Erhebung von Erschließungsbeiträgen zeitlich zu begrenzen

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BVerfG, Beschluss vom 3. November 2021, Az. 1 BvL 1/19

Erschließungsbeiträge dürfen nicht unbegrenzt geltend gemacht werden. Dies ist mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar.

 
Der Kläger sollte Erschließungsbeiträge zahlen, für die Errichtung einer Straße, mit welcher sein Grundstück (in Rheinland-Pfalz) eine Straßenanbindung erhielt. Die Straßenanbindung entstand 1986. Die Fertigstellung der Gemeindestraße insgesamt und deren Widmung erfolgte allerdings erst 2007, da der ursprünglich geplante Ausbau der Straße zwischenzeitlich aufgegeben wurde und erst später (verändert) wieder aufgenommen wurde. 2011 erhielt der Kläger einen Bescheid über die Zahlung der Erschließungskosten. Vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht hatte die gegen den Bescheid gerichtete Klage keinen Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor.

 
Das BVerfG entschied nun, dass das dem Bescheid zugrundeliegende rheinland-pfälzische Kommunalabgabengesetz gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt und hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. Das rheinland-pfälzische Kommunalabgabengesetz sieht eine Frist für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen (Verjährungsfrist) von vier Jahren vor. Die Frist beginnt mit der Widmung der Straße. Nach dem Gesetz wäre somit der Bescheid noch rechtzeitig ergangen. Gerade diese zeitliche Grenze sieht das BVerfG allerdings als unwirksam an, da sie den Beginn an den falschen Zeitpunkt anknüpft. Die Widmung und planmäßige Fertigstellung sei nämlich für den Betroffenen nicht erkennbar. Aus dem Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG folgt das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Rechtssicherheit). Dieses Gebot schützt davor, dass lange zurückliegende, tatsächlich abgeschlossene Vorgänge zur Anknüpfung für neue Belastungen herangezogen werden können. Daraus folge laut dem BVerfG auch, dass der Zeitpunkt in dem ein abzugeltender Vorteil entsteht, für den Betroffenen klar erkennbar an tatsächliche Verhältnisse anknüpfen muss. Er darf nicht dauerhaft im Unklaren gelassen werden, ob noch mit Belastungen gerechnet werden muss.

 
Die Fachgerichte stellen für diesen Zeitpunkt bei Erschließungskosten auf die tatsächliche technische Durchführung der jeweiligen Maßnahme ab. Die in Rede stehende Norm jedoch stellt auf rechtliche Verhältnisse ab, die den Zeitpunkt der Entstehung theoretisch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschieben kann, obwohl der tatsächliche Vorteil bereits entstanden war. Konkret kann wie im hier zu entscheidenden Fall der Zeitpunkt der Nutzbarkeit der Straßenanbindung (1986) und der Zeitpunkt der Widmung, welcher für den Betroffenen nicht erkennbar ist (2007) enorm weit auseinanderfallen. Der Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit am sogenannten Vorteilsausgleich, dem die Erhebung von Erschließungsbeiträgen dient, sowie dem Interesse des Einzelnen an der hier erörterten Rechtssicherheit muss durch den Gesetzgeber angemessen ausgeglichen werden. Dies ist hier nach Ansicht des BVerfG nicht der Fall und muss daher durch den rheinland-pfälzischen Gesetzgeber behoben werden.

 

Fazit:

Die Entscheidung erscheint logisch. Niemand muss Jahrzehnte nach dem eine Erschließungsmaßnahme erfolgt ist, noch mit teilweise recht hohen Kosten belastet werden können. Dies würde auch die Nachvollziehbarkeit der Beträge zweifelhaft erscheinen lassen, da zwischenzeitlich auch Unterhaltungsmaßnahmen erfolgt sein könnten, die gar nicht auf Grundstückseigentümer umgelegt werden dürften. Der Beschluss kann insbesondere Grundstückserwerber in sich kontinuierlich ausbreitenden Neubaugebieten beruhigen, in denen sich Gemeindestraßen über Jahre entwickeln können.

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