Integration von ESG-Kriterien in Anlagerichtlinien

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von Sissy Koch und Rolf D. Häßler (NKI – Institut für nachhaltige Kapitalanlagen)

veröffentlicht am 1. April 2020

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Die Abkürzung ESG ist am Kapitalmarkt derzeit (fast) in aller Munde. Die 3 Buchstaben – hinter denen sich die englischen Begriffe Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) verbergen – stehen für den Ansatz, im Rahmen der Kapitalanlage bei der Bewertung von Anlageklassen und Emittenten neben finanziellen Leistungskennziffern auch deren nachhaltigkeitsbezogene Qualität zu berücksichtigen. Immer mehr auch semiprofessionelle Anleger denken darüber nach, entsprechende Kriterien in Anlagerichtlinien zu verankern. Dabei gibt es eine Reihe von Rahmenbedingungen zu beachten.

 

REGULATORISCHE VORGABEN STEIGEN

Gerade von regulatorischer Seite gab es dabei in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Vorgaben, durch die ESG-Kriterien stärker am Kapitalmarkt verankert werden sollen. So verpflichtet beispielsweise die Richtlinie 2016/2341 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV-II-RL) Pensionskassen dazu, ESG-Kriterien in ihr Risikomanagement zu integrieren und Leistungsempfänger aktiv über entsprechende Maßnahmen zu informieren. Zudem stellt EbAV II es den Pensionskassen frei, ESG-Kriterien bei ihrer Kapitalanlage zu berücksichtigen, da die Aufsicht hier keinen Konflikt mit den finanziellen Zielen der Kapitalanlage sieht.


Da sich Aktionäre nach Einschätzung des Regulators zu wenig um ihr Eigentum kümmern, verpflichtet das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) institutionelle Anleger dazu, jährlich eine sogenannte Mitwirkungspolitik zu veröffentlichen, in der sie darlegen, wie sie sich um „wichtige Angelegenheiten” der Unternehmen kümmern, deren Aktien sie halten. Zu den wichtigen Angelegenheiten gehören in vielen Branchen auch ESG-Themen wie beispielsweise der Klimawandel.

 

Zu den regulatorischen Anforderungen zählen schließlich auch zahlreiche Maßnahmen aus dem EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. So schreibt beispielsweise die Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Offenlegungsverordnung) vor, wie Finanzmarktteilnehmer, u. a. Pensionskassen, künftig über nachhaltige Investments und ESG-Risiken informieren müssen.


Auch in der Folge dieser regulatorischen Vorgaben ist der Anteil der institutionellen Anleger in Deutschland, die ESG-Kriterien bei der Kapitalanlage nutzen, nach Aussagen einer Studie der Union Investment von 48 Prozent im Jahr 2013 auf 72 Prozent im Jahr 2019 gestiegen.

 

RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DIE INTEGRATION VON ESG-KRITERIEN IN ANLAGERICHTLINIEN

Ein zentraler Schritt für die systematische Berücksichtigung von ESG-Aspekten bei der Kapitalanlage ist dabei die Verankerung entsprechender Kriterien und Prozesse in Anlagerichtlinien. Die Erkenntnis, dass diese eine beispielsweise nach Einschätzung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen „unverzichtbare Basis” für die Vermögensanlage bilden, hat sich auch bei weiteren semiprofessionellen Anlegern, wie Kommunen, Universitäten und kirchlichen Einrichtungen, in den vergangenen Jahren zunehmend durchgesetzt. Die in ihnen fixierten Grundsätze der Vermögensbewirtschaftung umreißen den Handlungs- und Haftungsraum der für die Kapitalanlage Verantwortlichen in den jeweiligen Institutionen und definieren gleichzeitig den Rahmen für die mandatierten Vermögensverwalter.


Bei der Integration von ESG-Kriterien in die Anlagerichtlinien sind verschiedene Rahmenbedingungen zu beachten. Dazu gehören neben den angesprochenen regulatorischen Rahmenbedingungen die Ziele und Werte einer Institution. Hier steht die Frage im Vordergrund, welche nachhaltigkeitsbezogenen Ziele eine Institution – neben den finanziellen Zielen – bei der Anlage ihres Kapitals berücksichtigen oder sogar aktiv unterstützen will. Durch die Berücksichtigung entsprechender Kriterien können zumindest Kapitalanlagen ausgeschlossen
werden, die den Werten und Zielen einer Institution widersprechen. So könnte beispielsweise eine Krebsstiftung darauf achten, nicht in Aktien oder Anleihen von Tabakunternehmen zu investieren. Eine aktive Unterstützung der Ziele beispielsweise einer Kommune, Stiftung oder kirchlichen Einrichtung wird aktuell intensiv unter der Überschrift „Impact Investing” diskutiert.

 

Eine dritte Rahmenbedingung für die Integration von ESG-Kriterien in die Kapitalanlage ist das entsprechende Informationsangebot von ESG-Ratingagenturen. Wer bei der Kapitalanlage die Nachhaltigkeitsleistungen von Emittenten berücksichtigen will, benötigt entscheidungsrelevante Informationen darüber, wie die einzelnen Emittenten mit ESG-bezogenen Standards und Herausforderungen umgehen. Diese Informationen stammen heute häufig von ESG-Ratingagenturen wie MSCI ESG oder ISS ESG. Sie sind darauf spezialisiert, Unternehmen und Staaten im Hinblick auf eine Vielzahl von nachhaltigkeitsbezogenen Kriterien zu bewerten. Sog. Ausschluss- oder Positivkriterien, die durch die ESG-Ratingagenturen nicht regelmäßig abgedeckt werden, sind in der Kapitalanlage nicht oder nur zu hohen Kosten abbildbar.

 

STRATEGIEN UND KRITERIEN DER NACHHALTIGEN KAPITALANLAGE

Von zentraler Bedeutung für die Gestaltung der Anlagerichtlinie ist schließlich die individuelle Haltung des Investors im Hinblick auf die zu berücksichtigenden ESG-Strategien und -Kriterien. In ihnen kann er konkret definieren, welche Branchen und Emittenten aus finanziellen oder ethischen Gründen nicht ins Portfolio gelangen sollen und in welche Branchen und Emittenten er bevorzugt investieren will. Damit sind 2 der insgesamt 3 gängigen nachhaltigkeitsbezogenen Anlagestrategien bereits angesprochen, die man als „Triple A” der nachhaltigen Kapitalanlage bezeichnen kann: der Ausschluss von Emittenten auf der Basis von Ausschluss- oder Negativkriterien, die Auswahl auf Basis von Positivkriterien und Best-in-Class-Ansatz und die Ansprache von Unternehmen im Rahmen bilateraler Dialoge oder durch Nutzung der mit Aktien verbundenen Rede- und Stimmrechte auf Hauptversammlungen.


Mit dem Einsatz von Ausschlusskriterien werden Unternehmen vom Investment ausgeschlossen, die ihr Geld mit aus Sicht der Investoren kontroversen Produkten verdienen, z. B. dem Abbau von Kohle oder der Produktion von Tabakwaren, oder durch ein kontroverses Geschäftsverhalten, beispielsweise die Verstrickung in Arbeits- oder Menschenrechtsverletzungen, auffallen. Von normbasierten Ausschlusskriterien spricht man, wenn sich die Kriterien auf eine international anerkannte Norm oder ein entsprechendes Abkommen beziehen. Beispiele hierfür sind die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder die 10 Prinzipien des UN Global Compact.

 

Durch die Nutzung von Positivkriterien werden Emittenten identifiziert, die die Anforderungen der Anleger besonders gut erfüllen. Bei der Auswahl von Aktien und Unternehmensanleihen wird dabei häufig der sogenannte Best-in-Class-Ansatz angewendet. Ziel ist es hier, die Nachhaltigkeitsleistungen der Unternehmen umfassend zu bewerten und innerhalb der einzelnen Branchen die Unternehmen zu identifizieren, die sich in besonderem Maße für eine nachhaltige Entwicklung engagieren bzw. am besten mit den nachhaltigkeitsbezogenen Risiken und Chancen umgehen. In der Praxis kombinieren viele Investoren die Anwendung des Best-in-Class-Ansatzes mit der Nutzung von Ausschlusskriterien.

 

UMSETZUNG SYSTEMATISCH KONTROLLIEREN

Neben den inhaltlichen Vorgaben für die Bewertung und Auswahl von Anlageklassen und Emittenten sollte die Anlagerichtlinie auch Vorgaben für die Zuständigkeiten für die Kapitalanlagen innerhalb der Organisation sowie für Controlling und Reporting enthalten. Letztere haben dabei verschiedene Funktionen: Bei Institutionen, die unter die entsprechenden Regulierungen fallen, dienen sie dem Nachweis dafür, dass die jeweiligen Vorgaben eingehalten werden. Sofern mit den Regelungen – wie beispielsweise bei ARUG II und der Offenlegungsverordnung – auch Veröffentlichungspflichten verbunden sind, bilden das interne Controlling und Reporting hierfür die Basis.


Für Investoren, die ESG-Kriterien in ihrer Kapitalanlage insbesondere vor dem Hintergrund ihrer Ziele und Werte berücksichtigen, beispielsweise Kommunen, kirchliche Anleger und Stiftungen, stellt ein Verstoß gegen die eigenen Setzungen ein Reputationsrisiko dar. Hier schützt ein systematisches Controlling vor Reputationsverlusten. Bei Institutionen, die wie Stiftungen und karitative Einrichtungen im Wettbewerb um Spenden, Sponsoring und Zustiftungen stehen, können ein systematisches Controlling und ein hohes Maß an externer Transparenz schließlich ein wichtiges Argument beim Werben um finanzielle Mittel sein. Dies gilt ebenso im kommunalen Umfeld, wo die Öffentlichkeit ein hohes Interesse an der Entwicklung der bewirtschafteten Gelder hat.

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