BGH: Zur Aufklärungspflicht des Anlageberaters, insbesondere im Zusammenhang mit Inhaberschuldverschreibungen

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 25. November 2014 (Az. XI ZR 169/13) entschieden, dass bei Inhaberschuldverschreibungen mit Kapitalschutz ein Sonderkündigungsrecht der Emittentin, verbunden mit dem Risiko eines teilweisen oder völligen Kapitalverlustes, eine für die Anlageentscheidung eines an Anleihen mit Kapitalschutz interessierten Anlegers wesentliche Anleihebedingung darstellt, über die ein solcher Kunde durch die ihn beratende Bank ungefragt aufzuklären ist. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
 
Der Kläger zeichnete auf Empfehlung eines Mitarbeiters der beklagten Bank Anleihen, die sich auf DAX-Unternehmen als Basiswert bezogen. In der zugehörigen Kurzinformation war die Rede von „100 Prozent Kapitalschutz am Laufzeitende”. Der Basisprospekt sowie die endgültigen bzw. konsolidierten Anleihebedingungen der Emittentin wurden dem Kläger nicht ausgehändigt. Darin war jedoch ein an bestimmte Umstände geknüpftes Sonderkündigungsrecht der Emittentin geregelt, verbunden mit dem Hinweis, dass „im Falle einer solchen vorzeitigen Rückzahlung [der] marktgerechte Wert [der Schuldverschreibung] unter Umständen unter dem festgelegten Nennbetrag pro Schuldverschreibung bzw. dem Betrag, den ein Investor für die Schuldverschreibungen gezahlt hat, liegen kann und möglicherweise Null betragen kann.” Nachdem die Emittentin insolvent wurde, verlangt der Kläger von der beklagten Bank Schadensersatz wegen Falschberatung. Diesem Begehren hat der BGH mit vorliegendem Urteil entsprochen.
 
Aufgrund des zwischen Kläger und Beklagten geschlossenen Beratungsvertrages schuldet Letztere eine anleger- und objektgerechte Beratung. Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen dabei grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarktes sowie die speziellen Risiken, die sich aus den Besonderheiten des Anlageobjekts ergeben. Die Beratung hat sich auf diejenigen Eigenschaften und Risiken des Anlageobjekts zu beziehen, die für die jeweilige Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können. Ausgehend von diesen Maßstäben war die Beklagte nach Auffassung des BGH verpflichtet, den Kläger vor dem Erwerb der streitgegenständlichen Schuldverschreibung darüber aufzuklären, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen der Emittentin bereits vor dem Laufzeitende ein Sonderkündigungsrecht zusteht. Dies gilt insbesondere, wenn damit für den Anleger das Risiko eines teilweisen oder vollständigen Kapitalverlusts einhergeht.
 
Kennzeichnend für Inhaberschuldverschreibungen mit Kapitalschutz ist, dass der Anleger nur das Bonitätsrisiko der Emittentin, nicht aber das des Kapitalverlusts trägt. Ein Sonderkündigungsrecht als zusätzliche einseitige Einwirkungsbefugnis der Emittentin auf diese Rahmenbedingungen schafft demgegenüber für den Anleger ein zusätzliches Risiko, das dem Wesensmerkmal des Kapitalschutzes entgegensteht. Die Aufklärungspflicht über dieses Risiko entfällt auch nicht deshalb – so der BGH –, weil in den Anleihebedingungen das Sonderkündigungsrecht der Emittentin nur für Ausnahmekonstellationen geregelt ist, deren Eintritt unwahrscheinlich ist. Denn auch der wenig wahrscheinliche Eintritt eines solchen Kündigungsgrundes kann für einen auf den Erhalt seines eingesetzten Kapitals bedachten Anleger von entscheidender Bedeutung sein.
 
Soweit von Beklagtenseite geltend gemacht wurde, dass es sich bei den Fällen, in denen der Emittentin ein Sonderkündigungsrecht zusteht, um Sachverhalte handle, in denen das zum Anleger bestehende Schuldverhältnis ohnehin nicht mehr durchführbar bzw. so erheblich gestört sei, dass eine Anpassung der Anleihebedingungen schon nach § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) geboten sei, ist dieser Einwand für die Beantwortung der Frage nach den Anforderungen an eine objektgerechte Beratung durch die beklagte Bank bei der Empfehlung von Inhaberschuldverschreibungen mit Kapitalschutz gemäß dem BGH ohne Aussagekraft. So soll es zwar der Emittentin unbenommen bleiben, entsprechende Regelungen in ihren Anleihebedingungen aufzunehmen, wenn sie eine Kapitalgarantie in den Fällen einer schwerwiegenden Veränderung der bei Vertragsschluss maßgeblichen Umstände nicht mehr übernehmen will. Tritt sie jedoch gleichwohl mit werbenden Bezeichnungen wie zum Beispiel „Garantiezertifikat” oder „Kapitalschutz”, an den Anleger heran, so handelt es sich bei den dazu im Widerspruch stehenden Rechtsfolgen ihrer Kündigung um für den Anlageentschluss eines Kapitalanlegers wesentliche Umstände, über die der Anleger durch die beratende Bank entweder durch Zurverfügungstellung der Anleihebedingungen oder auf andere Weise aufgeklärt werden muss. Denn nach Auffassung des BGH entsprechen die streitgegenständlichen Regelungen zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Sonderkündigung bei einer Schuldverschreibung mit Kapitalschutz nicht dem allgemeinen Erwartungshorizont eines Anlegers.

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Meike Farhan

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