, ob sie nicht zufällig die Merkmale einer Steuergestaltung er­füllen. Die Vorschriften führen nämlich die rückwirkende Pflicht ein, Informationen zu übermitteln. Je nach Land ist der Pflicht vom 30. Juni 2019 bis zum 30. Juni 2020 nachzukommen.
 

Meldepflichtige Geschäfte

Die Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates vom 25. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU zum „verpflichtenden automatischen Informationsaustausch im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen” ist als Grundlage für das Inkrafttreten der Vorschriften über melde­pflichtige Steuergestaltungen zu sehen (also eines Mechanismus zur obligatorischen Offenlegung von Infor­mationen über Steuergestaltungen). Auf Grundlage der Richtlinie müssen die EU-Staaten, die die EU-Regelung implementieren, die Vorschriften bis zum 31. Dezember 2019 verabschieden und ab dem 1. Juli 2020 die Meldepflicht für Geschäfte einführen. Polen ist bisher der einzige Mitgliedstaat, in dem die Vorschriften bereits gelten (seit dem 1. Januar 2019). In mehreren Ländern (Tschechien, Slowakei, Schweden und den Nieder­landen) sollen sie zum 1. Januar 2020 und in Deutschland sowie Kroatien zum 1. Juli 2020 in Kraft treten. Die übrigen Mitgliedstaaten befinden sich noch auf der Etappe breit angelegter Konsultationen, die der Implementierung vorausgehen.

 

Auf den ersten Blick scheint es, als beträfe die Meldepflicht nur den relativ engen Kreis der Unternehmen, die aggressive Steueroptimierung betreiben und den Fiskus wesentlichen Steuerverlusten aussetzen. Doch der Schein trügt.

 

Die meisten denken bei einer Steuergestaltung an eine absichtliche Handlung, an die Errichtung einer bestimmten Struktur, die sich die Lücken im Steuerrecht zunutze macht und so die Erzielung steuerlicher Vorteile ermöglichen soll. Es scheint, als sei das die richtige Auslegung des Begriffs. Grundsätzlich muss die Steuergestaltung Element einer aggressiven Steueroptimierung sein. Und wie ist es in Wirklichkeit?

 

Gemäß den Vorschriften stellt eine Steuergestaltung eine Gestaltung dar, die:

  1. den „Main benefit”-Test erfüllt und ein allgemeines Kennzeichen aufweist;
  2. ein besonderes Kennzeichen aufweist oder
  3. ein sonstiges besonderes Kennzeichen aufweist.

Das Hauptkriterium, dessen Erfüllung zur Meldepflicht führt, ist also der „Mainbenefit”-Test. Er gilt als zu­treffend, wenn sich aus den bestehenden Umständen und Tatsachen ergibt, dass ein Rechtsträger, der ver­nünftig handelt und andere rechtmäßige Ziele als die Erwirtschaftung eines steuerlichen Vorteils verfolgt, vernünftigerweise eine andere Vorgehensweise wählen könnte, die keinen steuerlichen Vorteil mit sich bringen würde.

 

Unter einer Gestaltung ist Folgendes zu verstehen:

  1. eine Handlung oder mehrere miteinander verbundene Handlungen,
  2. eine geplante Handlung oder mehrere geplante Handlungen,

…bei denen mindestens eine Partei Steuerpflichtiger ist bzw. die auf die Entstehung/Nichtentstehung einer Steuerpflicht Einfluss haben oder haben können.

 

Die Novellierung hat Meldepflichten eingeführt, die nicht nur von Personen, die rechtliche und steuerliche Dienstleistungen erbringen, sondern auch von denjenigen zu erfüllen sind, die die Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Zu den Personen, denen die Meldepflicht obliegt, gehört v.a. der Intermediär. Ein Rechtsträger gilt als Intermediär, wenn er die Gestaltung erarbeitet, angeboten, zugänglich gemacht oder implementiert bzw. deren Implementierung zugunsten eines relevanten Steuerpflichtigen angeordnet hat. Intermediäre können sein: Steuerberater, Rechtsanwälte, Mitarbeiter von Finanzinstituten und in manchen Fällen der Finanzdirektor, der für die Steuerstrategie eines Konzerns verantwortlich ist. Okkasionell geht die Meldepflicht auf den relevanten Steuerpflichtigen über – z.B. wenn es keinen Intermediär gibt oder, wenn er nicht von der beruflichen Schweigepflicht entbunden wird. In Ausnahmefällen kann die Pflicht zur Meldung einer unterstützenden Person obliegen, der nur ein Teil der Gestaltung vorliegt (Wirtschaftsprüfer, Notar, Buchhalter, Finanzdirektor, Bankmitarbeiter).

 

Die Meldung von Steuergestaltungen besteht in der Übermittlung von Informationen, die potenziell mit einer aggressiven Optimierung oder Missbräuchen mit einer Steuerplanung verbunden sind, an die Finanzverwal­tungsbehörden. Jeder Mitgliedstaat soll dazu eigene technische Werkzeuge erarbeiten, die es ermöglichen, ausgewählte Geschäfte zu melden. Es scheint, als wäre das lediglich eine Statistik, aber die Strafen für die Nichtübermittlung von Informationen können durchaus empfindlich sein. In Polen beträgt die maximale Geld­strafe für einen solchen Rechtsträger bis zu 21,6 Mio. Polnische Zloty (PLN). Wird kein internes Verfahren eingeführt, kann eine Strafe von 10 Mio. PLN drohen – sofern die finanzrechtliche Straftat, d.h. die Nicht­erfüllung der Pflichten gemäß den Vorschriften über meldepflichtige Steuergestaltungen, in einem rechtskräftigen Gerichtsurteil festgestellt wurde.

 

Polen hat voreilig gehandelt

Polen hat die Regelungen zu meldepflichtigen Steuergestaltungen eineinhalb Jahre früher eingeführt als erforderlich und wendet sie bereits an. Zusätzlich geht der Geltungsbereich der Regelung erheblich über den Mindeststandard der Richtlinie hinaus.


1. Der Meldepflicht unterliegen grundsätzlich grenzüberschreitende Gestaltungen. In Polen fallen unter die Meldepflicht jedoch auch inländische Gestaltungen, die Kennzeichen aufweisen, die auf die Absicht hindeuten, eine Besteuerung zu vermeiden.

 

2. Das polnische Finanzministerium hat am 31. Januar 2019 umfangreiche Erläuterungen zu den Vorschriften über meldepflichtige Steuergestaltungen veröffentlicht. Wer die Erläuterungen befolgt, wird sich unter einem Schutzschirm befinden.

 

3. Alte Steuergestaltungen sind bis zum 30. Juni 2019 durch Intermediäre sowie bis zum 30. September 2019 durch relevante Steuerpflichtige offenzulegen bei:

1. grenzüberschreitenden Gestaltungen seit dem 25. Juni 2018;

2. sonstigen Gestaltungen seit dem 1. November 2018.

 

4. Bei anderen als grenzüberschreitenden Gestaltungen muss die jeweilige Gestaltung das Kriterium des relevanten Steuerpflichtigen erfüllen (mindestens 10 Mio. Euro Umsatz im vorausgehenden oder laufenden Geschäftsjahr).


5. Tätigkeiten, die auf die Erlangung von Steuervorteilen abzielen, sind die Nutzung von Vergünstigungen, Befreiungen, Abzügen, Umstrukturierungsmaßnahmen, unterschiedlichen Rechtsformen zur Ausübung einer Gewerbetätigkeit oder Abschreibungsmethoden. Mit dem Einsatz dieser Instrumente soll ein Steuervorteil erzielt werden.

 

6. Eine der in der Praxis am häufigsten vorkommenden Umstrukturierungsmaßnahmen ist die Umwandlung einer polnischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine Kommanditgesellschaft. Diese Maßnahme, die bisher keinen Anlass zu größeren Bedenken gab, ist gegenwärtig als Steuergestaltung zu melden (bei der Erfüllung des Kriteriums des relevanten Steuerpflichtigen aus dem obigen Punkt 4). Eine der Hauptfolgen der Umwandlung ist die Abschaffung der doppelten Besteuerung mit der Ertragsteuer.


7. Zu den meldepflichtigen Geschäften (bei der Erfüllung des Kriteriums des allgemeinen Kennzeichens) wird der Erwerb eines verlustbringenden Unter­nehmens bzw. die Einstellung der Haupttätigkeit durch ein Unter­nehmen gehören, um dessen Verluste zu nutzen bzw. die Nutzung der Verluste zu beschleunigen (auch grenzüberschreitend).

 

8. Bei grenzüberschreitenden Gestaltungen ist z.B.: 

1. als Gestaltung auch eine Situation zu verstehen, die zur Erfassung grenzüberschreitender Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen (Headquarter Fee, Management Fee, Lizenzgebühren, Dividenden, Zinsen usw.) unter den abzugsfähigen Betriebsausgaben in dem Land führt, in dem der Empfänger seinen Wohnsitz, Sitz oder seine Geschäftsleitung hat.

2. eine Situation meldepflichtig, in der es zwischen verbundenen Unternehmen zur Übertragung von Funktionen, Risiken oder Aktiva kommt, wenn das voraussichtliche Jahresergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) des übertragenden Unternehmens bzw. der übertragenden Unternehmen in einem Zeitraum von drei Jahren nach der Übertragung weniger als 50 Prozent der voraussichtlichen jährlichen EBIT-Kennzahl betrüge, wenn die Übertragung nicht stattgefunden hätte.

3. eine Steuergestaltung ebenfalls gegeben, wenn es zur Übertragung der Eigentumsrechte an immateriellen Vermögensgegenständen kommt, die schwer zu bewerten sind.


9. Die zur Meldung von Steuergestaltungen verpflichteten Rechtsträger hatten in Polen die ersten Berichte innerhalb einer bis zum 28. Februar 2019 verlängerten Frist zu erstatten (anstatt der standardmäßigen 30 Tage nach Einführung der Steuergestaltung). Seit März wird das polnische Finanzministerium mit Anträgen buch­stäblich überschüttet. Sowohl Intermediäre als auch relevante Steuerpflichtige begegnen den neuen Vorschriften mit Misstrauen und Vorsicht. Frei nach dem Motto: Besser mehr berichten als zu wenig. Das Ministerium kann mit der Anzahl der Meldungen nicht mithalten. 


10. Die meisten Meldungen betreffen marktfähige Steuergestaltungen, ohne dabei die Daten des Steuer­pflichtigen offenzulegen – da der Steuerberater nicht von seiner beruflichen Schweigepflicht entbunden wurde. Die Berater empfehlen, sie nicht von ihrer beruflichen Schweige­pflicht zu entbinden. Am Ende des Quartals legen die Intermediäre einen zusätzlichen Bericht vor, in dem anzugeben ist, wie viele marktfähige Steuergestaltungen der Intermediär im betreffenden Bereich eingeführt hat. 


11. Am 9. Mai 2019 hat der Vorsitzende der polnischen Landeskammer der Steuerberater im Namen der beruflichen Selbstverwaltung gegen die polnischen Vorschriften über die Meldung von Steuergestaltungen beim EuGH Klage eingereicht.

 

Gemäß den OECD-Empfehlungen im Bericht „Action 12 – 2015 Final Report Mandatory Disclosure Rules” soll es die Meldung von Steuergestaltungen der Steuerverwaltung ermöglichen, frühzeitig auf sich ergebende Gestaltungen aggressiver Steuerplanung oder Lücken bei der Auslegung von Steuervorschriften zu reagieren, bevor sie als schädliche Marktpraxis verbreitet werden. Die neue Pflicht ist bei sämtlichen grenzüberschreitenden Geschäften und der Steuerplanung zu beachten.

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