Anhängige Revision beim BFH: Heileurythmist – Das unbekannte (steuerliche) Wesen? (FG Niedersachsen, 28. April 2015)

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​veröffentlicht am 26. Januar 2016

 

Das Finanzgericht Niedersachsen hat entschieden, dass ein Heileurythmist kein Freiberufler im Sinne des § 18 EStG ist. Die Einordnung war für den Steuerpflichtigen deshalb von Bedeutung, weil ein Freiberufler mangels Gewerbe keiner Gewerbesteuerpflicht unterliegen. Der Fall zeigt, wie weitreichend die Frage eines Steuerpflichtigen, ob er Gewerbetreibender oder Freiberufler ist, sein kann.

 

Sachverhalt

Die Parteien stritten vor dem FG um die Qualifizierung als Freiberufler. Die Klägerin wurde von 1990 bis 1993 an der Eurythmieschule A und von September 1993 bis Juni 1995 an dem Institut für Waldorfpädagogik B in Vollzeit in der anthroposophischen Tanzkunst „Eurythmie” ausgebildet. 1995 erhielt die Klägerin das Diplom für Eurythmie des Instituts für Waldorfpädagogik B. Die vierjährige Ausbildung vermittelte Kenntnisse in den eurythmischen Grundelementen und war im Wesentlichen auf künstlerische und pädagogische Berufstätigkeiten ausgerichtet. Neben der künstlerischen Schulung wurde großen Wert auf die individuelle Persönlichkeitsbildung gelegt. Der Arbeitsaufwand umfasste ca. 4.500 Stunden. Von September 2002 bis Dezember 2003 absolvierte die Klägerin eine Vollzeitausbildung zur Heileurythmistin an der Schule für Eurythmische Heilkunst in C. Die Zusatzausbildung erforderte einen Arbeitsaufwand von ca. 1.500 bis 1.800 Stunden (Unterricht, Übungsstunden, Praktika, Vor- und Nachbereitung, Eigenarbeit).
 

Die Klägerin erhielt im Dezember 2003 das Heileurythmie-Diplom, welches von der Schule, der Gesellschaft für Anthroposophische Heilkunst und Eurythmie e.V. und der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach / Schweiz verliehen wurde. Die Schule erklärte die Klägerin für befähigt, im Zusammenhang mit einem Arzt bei Erwachsenen und Kindern Heileurythmie anzuwenden. Die Klägerin ist ferner Mitglied des Berufsverbands Heileurythmie e.V. Nach § 3 Ziff. 1 Satz 1 der Satzung des Berufsverbands kann nur Mitglied werden, wer ein Abschlusszeugnis für Eurythmie und Heileurythmie / Eurythmie Therapie hat, sowie gemäß den Richtlinien des Berufsverbandes eine Berufsqualifikation erworben hat. Nach Ziff. 1.1. der Richtlinien gelten als Ausbildung im Sinne der Satzung ein abgeschlossenes Eurythmiestudium und eine vollständige Heileurythmie-ausbildung mit Abschlussdiplom der Medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum in Dornach / Schweiz. Weder die Klägerin noch die Berufsverbände für die Heileurythmie sind nach § 124 SGB V von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen zugelassen worden. Anfang 2006 schlossen allerdings mehrere gesetzliche Krankenkassen mit den Berufsverbänden der anthroposophischen Heilkunst Verträge zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin auf der Grundlage der §§ 140a ff. SGB V (sog. IV-Verträge). Der Berufsverband, in dem die Klägerin Mitglied ist, war einer der Vertragspartner. Nach § 2 Ziff. 1 der IV-Verträge gehört die Heileurythmie zu den Versorgungsinhalten der anthroposophischen Medizin. Die nicht-ärztlichen Therapieverfahren sollen nach § 2 Ziff. 4 Buchst. a) der IV-Verträge auf ärztliche Anordnung durch speziell ausgebildete Therapeuten erbracht werden. Die Ausbildung und Eignung müssen durch den Berufsverband überprüft und anerkannt werden. Die spezielle Ausbildung wird gemäß § 6 Ziff. 4 Satz 2 der IV-Verträge angenommen, wenn der Heilmittelerbringer eine durch den Berufsverband ausgestellten Berechtigung zur Führung der Berufsbezeichnung oder eine Gleichwertigkeitsbescheinigung nachweisen kann. Die Teilnahmeberechtigung wird nach § 6 Ziff. 3 von dem Berufsverband erteilt, wenn die in § 6 Ziff. 4 genannten Voraussetzungen nachgewiesen sind und die Regelungen der sog. IV-Verträge anerkannt werden. In der Anlage 4 zu den sog. IV-Verträgen (Vereinbarung über die Versorgung mit Heilmitteln der Anthroposophischen Medizin) sind zwischen den Berufsverbänden der anthroposophischen Heilkunst und den gesetzlichen Krankenkassen folgende zusätzliche Vereinbarungen getroffen worden:
  • Grundlage der Vereinbarung sind §§ 124 ff. SGB V in analoger Anwendung.
       
  • Die Heilmittel werden nach der Vereinbarung auf der Grundlage einer vertragsärztlichen Verordnung von speziell ausgebildeten Therapeuten erbracht. Die Erstverordnung des Vertragsarztes bedarf der Genehmigung durch die Krankenkasse, wenn nicht die Krankenkasse hierauf schriftlich gegenüber dem Leistungserbringer verzichtet.
      
  • Die Leistungserbringung setzt eine Zulassung des Leistungserbringers durch den jeweiligen Berufsverband voraus. Die Durchführung einer Behandlung darf nur von einem hierfür entsprechend der Gemeinsamen Empfehlungen nach § 124 Abs. 4 SGB V qualifizierten Therapeuten und in nach § 124 Abs. 2 SGB V zugelassenen Praxen erfolgen.
        

2009 bescheinigte der Berufsverband Heileurythmie e.V. der Klägerin, dass sie nach Überprüfung der Teilnahmevoraussetzungen an den Verträgen zur Durchführung Integrierter Versorgung mit Anthroposophischer Medizin nach §§ 140a ff. SGB V teilnehmen könne. Die Klägerin war ab dem Datum der Bescheinigung berechtigt, Leistungen nach den sog. IV-Verträgen zu erbringen.
Für das Streitjahr 2011 gab die Klägerin keine Gewerbesteuererklärung ab. Deshalb schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen mit Gewerbesteuermessbetragsbescheid. Grundlage der Schätzung war eine von der Klägerin abgegebene Einnahmenüberschussrechnung, die einen Gewinn in Höhe von 42.874,33 € auswies.
 
Hier gegen wendete sich die Klägerin erfolglos mit dem Einspruch und letztlich mit der Klage. Sie meint, sie führe keinen Gewerbebetrieb sondern sei freiberuflich tätig sei. Dies ergebe sich daraus, dass sie ihre Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen könne. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Bescheinigung ihres Berufsverbands den Kriterien entspreche, die der BFH in seinem Urteil vom 8. März 2012 (V R 30/09) zur Umsatzsteuerfreiheit der Heileurythmie verlangt habe. Außerdem führte sie aus, dass der Beruf des Heileurythmisten zwar noch in dem BMF-Schreiben vom 3. März 2003, IV A 6 - S 2246 - 8/03 -, BStBl I 2003, 183 als „nicht ähnlicher Beruf” im Sinne des § 18 EStG bezeichnet worden sei. Dagegen sei dieser Passus in dem BMF-Schreiben vom 4. Februar 2004, IV A 6 - S 2246 - 3/04 - ersatzlos entnommen worden. Zudem könnten die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss vom 29. Oktober 1999, 2 BvR 1264/90, der zur Umsatzsteuer ergangen sei, auf die Gewerbesteuer übertragen werden. Danach könne eine Steuerbefreiung nicht von dem Vorliegen oder dem Fehlen einer berufsrechtlichen Regelung abhängig gemacht werden. Dementsprechend habe der BFH mit Urteil vom 28. August 2003 (IV R 69/00) seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass ein ähnlicher Beruf im Sinne des § 18 EStG nicht mehr vom Vorliegen einer staatlichen Erlaubnis abhängig sei. Es sei nur noch festzustellen, ob die Ausbildung, die Erlaubnis und die Tätigkeit mit den Erfordernissen des § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB V vergleichbar seien.
  
Das beklagte Finanzamt stellte darauf ab, dass die Klägerin - nach einer bei der Klägerin für die Jahre 2009 bis 2011 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung - regelmäßig direkt mit den jeweiligen Patienten abgerechnet habe. Dies sei auch bei Kassenpatienten so gewesen. Es ermittelte, dass die Leistungen der Klägerin aus den sog. IV-Verträgen für das Jahr 2010 nur 1,12 Prozent und für das Jahr 2011 nur 31 Prozent betragen hätten. Außerdem verwies der Beklagte auf die Urteile des BFH vom 19. September 2002, BStBl II 2003, 21 (Fußreflexzonenmasseur) und vom 21. Juni 1990, BStBl II 1990, 804 (Heileurythmist), in denen der BFH jeweils von gewerblichen Einkünften ausgegangen sei.
 

Entscheidungsgründe

Die Betätigung der Klägerin als Heileurythmistin stellt keinen ähnlichen Beruf im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG dar. Ein ähnlicher Beruf liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (–BFH–) vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit. Die für den vergleichbaren Katalogberuf erforderlichen Kenntnisse müssen nachgewiesen sein, die so qualifizierte Arbeit muss den wesentlichen Teil der gesamten Berufstätigkeit ausmachen und dem ähnlichen Beruf das Gepräge im Sinne des Katalogberufs geben. Ist für die Ausübung des Katalogberufs eine Erlaubnis erforderlich oder ist die Ausübung des Katalogberufs ohne Erlaubnis mit Strafe bedroht, so kann eine Ähnlichkeit nur gegeben sein, wenn für die Ausübung des vergleichbaren Berufs ebenfalls eine Erlaubnis erforderlich ist. Die Tätigkeit der Klägerin ist nicht der eines Heilpraktikers ähnlich. Es fehlt an der für die Ausübung dieses Berufs notwendigen staatlichen Erlaubnis. Der BFH hat dieses Ergebnis in seinem Urteil vom 28. August 2003 (IV R 69/00, BStBl II 2004, 954) aus der Erlaubnispflicht gemäß § 1 Abs. 1 Heilpraktikergesetz (- HeilprG -) abgeleitet. Der BFH hat hierzu erläutert, dass sich der Beruf des Heilpraktikers ausschließlich durch die Art der Tätigkeit und der damit verbundenen Erlaubnispflicht definiere. Da es für den Heilpraktikerberuf an einem vorgeschriebenen Ausbildungsgang fehle, könne die Ähnlichkeit des Vergleichsberufs nicht anhand der Ausbildung festgestellt werden. Es komme deshalb für die Ähnlichkeit des Vergleichsberufs beim Heilpraktiker nicht darauf an, dass die Ausbildung in Tiefe und Breite der des Katalogberufs vergleichbar sei. Maßgeblich seien vielmehr die Vergleichbarkeit der Tätigkeit und das Vorhandensein einer staatlichen Erlaubnis. Der Senat schloss sich diesen Erwägungen an. Da die Klägerin unstreitig über keine staatliche Erlaubnis verfügt, ist ihre Tätigkeit als Heileurythmistin nicht mit dem Katalogberuf des Heilpraktikers vergleichbar.
 
Der Senat konnte auch  nicht feststellen, dass die Ausbildung der Klägerin in Breite und Tiefe der Ausbildung eines Krankengymnasten oder eines Physiotherapeuten vergleichbar ist. Die dreijährige Ausbildung zum Physiotherapeuten umfasst theoretischen und praktischen Unterricht im Umfang von 2.900 Stunden und eine praktische Ausbildung im Umfang von 1.600 Stunden. In der Ausbildung wird vermittelt, wie der Bewegungsapparat eines Menschen aufgebaut ist und funktioniert, wie Blut, Kreislauforgane, Nerven- und Lymphsysteme aufgebaut sind und wie das Zentralnervensystem funktioniert. Weiter wird gelehrt, wie Krankheiten entstehen, ablaufen und wie man sie feststellt. Der Auszubildende lernt, wie Befunde erhoben, bewertet und dokumentiert werden, wie Therapiepläne erstellt werden und wie auf dieser Grundlage geeignete Behandlungen durchgeführt werden. Die Ausbildung vermittelt, welche krankengymnastischen Behandlungstechniken es gibt, wie sie wirken und wie man sie anwendet. Die einzelnen krankengymnastischen Therapien werden gelehrt. Schließlich werden die Wechselwirkungen zwischen Bewegung und Persönlichkeit sowie psychologische, pädagogische und soziologische Aspekte im Umgang mit kranken Menschen beigebracht.
  
Demgegenüber zielt die Ausbildung zum Heileurythmisten im Wesentlichen auf die Erlernung einer Bewegungstherapie ab, die die Laute menschlichen Sprechens in wahrnehmbare Bewegungen umwandelt. Heileurythmie will einen Zusammenhang zwischen der äußeren Bewegung und den inneren funktionalen Vorgängen des Organismus schaffen. Die Wirksamkeit der ausgeführten Bewegungen setzt an der somatischen und funktionellen Ebene des Patienten an und bezieht die emotionale, psychosoziale und kognitive Ebene mit ein. Von der Krankengymnastik unterscheidet sich die Heileurythmie nach dem eigenen Selbstverständnis durch die Qualität der Bewegung, die die seelisch-geistige Dimension des Menschen integriert. Nach dem eingereichten Rahmen-Curriculum erfordert die 1 1/2 jährige Ausbildung zur Heileurythmistin einen Arbeitsaufwand von lediglich ca. 1.500 bis 1.800 Stunden (Unterricht, Übungsstunden, Praktika, Vor- und Nachbereitung, Eigenarbeit).
 
Der Vergleich zwischen der Physiotherapeuten-Ausbildung und der Heileurythmisten-Ausbildung zeigt bereits gravierende Unterschiede in der Ausrichtung der Ausbildung. Die Ausbildung zur Heileurythmistin hat einen künstlerischen und geistigen Schwerpunkt. Dagegen liegt der Schwerpunkt bei der Physiotherapeuten-Ausbildung eindeutig auf der Vermittlung von medizinischem Wissen über die Körperfunktionen und ihre Störungen. Künstlerisch-geistige Lerninhalte finden sich in der Ausbildungsordnung nicht. Die Ausbildungen sind deshalb weder konzeptionell noch fachlich-inhaltlich vergleichbar.
 

Praxisempfehlung:

Bei der Frage der Freiberuflereigenschaft ist in einem ersten Schritt die ausgeübte Tätigkeit mit den Tätigkeiten des Katalogs in § 18 EStG abzugleichen. Das Augenmerk wird häufig auf die „ähnlichen Berufe” im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu richten sein. Ist für die Ausübung des Katalogberufs eine Erlaubnis erforderlich oder ist die Ausübung des Katalogberufs ohne Erlaubnis mit Strafe bedroht, so kann eine Ähnlichkeit nur gegeben sein, wenn für die Ausübung des vergleichbaren Berufs ebenfalls eine Erlaubnis erforderlich ist.


In einem zweiten Schritt ist die Dauer und die Tiefe der konkreten Ausbildung zu prüfen. Die Ausbildung der Steuerpflichtigen im konkreten Fall dauerte lediglich 1,5 Jahre und war damit nur halb so lang wie eine Ausbildung eines Heilpraktikers bzw. Krankengymnasten.


Immer wieder versuchen Angehörige von Berufen, deren Beruf den Katalogberufen ähnlich ist, eine Freiberufler-Stellung zu argumentieren. In der Praxis stellt sich dabei bereits zu Beginn der Tätigkeit dieser Personen das Problem, dass sie bei konsequenter Außendarstellung dieser Auffassung keine Gewerbeanmeldung durchführen. Dies führt dann später, wenn das Finanzamt die Freiberuflichkeit nicht anerkennt, auch zur Problematik, dass eine Gewerbeanmeldung grundsätzlich ordnungswidrig unterlassen wurde. Dies gilt es bereits bei der Gründung einer entsprechenden „Freiberufler-Praxis” qualifiziert prüfen zu lassen, damit die Betriebsprüfung respektive die Gewerbeaufsicht nicht im Nachhinein unliebsame Überraschungen bereithalten.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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