Grunderwerbsteuerliche Ersatzbemessungsgrundlage § 8 Abs. 2 GrEStG i.V.m. §§ 138 ff. BewG verfassungswidrig

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Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Juni 2015, veröffentlicht am 17. Juli 2015, die für den Steuerpflichtigen meist günstige Bedarfsbewertung bei der Grunderwerbsteuer für verfassungswidrig erklärt. Diese Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG in Verbindung mit §§ 138 ff. BewG kam bislang insbesondere bei der Übertragung von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften zum Tragen. Das bisherige Recht ist nur für Altfälle bis Ende 2008 weiter anwendbar, der Gesetzgeber muss jetzt spätestens bis zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung rückwirkend ab dem 1. Januar 2009 treffen.
 

Hintergrund

Grundsätzlich bemisst sich die Grunderwerbsteuer auf Grundlage der Gegenleistung, also nach dem Kaufpreis (§ 8 Abs. 1 GrEStG; „Regelbemessungsgrundlage”). Existiert eine solche nicht, greift nach § 8 Abs. 2 GrEStG die sog. „Ersatzbemessungsgrundlage”, nach welcher an Stelle des Kaufpreises eine Wertermittlung der betroffenen Grundstücke nach pauschalierten Verfahren tritt. Brisanter Weise bezieht sich der aktuelle Gesetzestext hierfür noch auf ein Bewertungsverfahren (§§ 138 ff BewG), welches das Verfassungsgericht bereits in 2006 für die Erbschaft- und Schenkungsteuer gekippt hatte – mit dem Hinweis, dass es zu realitätsfremden weil meist zu niedrigen Werten führe. Für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer richtet sich das Bewertungsverfahren für Grundbesitz mittlerweile nach §§ 157 ff BewG.
 
Da die Ersatzbemessungsgrundlage zur Anwendung kommt, wenn eine konkrete Gegenleistung für das Grundstück nicht besteht, greift sie vorwiegend in Fällen von mittelbaren oder fingierten Grundstücksbewegungen im Rahmen von Umstrukturierungen oder Anteilsübertragungen. Weiterer Anwendungsschwerpunkt sind Nachfolgegestaltungen oder Schenkungen bzw. Veräußerungen zum rein symbolischen Kaufpreis. Auch hier werden Grundstücke ohne individuelle Gegenleistung bewegt.
 

Die Entscheidung des Gerichts

Das Bundesverfassungsgericht sieht einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz insbesondere darin, dass zwischen Regelbemessungsgrundlage (nach § 8 Abs. 1 GrEStG die Gegenleistung/der Kaufpreis) und Ersatzbemessungsgrundlage erhebliche nicht gerechtfertigte Abweichungen bestehen. Wenn der Gesetzgeber aber die Notwendigkeit einer Ersatzbemessungsgrundlage sieht, müsse diese so ausgestaltet werden, dass ihre Ergebnisse denen der Regelbemessungsgrundlage weitgehend angenähert sind.
 
Der Kaufpreis für ein Grundstück und damit auch die Regelbemessungsgrundlage entspricht unter Dritten üblicherweise dem Verkehrswert. Die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 8 Abs. 2 GrEStG in Verbindung mit §§ 138 ff BewG kommt dagegen nach dem Bundesverfassungsgericht zu deutlich unter dem Verkehrswert liegenden Größenordnungen. Die Karlsruher Richter beziehen sich auf Erhebungen, wonach für bebaute Grundstücke im Durchschnitt 50 Prozent unter dem gemeinen Werts ermittelt würden, für unbebaute Grundstücke durchschnittlich lediglich 70 Prozent des Verkehrswerts und für land-und forstwirtschaftlichen Grundbesitz im Durchschnitt sogar lediglich nur 10 Prozent des Verkehrswerts.
 
Das Verfassungsgericht hat als Konsequenz der Gleichheitswidrigkeit jedoch nicht die Nichtigkeit der derzeitigen Ersatzbemessungsgrundlage ausgesprochen, sondern deren Fortgeltung für Zeiträume bis Ende 2008 angeordnet. Für die Zeit danach bleibt es bei der Unanwendbarkeit; dem Gesetzgeber wurde aufgegeben, bis zum 30. Juni 2016 eine Neuregelung rückwirkend zum 1. Januar 2009 zu beschließen.
 

Wirkung der Entscheidung

Die Konsequenzen der Entscheidung interpretieren wir aus derzeitiger Sicht wie folgt:
  • Sämtliche vor 2009 ausgelösten Grunderwerbsteuertatbestände, auf die die Ersatzbemessungsgrundlage Anwendung findet, sind von der Entscheidung nicht betroffen; das bisherige Recht ist nach dem Bundesverfassungsgericht für diesen Zeitraum weiter anwendbar.
  • Für Steuertatbestände nach 2008 bleibt es nach dem Gericht hingegen „bei der Unanwendbarkeit des § 8 Abs. 2 GrEStG“. Das Gericht spricht auch von „Nichterhebbarkeit der Grunderwerbsteuer” in Fällen der Ersatzbemessungsgrundlage bis zu einer Neuregelung. Wir gehen davon aus, dass, insoweit als die Ersatzbemessungsgrundlage betroffen ist, aktuell keine Bemessungsgrundlage mehr besteht und Grunderwerbsteuer nicht festgesetzt werden kann. Der Gesetzgeber kann jedoch für derartige Fälle durch die vom Bundesverfassungsgericht aufgegebene rückwirkende Neuregelung zum 1. Januar 2009 erneut eine Bemessungsgrundlage schaffen.
  • Die vom Gesetzgeber rückwirkend auf den 1. Januar 2009 zu treffende Neuregelung kann nach unserer Einschätzung lediglich zu einer Höherbewertung führen. Das Verfassungsgericht hat insbesondere moniert, dass die Ersatzbemessungsgrundlage zu Ergebnissen führt, die ungerechtfertigt von der Regelbemessungsgrundlage abweichen. Regelbemessungsgrundlage sei üblicherweise aber der Kaufpreis und damit der Verkehrswert. Damit kann eine verfassungskonforme Situation wohl nur dadurch geschaffen werden, dass eine Bewertung anstelle des Bedarfswertverfahrens bei der Ersatzbemessungsgrundlage tritt, die zu verkehrswertnäheren Ergebnissen führt. Die Absenkung der Regelbemessungsgrundlage als weitere Alternative dürfte unrealistisch sein.
  • Als neue Ersatzbemessungsgrundlage käme unseres Erachtens beispielsweise das im Anschluss an die Verfassungsgerichtsentscheidung aus dem November 2006 zur Erbschaft- und Schenkungsteuer eingeführte Grundbesitzbewertungssystem der §§ 157 ff. BewG in Betracht. Textziffer 82 der aktuellen Entscheidung scheint anzudeuten, dass das Verfassungsgericht ein derartiges Vorgehen für verfassungskonform hielte. Andere Lösungen des Gesetzgebers sind ebenso denkbar. Im Ergebnis rechnen wir mit einem Schritt in Richtung Ansatz des Verkehrswertes der Immobilie. Zu besonders niedrigen Werten führende Sonderverfahren aus der heutigen Bedarfsbewertung, wie beispielsweise das Verfahren nach § 147 BewG zur Berücksichtigung von Sonderbebauungen, werden wir zukünftig jedenfalls aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr antreffen.
  • Steuerpflichtige, die für nach 2008 verwirklichte Tatbestände bereits Grunderwerbsteuerbescheide in Händen halten, sollten sich in einer privilegierten Lage befinden. Für sie bestehen gute Chancen, dass es zu keiner Verschlechterung des bisherigen Veranlagungsstands kommt. In diese Richtung gehen zumindest die – in der Sache allerdings wenig deutlichen – Hinweisen des Gerichts auf die Vertrauensschutzvorschrift § 176 AO. Dieser schützt den Steuerpflichtigen in verschiedenen Konstellationen vor nachteiligen Folgen von Richtersprüchen.
 
Unsicherheit verbleibt insofern, als im Gesetz der hier relevante Fall einer Unvereinbarkeitserklärung durch das Verfassungsgericht nicht erwähnt ist und mit einer analogen Anwendung der Regelung über die Nichtigkeitserklärung gearbeitet werden muss. Der Schutz des § 176 AO gilt nach verbreiteter Ansicht sogar in Fällen, in denen die bisherige Veranlagung unter Vorbehalt nach § 164 AO oder vorläufig nach § 165 AO erfolgte. Damit sollte auch in den Fällen Vertrauensschutz bestehen, in denen Bescheide aufgrund des anhängigen Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgerichts nach „den Anordnungen der Finanzverwaltung vom 1. April 2010 und vom 1. April 2013 gezielt mit einem Vorläufigkeitsvermerk erlassen wurden.
Steuerpflichtige jedoch, die für nach 2008 verwirklichte Tatbestände bisher noch nicht zur Grunderwerbsteuer veranlagt sind, müssen mit einer höheren Bemessungsgrundlage und damit Besteuerung rechnen, als ursprünglich einkalkuliert. Dies ist Folge des BVerfG-Urteils. Der Gesetzgeber wird sich bei der Umsetzung der Vorgaben des Urteils hieran halten müssen. Ein Vertrauensschutz auf eine niedrigere Steuerbelastung besteht in diesen Fällen nicht. 
 
zuletzt aktualisiert am 31.07.2015

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