Branchenkultur im FM – Selbstkritische Betrachtung eines Marktteilnehmers

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veröffentlicht am 02. Mai 2018

Wir haben uns daran gewöhnt und sind zufrieden. Zumindest die meisten von uns. Wir haben uns daran gewöhnt, es als normal und richtig zu erachten, wie unsere Welt funktioniert, wie unser Land funktioniert, unser Wirtschaftssystem und unsere Branche: Die Immobilienbranche, die Baubranche oder hier die FM-Branche.

 

Und wir sind zufrieden, denn all dies funktioniert auf den ersten Blick ganz prima: Die Wirtschaft in Deutschland boomt, die Arbeitslosenzahlen sinken, die Steuereinnahmen sprudeln, der Wohlstand wächst. Auch im FM wachsen die Dienstleistungsunternehmen; allein ISS Facility Services Holding sucht 6.000 Mitarbeiter. Der aktuelle Branchenreport FM 2018 weist ein stabiles Branchenwachstum von über 3 Prozent p.a. aus, während es gelungen ist, die durchschnittlichen Bewirtschaftungskosten um über 2 Prozent p.a. zu senken. Auch die Zukunftsaussichten sind rosig, denn durch Digitalisierung (hier: BIM Building Information Modeling) soll alles noch besser werden. Also alles bestens! Wirklich?

 

Lassen Sie uns einen Blick hinter die Kulissen werfen und dabei am Anfang beginnen:

 

Ausgangslage 1996/1997

Als vor über 20 Jahren die FM-Branche in Deutschland noch ganz jung war (ebenso wie BIM heute), da begann ich damit, Empfehlungen für die Marktbeteiligten in Form von GEFMA-Richtlinien zu verfassen1. Zu jener Zeit glaubte ich an das Gute im Menschen, die Integrität deutscher Unternehmen, die hohe Werthaltigkeit professioneller FM-Dienstleistungen, Auftragsvergaben an das jeweils wirtschaftlichste Angebot und die Chance auf partnerschaftliche und langjährige Geschäftsbeziehungen im FM. Der Ansatz war, aus den Fehlern der Bauwirtschaft (entarteter Preiswettbewerb, Preisdumping, Pfusch am Bau, Bestechung, Korruption, Nachtragswesen etc.) zu lernen und das FM mit einer anderen Kultur neu aufzubauen, wonach professionelle FM-Dienstleister werthaltige Leistungen erbringen und dafür auskömmliche Vergütungen erhalten. Dies erschien zunächst realistisch, weil (damals wie heute) übereinstimmend mit den Grundsätzen der öffentlichen Auftragsvergabe nach VOB und VOL2,3.

 

Seither formulierte ich also GEFMA-Richtlinien u.a. über Ausschreibung und Vertragsgestaltung4, Grundlagen und Grundsätze des FM5 sowie ein branchenspezifisches Qualitätsprogramm6, dabei immer ausgehend von der Überzeugung, dass FM zuerst eine wertorientierte Managementdisziplin sei und erst danach eine Frage operativer Services.

 

Zwischenbilanz 2018

Heute, über 20 Jahre später, ist es Zeit für eine Zwischenbilanz und die nüchterne Erkenntnis: Von den o.g. hehren Ansätzen ist in der heutigen FM-Realität fast nichts übriggeblieben!

 

Facility Management wurde zu Facility Services degradiert. Facilitäre Managementleistungen werden am Markt wenig nachgefragt und noch weniger bezahlt, schon allein, weil die Kosten in Mietverträgen schlecht umlagefähig sind. Als schnellster und einfachster Weg zu mehr Profit wird die Senkung von Kosten im Einkauf („Savings”) angesehen und nicht die Schaffung von Mehrwerten. Vertragslaufzeiten sind meist kurz, Betrachtungshorizonte von Entscheidern noch kürzer, Quartalszahlen über Renditen bestimmen über Erfolg und Misserfolg, Partnerschaftlichkeit gilt als eher hinderlich und Schlechtleistung als Kollateralschaden.

 

Kurzum: Im FM gelten die Spielregeln der globalisierten Märkte mit dem Prinzip der Gewinnmaximierung durch Ausbeutung der Lieferanten.

 

Positive Ausnahmen sind diejenigen (meist industriellen) Auftraggeber, die in langjährig laufenden Service-Verträgen auf Augenhöhe eine echte Win-win-Situation realisieren konnten, weil sie vom Dienstleister längerfristige Mehrwerte (z.B. in Form von Managementleistungen) einfordern, diese aber auch bezahlen.

 

Durch das Thema Betreiberverantwortung ist zwar der Wille der Auftraggeber zur rechtssicheren Delegation von Betreiberpflichten deutlich angestiegen, die allermeisten Verträge und Leistungsverzeichnisse (LVs) auf dem Markt sind aber nicht geeignet, dies wirksam umzusetzen. Gängige Fehler sind:

 

Grundregeln der Delegation nach GEFMA 190 werden verletzt, indem z.B. notwendige Mittel (wie Bestandsdokumentationen) vom Auftraggeber zwar geschuldet, aber nicht bereitgestellt werden (können), ebenso keine Mittel für Ersatzbeschaffung.


In vielen LVs kommen Managementleistungen und längerfristige Werthaltigkeit gar nicht vor, weil sich die Berater gar nicht die Mühe gemacht haben, sich zusätzliche Vergabekriterien jenseits des Preises auszudenken, zu formulieren und entsprechende Angaben abzufragen.


Die letzten Reste von Mehrwert und Qualität in Angeboten werden dann von den Einkäufern in Endlosschleifen von Preisnachverhandlungen solange heraus „optimiert”, bis nichts mehr davon übrig ist.


Während der Vertragslaufzeit herrschen dann oft Minimalismus bei Preis und Leistung sowie Unzufriedenheit bei fast allen Beteiligten. Einzige Gewinner sind die Einkäufer, denen es gelungen ist nachzuweisen, dass es diesmal noch billiger ging als beim letzten Mal. (Für anschließende Schlechtleistung des Dienstleisters fühlen sie sich meist in keiner Weise mitverantwortlich.)


 

Künftig alles besser mit BIM?

BIM gilt als eine moderne Methode zur wirksamen IT-Unterstützung beim Planen, Bauen und Betreiben von Bauwerken und als ein Hoffnungsträger für die Behebung eklatanter branchenspezifischer Defizite. Ein entsprechendes Fachbuch von André Pilling titelt „BIM – Das digitale Miteinander”. Aber wie soll das jemals funktionieren? Wie soll eine Branche in der digitalen Zukunft ein ‚Miteinander‘ praktizieren, wo es doch in der analogen Gegenwart ein permanentes ‚Gegeneinander‘ gibt?

 

Ein erfolgreiches BIM erfordert nicht nur die Verfügbarkeit digitaler Daten, sondern vor allem eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit („collaboration”7) der Beteiligten. Jenseits der technischen Realisierbarkeit stellt sich deshalb die Frage, ob die gängigen Geschäftspraktiken der Branche nicht das größte Hindernis für BIM darstellen und im Grunde die Ursache dafür sind, dass die Bau-/Gebäudewirtschaft in Sachen Digitalisierung hinterher hinkt. Möglicherweise brauchen wir beim Planen, Bauen und Betreiben nicht nur neue Technologien, sondern auch eine andere Kultur, um BIM erfolgreich einsetzen zu können.

 

Dessen ungeachtet werde ich weiterhin GEFMA-Richtlinien verfassen, künftig auch über BIM. Ich werde weiter an das Gute im Menschen glauben, die Integrität (vieler) deutscher Unternehmen und die Chance auf partnerschaftliche und langjährige Geschäftsbeziehungen im FM. Bezüglich BIM werde ich mich (zusammen mit meinen Gremien bei GEFMA, buildingSMART, VDI und DIN) dafür einsetzen, die signifikanten Vorteile dieser Methode herauszuarbeiten und darzustellen. Dabei werde ich allerdings einen klaren Fokus auf den Mehrwert von BIM legen, jedoch keine Argumente dafür liefern, bereits heute unauskömmliche Preise künftig noch weiter zu drücken.

 

Es besteht die persönliche Überzeugung, dass unsere Welt, unser Wirtschaftssystem, unsere Branche und nicht zuletzt die darin arbeitenden Menschen viel dringender Mehrwerte brauchen als weitere Preissenkungen.

 

Und in 20 Jahren werde ich vielleicht wieder eine Zwischenbilanz ziehen. Mal sehen, ob diese dann besser ausfällt!

 

 

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1 GEFMA 100 Facility Management; Begriff, Struktur, Inhalte; Entwurf 1996-12; u.a.
2 § 2 VOL/A: (1) Aufträge werden in der Regel im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige (geeignete) Unternehmen zu angemessenen Preisen vergeben. (VOB/A analog.)
3 § 18 VOL/A: (1) Der Zuschlag ist auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend. (VOB/A analog.)
4 GEFMA 500 Outsourcing im FM; Hinweise für Ausschreibung und Vertragsgestaltung; Entwurf 1996-12 (zurückgezogen)
5 GEFMA 100-1 Facility Management; Grundlagen; Entwurf 2004-07
6 GEFMA 700 FM-Excellence; Grundlagen für ein branchenspezifisches Qualitätsprogramm; Entwurf 2006-12

7 „collaboration” meint hier eine Form der Zusammenarbeit zwischen Beteiligten, die trotz ursprünglich konträrer Interessenlage enger ist als eine Kooperation.

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Ulrich Glauche

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