Unvorhergesehene Lieferengpässe und Preissteigerungen bei Bauvergaben

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​veröffentlicht am 1. Februar 2023




Die Materialkosten für Bauvorhaben sind in den vergangenen zwei Jahren enorm gestiegen. Lieferschwierigkeiten führen zu massiven Zeitverzögerungen in Bauprojekten. Auftraggeber und Auftragnehmer stehen weiterhin vor der Herausforderung, einen für beide Seiten gangbaren Weg zu finden. 


Die Ursachen für Preissteigerungen und Lieferengpässe bei Bauvergaben sind unterschiedlichster Natur. So spielt nach wie vor die Corona-Pandemie eine entscheidende Rolle. Denn während der Lockdown-Phasen haben viele Unternehmen ihre Produktion weit heruntergefahren. Als die Wirtschaft wieder in Gang geriet, konnten die Kapazitäten nicht so schnell wieder hochgefahren werden, wie es die Nachfrage erfordert hätte. Zudem leidet Deutschland weiterhin unter einem Fachkräftemangel. Nicht zuletzt tragen außerdem die Kriegsereignisse in der Ukraine zu Schwierigkeiten bei Bauprojekten bei. Materialien, die aus den Kriegsgebieten bezogen wurden, sind nicht mehr lieferbar, die Strom- und Gaspreise sind in die Höhe geschossen. 

Auswirkungen auf bestehende Verträge

Im deutschen Vertragsrecht gilt zunächst der Grundsatz „Pacta sunt servanda” – Verträge sind bindend. Die aktuelle Gemengelage berechtigt demnach keine der Vertragsparteien zu einer einseitigen/automatischen Anpassung bestehender Verträge. Vielmehr bleiben diese zunächst genauso bestehen, wie sie abgeschlossen worden sind. 

Daneben ist die öffentliche Hand stets an das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden. Demnach sind vom Grunde her Festpreise zu vereinbaren, wie es in der Vergangenheit auch durchweg üblich war. Sowohl Einheits- als auch Pauschalpreisverträge enthielten überwiegend eine sogenannte „Festpreisklausel”, wonach die Preise keinem Anpassungsmechanismus unterlagen. Preisgleitklauseln waren und sind vor diesem Hintergrund eher unerwünscht, da sie die Kostensicherheit des Auftraggebers unterlaufen.

Wie aber kann nun der Auftragnehmer durchsetzen, dass eine Anpassung der Vertragspreise erfolgt? Ein Blick in die VOB/B hilft an dieser Stelle nicht weiter, da § 2 Absätze 3, 5 und 6 VOB/B den hier interessierenden Fall nicht abdecken. Sie sehen Preisanpassungen nur für Mengenänderungen und/oder geänderte bzw. zusätzliche Leistungen vor. Auch das gesetzliche Pendant in § 650c BGB gilt nur für Änderungsanordnungen. § 275 BGB, der die Konstellation der (objektiven wie subjektiven) Unmöglichkeit regelt, ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die wirtschaftliche Unmöglichkeit hiervon nicht umfasst ist. Somit verbleibt nur noch § 313 BGB: die Störung der Geschäftsgrundlage.

Eine Preisanpassung nach § 313 BGB setzt zunächst voraus, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, geändert haben. Dabei tritt bereits das erste Problem zutage: Die Preiskalkulation des Auftragnehmers ist dem Auftraggeber oftmals gar nicht bekannt und wird deshalb auch regelmäßig nicht zur Grundlage des Vertrags. Das Preisrisiko weist die Rechtsprechung deshalb vollumfänglich dem Auftragnehmer zu. Ausnahmen können in Fällen höherer Gewalt bestehen, wie es beispielsweise die Kriegsereignisse in der Ukraine sind. In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob sich die Vertragsgrundlage (so sie denn besteht) schwerwiegend geändert hat. Auch an dieser Stelle sind die bisher mit der Thematik befassten Richter eher streng. Die Vertragsparteien dürfen sodann (drittens) den Vertrag nicht oder nicht dergestalt geschlossen haben, hätten sie von der Entwicklung gewusst. Viertens darf dem Vertragspartner (hier also dem Auftragnehmer) das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar sein. Auch insoweit ist fraglich, wo genau die Grenze der Zumutbarkeit zu ziehen ist. Es gibt jedenfalls keine feste Grenze, vielmehr ist auf den individuellen Einzelfall abzustellen. Es darf keine positionsbezogene Betrachtung der vertragsgegenständlichen Leistung erfolgen, angezeigt ist eine Gesamtschau. Dem Auftragnehmer muss keine Insolvenz drohen, das reine Aufzehren des Gewinns ist aber noch nicht ausreichend für die Unzumutbarkeit. Zudem sind auch Nachträge mit einzubeziehen. Sind die Voraussetzungen des § 313 BGB gegeben, so werden in aller Regel nicht die gesamten Mehrkosten auf den Auftraggeber umgelegt. Auch hier spielt das Thema „Zumutbarkeit” eine Rolle. In aller Regel ist es unangemessen, dem Auftraggeber mehr als die Hälfte der Mehrkosten aufzuerlegen.

Auch die vereinbarten Vertragstermine können aktuell regelmäßig nicht eingehalten werden, weil die angesetzten Lieferzeiten einer ständigen Veränderung unterliegen. Hier steht dem Auftragnehmer die Möglichkeit offen, eine Behinderungsanzeige an den Auftraggeber zu richten. Soweit dem Auftraggeber die Nichtverfügbarkeit des betroffenen Materials nicht ohnehin bereits bekannt ist, sind insoweit keine überzogenen Anforderungen an einen entsprechenden Nachweis des Unternehmers zu stellen. So ist es typischerweise ausreichend, wenn er drei Absageschreiben einschlägiger Baustofflieferanten vorlegen kann. 

Gestaltung neuer/laufender Ausschreibungen

Da die Anpassung des ursprünglich vereinbarten Preises also mit relativ hohen Hürden verbunden ist, haben sich in jüngster Vergangenheit insbesondere Materialpreisgleitklauseln etabliert. Diese beteiligen den Auftraggeber an etwaigen Preissteigerungen. Da sie in aller Regel indexgebunden sind, repräsentieren sie nicht die eigentliche Preissteigerung anhand des tatsächlichen Angebots. Die Kostensicherheit des Auftraggebers wird einerseits eingeschränkt, andererseits ist der Auftragnehmer nicht gezwungen, Risikoaufschläge einzupreisen. 

Im Rahmen öffentlicher Vergabeverfahren wird die Materialpreisanpassung über das Formblatt 225 abgebildet, dessen Einsatz jedoch nicht generell zulässig ist. Voraussetzung ist zunächst, dass der betroffene Stoff seiner Eigenart nach Preisveränderungen in besonderem Maße unterliegt. Es muss ein nicht kalkulierbares Preisrisiko für den Stoff zu erwarten sein. Darüber hinaus hat der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und vereinbarter Fertigstellung mindestens zehn Monate (ggf. reduzierbar auf sechs Monate) zu betragen. Der Stoffkostenanteil des betroffenen Stoffs muss mindestens 1 Prozent der Auftragswertschätzung ausmachen. Bei der Anwendung des Formblatts legt der Auftraggeber einen sogenannten „Basiswert 1” fest ( das arithmetische Mittel der Angaben von mindestens drei einschlägigen Lieferanten), der anschließend im Falle einer Indexveränderung fortgeschrieben wird. Hierbei greifen eine Bagatellgrenze von 2 Prozent und ein Selbstbehalt. 

Seit dem Schreiben des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vom 25.3.2022 sind die vorgenannten Anforderungen – auch für Kommunen – modifiziert und erleichtert worden. Hiernach liegt ein Ausnahmefall, der den Einsatz des Formblatts 225 erlaubt, (jedenfalls) für bestimmte Produktgruppen sowie Betriebsstoffe vor. Der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und vereinbarter Fertigstellung muss nur noch einen Monat betragen. 

Mittlerweile muss die Aufgreifschwelle für den Stoffkostenanteil zudem nur noch 0,5 Prozent der geschätzten Auftragssumme betragen. Die geschätzten Kosten für den Baustoff, für den die Preisgleitung vorgesehen werden soll, muss 5.000 Euro überschreiten (dies gilt für alle Produktgruppen). Für den Basiswert 1 darf nun auf kommerzielle Preisdatenbanken oder auf von Bauwirtschaftsverbänden bereitgestellte Preisübersichten zurückgegriffen werden. Es wurde ein neues (nur subsidiär einzusetzendes) Formblatt 225a ohne Basiswert 1 geschaffen, d. h. der vom Bieter angebotene Stoffkostenanteil wird Grundlage der Preisfortschreibung. Dieser ist im Rahmen der Angebotswertung zu prüfen und ggf. aufzuklären. Eine Nachforderung ist nicht möglich. Zu dem neuen Formblatt 225a gibt es Bieterhinweise, die der Ausschreibung zwingend beizulegen sind. 

Ausblick

Die Erleichterungen zum Einsatz des Formblatts 225/225a gelten aktuell bis Mitte 2023. Ist eine Preisgleitung vereinbart, gilt sie selbstverständlich darüber hinaus fort. Entscheidend bleibt die Vertragslaufzeit. Wird in einem bestehenden Vertrag nachträglich eine Preisgleitung vereinbart, beseitigt dies die Unzumutbarkeit gemäß § 313 BGB. Beides schließt einander aus.



 

 

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