Normallohn und Mindestlohn - keine Anrechnung von Urlaubsgeld und jährlicher Sonderzahlung

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veröffentlicht am 22. April 2015

ArbG Berlin, 04. März 2015

 

Während viele Einzelheiten zum Mindestlohn noch ungeklärt sind, ergehen zwischenzeitlich erste Urteile zu den neuen Regelungen. Das Arbeitsgericht Berlin lehnte den Versuch eines Arbeitgebers ab, Urlaubsgeld und eine Jahressonderzahlung im Wege einer Änderungskündigung auf den Stundenlohn umzulegen, um dem Mindestlohn zumindest näher zu kommen. Es begründet die Ablehnung damit, dass diese Sonderzahlungen nicht zum „Normallohn” gehörten. Und dies, obwohl der Arbeitnehmer aufgrund der geänderten Arbeitsbedingungen konkret mehr Lohn erhalten sollte.

 

Der Arbeitnehmer wehrte sich gegen eine Änderungskündigung. Der Arbeitgeber hatte das Arbeitsverhältnis aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt und dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis zu einem Stundenlohn in Höhe von 8,50 € brutto unter Beibehaltung der vereinbarten Schichtzulagen und gleichzeitigem Wegfall der Leistungszulage, der zusätzlichen Urlaubsvergütung und der Jahressonderzahlung angeboten.


Dabei trug der Arbeitgeber vor, das der vertraglichen Vergütungsvereinbarung zugrunde liegende Vergütungsangebot beruhe auf einer jahresbezogenen Kalkulation, der eine entsprechende Wirtschaftlichkeitsberechnung zugrunde liege. Ziel der Änderungskündigung sei eine Veränderung der Vergütungsstruktur, die nicht zu einer Absenkung der Vergütung führe. Wegen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 € je Stunde sei beabsichtigt, die nicht im monatlichen Rhythmus gezahlten Vergütungsbestandteile auf den Stundenlohn umzulegen und somit eine monatliche Zahlung zu bewirken.


Das Arbeitsgericht hielt das für unzulässig. Das Mindestlohngesetz enthalte keine Definition des Mindestlohns und damit auch keine Regelungen, welche Vergütungsbestandteile zum Mindestlohn zu zählen sind. Es sei kaum nachvollziehbar, dass die Bundesregierung auf die ausdrückliche Bitte des Bundesrats einer Klarstellung, welche Lohnbestandteile auf das gesetzlichen Mindestlohnstundenentgelt anrechenbar sind, nicht gesetzgeberisch reagiert hat.


Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass der Mindestlohn lediglich der Vergütung der „Normalleistung” diene. Es sei also festzustellen, welche Leistungen im Arbeitsverhältnis die Normalleistung vergüten. Diese seien anzurechnen. Es komme also darauf an, ob eine Leistung im konkreten Fall das vergütet, was der Arbeitnehmer „normalerweise” tun muss oder ob eine Zahlung für überobligatorische Leistungen erfolgt. Dabei werde keine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung vorgenommen, sondern die Arbeitgeberleistungen daraufhin überprüft, welcher Teil funktional mit dem Mindestentgelt verknüpft ist und welche Leistungen dies nicht sind.


Damit sei die vom Arbeitgeber gezahlte Leistungszulage auf den Mindestlohnanspruch anrechenbar. Es könne davon ausgegangen werden, dass die als Leistungszulage bezeichnete Zahlung für die Normalleistungen des Arbeitnehmers gewährt wurde. Im Arbeitsvertrag der Parteien waren keine quantitativen und qualitativen Kennziffern bestimmt, von denen die Leistungszulage abhängig gewesen sein soll.


Das vom Arbeitgeber bislang gezahlte zusätzliche Urlaubsgeld sei hingegen nicht auf den Mindestlohnanspruch anrechenbar. Das zusätzliche Urlaubsgeld werde nicht für eine Normalleistung des Arbeitnehmers gezahlt. Es diene der Kompensation der Zusatzkosten, die ihm während der Erholung im Urlaub entstehen. Das Urlaubsgeld sei damit funktional darauf gerichtet, die Wiederherstellung und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers zu unterstützen und nicht als Vergütung der Normalleistung zu betrachten.


Auch eine Anrechenbarkeit der arbeitsvertraglich vereinbarten „Sonderzahlung zum Jahresende” auf den Mindestlohnanspruch sei nicht gegeben. Sie diene nicht dazu, die normale Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, die mit dem Mindestlohn entgolten werden soll, zu vergüten. Sie stehe insbesondere nicht in einem Verhältnis zur erbrachten Arbeitsleistung, sondern diene erkennbar dem Zweck, die Betriebstreue zu belohnen und zu fördern. So sah im Urteilsfall der Arbeitsvertrag eine Staffelung der Höhe der zu leistenden Jahressonderzahlung nach der Anzahl der bisherigen Beschäftigungszeiten vor. Mit steigender Betriebszugehörigkeit erhöhte sich demgemäß die Jahressonderzahlung. Voraussetzung war also allein das Erreichen einer bestimmten Betriebszugehörigkeit und zwar unabhängig davon, ob in dieser Zeit Arbeitsleistungen erbracht wurden. Die arbeitsvertragliche Regelung stellt zudem ebenfalls allein auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Zugehörigkeit zum Betrieb ab. Eine Abhängigkeit von der normalen Arbeitsleistung sei daher nicht ersichtlich.


Zudem spreche gegen die Anrechenbarkeit, dass diese Sonderzahlung als Einmalzahlung erst am Jahresende für das gesamte Jahr rückwirkend erfolgt und damit weit außerhalb des letzten Fälligkeitszeitpunktes gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 MiLoG. Danach sei der Arbeitgeber verpflichtet, spätestens am Ende des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die zu vergütende Arbeitsleistung erbracht wurde, den Mindestlohn zu zahlen. Daher sei grundsätzlich eine längere Verzögerung der Auszahlung mit dem Zweck des Mindestlohns unvereinbar. Damit müsse spätestens nach zwei Monaten im Durchschnitt der Mindestlohn erreicht sein. Daraus folge, dass die Anrechnung zu späteren Zeitpunkten geleisteter Einmalzahlungen auf den Mindestlohn unzulässig sei.


Diese Grundsätze nahm das Arbeitsgericht in sein Urteil auf, obwohl es die Änderungskündigung bereits aus anderen Gründen für unwirksam hielt. Und zwar stützte der Arbeitgeber die Kündigung auf dringende betriebliche Gründe. Er habe aber nicht ausreichend vorgetragen, dass ihn die Einführung des Mindestlohns in eine wirtschaftliche Notlage gebracht habe, so dass der Bestand des Unternehmens in Gefahr ist.


Der Arbeitnehmer habe nicht versprochen, je nach den wirtschaftlichen Erfordernissen des Unternehmens zu unterschiedlichem Entgelt zu arbeiten. Die Änderungskündigung zur Lohnsenkung sei deshalb kein Primärinstrument, sondern lediglich Ausschluss des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegenüber der Beendigungskündigung. Sie sei deshalb nur gerechtfertigt, wenn sonst der Arbeitsplatz wegfiele, d.h. wenn ein verständig denkender Unternehmer das Unternehmen nicht weiterführen würde oder konkrete Tätigkeiten aufgäbe. Eine Entgeltsenkung für die gesamte Belegschaft kommt in Betracht, wenn sonst die Arbeitsplätze aller Arbeitnehmer insgesamt gefährdet werden. Dieses Tatbestandsmerkmal könne man auch mit wirtschaftlicher Notlage umschreiben oder Bestandsgefährdung des Unternehmens. Es reicht jedenfalls nicht aus, dass das Unternehmen einmal Verluste gemacht hat, schon gar nicht, dass einzelne Abteilungen rote Zahlen schreiben.

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