Vertragsänderung – vergaberechtlich leicht gemacht

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​veröffentlicht am 19. Oktober 2016

 

Wird ein Vertrag während seiner Laufzeit in wesentlichen Punkten abgeändert, kann dies dazu führen, dass eine neue Ausschreibung durchgeführt werden muss. Mit der Frage, wann eine solche wesentliche Vertragsänderung vorliegt, hat sich insbesondere der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Vergangenheit intensiv auseinandergesetzt. Mit der Neuregelung des GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) im Rahmen der Vergaberechtsnovelle wurde nun eine entsprechende Regelung ins deutsche Recht aufgenommen. Die Vorschrift in § 132 GWB knüpft im Wesentlichen an die bisherige Rechtsprechung an.

 

Was zivilrechtlich aufgrund der zwischen den Parteien herrschenden Vertragsfreiheit regelmäßig unproblematisch ist, erfährt durch das Vergaberecht gewisse Schranken: Die Änderung wesentlicher Inhalte eines Vertrages ist aus vergaberechtlicher Sicht als Abschluss eines neuen Vertrages einzuordnen. Dadurch können die Grundsätze der Transparenz und des Wettbewerbs beeinträchtigt sein.

 

Wesentliche Vertragsänderung

§ 132 Abs. 1 GWB legt zunächst fest, dass eine wesentliche Vertragsänderung grundsätzlich ein neues Vergabeverfahren erfordert (Satz 1) und definiert den Begriff der wesentlichen Änderung (Satz 2):

 

„Wesentlich sind Änderungen, die dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentlichen Auftrag unterscheidet.”

 

Satz 3 benennt anschließend Beispielsfälle, in denen der Gesetzgeber von einer wesentlichen Änderung ausgeht. Dies ist etwa dann der Fall, wenn durch die Änderung der Umfang des öffentlichen Auftrags erheblich ausgeweitet wird (Nr. 3).

 

De-Minimis-Regelung

Von dem Grundsatz der Ausschreibungspflicht kennt das Gesetz jedoch auch Ausnahmen. So ist die Änderung eines öffentlichen Auftrages immer dann ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens möglich, wenn die sogenannte De-Minimis-Regelung (§ 132 Abs. 3 GWB) greift.

 

Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass der Gesamtcharakter des Auftrages auch nach erfolgter Änderung erhalten bleiben muss. Dies wäre beispielsweise dann nicht mehr der Fall, wenn aus einer Bau- eine Lieferleistung würde oder der Auftraggeber statt ein Gebäude zu sanieren nunmehr neu bauen möchte.

 

Zudem darf der Wert der Änderung den EU-Schwellenwert nicht übersteigen, wobei bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen der Gesamtwert dieser Änderungen maßgeblich ist. Unklar ist, ob ein Überschreiten des EU-Schwellenwertes dazu führt, dass auch alle zuvor erfolgten Änderungen ausschreibungspflichtig werden oder ein förmliches Vergabeverfahren ab der den Schwellenwert erstmals überschreitenden Änderung erforderlich wird. Sofern die Änderungen in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen, wird wohl davon ausgegangen werden müssen, dass die erstmalige Überschreitung des Schwellenwertes auch die bis dahin bereits durchgeführten Änderungen dem Vergaberecht unterfallen lässt.

 

Schließlich darf der Wert der Änderung 10 Prozent des ursprünglichen Dienstleistungs- bzw. 15 Prozent des ursprünglichen Bauauftragswertes nicht übersteigen. Mit diesen starren Wertgrenzen stellt der Gesetzgeber dem öffentlichen Auftraggeber ein relativ einfach handhabbares Werkzeug zur Verfügung. Sind die Voraussetzungen der De-Minimis-Regelung erfüllt, kommt es auf das Vorliegen weiterer Ausnahmetatbestände nicht mehr an.

 

Optionsklauseln

Greift die – eher unkomplizierte – De-Minimis-Regelung nicht ein (z. B. weil der Wert der Änderung mehr als 10 Prozent des ursprünglichen Dienstleistungsauftrages ausmacht), sieht § 132 Abs. 2 GWB weitere Fallgruppen vor, in denen die Änderung eines öffentlichen Auftrages ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens möglich ist. So besteht immer dann keine Ausschreibungspflicht, wenn in den ursprünglichen Vergabeunterlagen bereits klare, genaue und eindeutig formulierte Überprüfungsklauseln (z. B. Indexierungsklauseln) oder Optionen vorgesehen waren, die Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen möglicher Auftragsänderungen enthalten und trotz der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrages erhalten bleibt. Hintergrund der Bestimmung ist die Überlegung, dass die möglicherweise eintretende Auftragsänderung bereits in der ursprünglichen Ausschreibung dem Wettbewerb unterstellt wurde und daher keine Gefahr eines Verstoßes gegen das Wettbewerbs- und Transparenzgebot besteht. Um die Ausnahmebestimmung in Anspruch nehmen zu können, müssen sowohl die Voraussetzungen als auch Art und Umfang der in Betracht kommenden Änderung festgelegt sein. Allgemein gehaltene Klauseln über eine etwaige Anpassung des Vertrages sind hingegen nicht ausreichend. Aus dem Vertrag muss vielmehr klar und unmissverständlich hervorgehen, unter welchen Umständen er in welche Richtung verändert werden darf. Die hinreichend klare Formulierung einer solchen Option dürfte die größte Herausforderung für den Beschaffungspraktiker darstellen.

 

Zusatzleistungen

Ein neues Vergabeverfahren ist zudem dann nicht erforderlich, wenn zusätzliche Liefer-, Bau oder Dienstleistungen erforderlich geworden sind, die nicht in den ursprünglichen Vergabeunterlagen vorgesehen waren und ein Wechsel des Auftragnehmers aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht erfolgen kann und mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber verbunden wäre. Gemeint sind damit andere als die ursprünglich ausgeschriebenen Leistungen, nicht die bloße Erweiterung des Umfangs der bereits förmlich vergebenen Leistung. Allerdings darf der Preis um nicht mehr als 50 Prozent des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden. Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen sind – anders als bei der De-Minimis-Regelung – alle Änderungen getrennt voneinander zu betrachten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Änderungen mit dem Ziel vorgenommen werden, das Vergaberecht zu umgehen.

 

Stützt sich der öffentliche Auftraggeber auf die Ausnahme über zusätzliche Leistungen, muss er die Änderung im Amtsblatt der EU bekannt machen. Im Online-Tool eNotices steht hierfür mittlerweile ein neues Formular mit dem Titel „Bekanntmachung einer Änderung” zur Verfügung. Der Auftraggeber muss hierin insbesondere Angaben zu sich selbst, dem Auftragsgegenstand, dem Auftragnehmer sowie der Änderung (z.B. Beschreibung und Grund) treffen.

 

Unvorhersehbarkeit

Wird eine Änderung im laufenden Vertrag aufgrund von Umständen erforderlich, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, kann ein neues Vergabeverfahren ebenfalls vermieden werden (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB). Einzige Einschränkung dabei ist, dass sich der Gesamtcharakter des Auftrages nicht ändert. Wann derartige unvorhersehbare Umstände vorliegen, ist einzelfallabhängig zu beurteilen. In der Regel kann sich der Auftraggeber immer dann auf die Ausnahme berufen, wenn er die nunmehr erforderliche Änderung trotz vernünftiger Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht vorhersehen konnte. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an. Schlussendlich dürfte sich die Klausel eher auf Ausnahmefälle beschränken, wie beispielsweise Naturkatastrophen. Auch diese Änderung ist im Amtsblatt der EU bekannt zu machen.

 

Unternehmensumstrukturierungen

Die letzte Ausnahme, die § 132 Abs. 2 GWB regelt, bezieht sich auf die vergaberechtsfreie Ersetzung des Auftragnehmers. Dies ist insbesondere dann möglich, wenn ein anderes Unternehmen aufgrund einer Unternehmensumstrukturierung (z.B. Zusammenschluss, Insolvenz etc.) an die Stelle des bisherigen Auftragnehmers tritt. Der neue Auftragnehmer muss jedoch gleichfalls die ursprünglich festgelegten Anforderungen an die Eignung erfüllen. Der Austausch des Vertragspartners darf zudem zu keiner weiteren wesentlichen Änderung im Sinne des § 132 Abs. 1 GWB führen.

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Dr. Julia Müller

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht

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