Sozialversicherungspflicht des ärztlichen Vertreters

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veröffentlicht am 16. Juli 2017

 

Mit der Sozialversicherungspflicht des ärztlichen Vertreters setzten sich in jüngster Zeit sowohl das LSG Baden-Württemberg als auch das SG Kassel auseinander. Die Urteile machen deutlich, dass es hinsichtlich dieser Thematik nach wie vor keine allgemeingültigen Grundsätze gibt, sondern vielmehr die Gesamtheit der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu würdigen ist.

 

​[LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.2.2017, L 11 R 2433/16;
SG Kassel Urteil vom 11.1.2017, S 12 KR 448/15; S 12 KR 299/16]

 

Die Sozialversicherungspflicht von ärztlichen Vertretern im Rahmen der Praxisvertretung i.S.d. § 32 Ärzte-ZV hat in der Vergangenheit häufig Fragen aufgeworfen. Zwei Urteile aus jüngster Zeit machen deutlich, dass hinsichtlich dieser Thematik nach wie vor keine einheitlich anwendbaren Regelungen bestehen, sondern vielmehr eine Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu betrachten sind. Entscheidend ist dabei die Frage, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zwischen dem vertretenden Arzt und dem Praxisinhaber bzw. dem Krankenhausträger, bei dem der Vertretene beschäftigt ist, besteht oder die Vertretung als selbständige Tätigkeit ausgeführt wird.

 

Um die Frage zu klären, ob der Vertreter in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Krankenhausträger bzw. Praxisinhaber steht oder ob er seine Tätigkeit selbständig ausführt, müssen unterschiedliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Hierzu zählen unter anderem:

 

Kriterien zur Prüfung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (Auszug)

  • ​Zeitliche und organisatorische Einbindung
  • ​Abrechnungsmodalitäten
  • ​Vorgaben hinsichtlich Arbeitszeiten und Auftragsannahme
  • ​Stellung bzw. Verpflichtung zum Tragen einheitlicher Arbeitskleidung
  • ​Vergütungsmodalitäten
  • ​Anspruch auf Entgeltfortzahlung
  • ​Weisungsgebundenheit
  • ​Möglichkeit zur Ablehnung von Aufträgen
  • ​Auftreten als Mitarbeiter gegenüber Patienten
  • ​Verpflichtung zur Teilnahme an Dienstbesprechungen
  • ​Zusammenarbeit mit Mitarbeitern
  • ​Kapitaleinsatz
  • ​Unternehmerisches Risiko und Chancen
  • ​Beteiligung an Betriebskosten

 

Bei der Gesamtwürdigung der einzelnen Aspekte ist zu beachten, dass eine gewisse äußere Eingliederung des Vertreters in die Organisationsstruktur der Praxis des Vertretenen unvermeidlich ist und dass gewisse Freiräume bei der inhaltlichen Ausführung seiner Tätigkeit aus der fachlichen Qualifikation des vertretenden Arztes resultieren. In jüngster Zeit beschäftigten sich u.a. das LSG Baden-Württemberg sowie das SG Kassel mit Fällen zur SV-Pflicht ärztlicher Vertreter.

 

Das Urteil des LSG Baden-Württemberg

Im Fall des LSG Baden-Württemberg ging es um eine Fachärztin für Radiologie, die die schriftliche Befundung radiologischer Bilder als Urlaubsvertretung in einer radiologischen Gemeinschaftspraxis vornahm. Dabei sprach für eine organisatorische Eingliederung und somit für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses u.a. der Umstand, dass die Reihenfolge der zu befundenden Bilder von der Praxisführung vorgegeben wurde. Jedoch bestand die Eingliederung in keinem vergleichbaren Maße zu den in der Praxis angestellten Ärzten. So musste die vertretende Ärztin ihre Arbeitszeit nicht über ein elektronisches Zeiterfassungssystem erfassen, nicht an Teambesprechungen oder anderen sozialen betrieblichen Veranstaltungen teilnehmen und auch keine einheitliche Kleidung mit eingesticktem Namen und Logo der Praxis tragen. Ebenso erfolgte keine Überwachung und/oder Steuerung der ärztlichen Fortbildungspflichten zur Einhaltung des Facharztstandards oder die verbindliche Vorgabe bestimmter Protokolle für die Befundungen.

 

Des Weiteren sprachen gegen eine organisatorische Eingliederung die Tatsachen, dass der vertretenden Ärztin zum einen keine festen Arbeitszeiten oder Schichten ohne vorherige Absprache und gegen ihren Willen zugewiesen wurden und ihr es folglich frei stand, an welchen Tagen sie eine Urlaubsvertretung übernahm sowie zum anderen die Möglichkeit, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen. In Summe fehlte es nach Ansicht des LSG Baden-Württemberg an aussagekräftigen Indizien, die für eine organisatorische Eingliederung und somit für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprechen. Die Tatsache, dass die ärztliche Vertretung nach einem festen Stundensatz entlohnt wurde, wertete das LSG Baden-Württemberg lediglich als neutrales Kriterium, da eine Vergütung nach festem Stundensatz seiner Ansicht nach bei kurzzeitiger Vertretung v.a. aus Praktikabilitätsgründen einer aufwendig zu berechnenden Vergütung nach einzelnen ärztlichen Diensten entsprechend der Gebührenordnung für Ärzte oder nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen unter Abzug von Praxiskosten vorzuziehen ist.

 

Das Urteil des SG Kassel

In einem Urteil des SG Kassel lag der Entscheidung ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde, in dem ein Anästhesist für wenige Tage in einem Krankenhaus eine Vertretung übernommen hatte. Innerhalb seiner Tätigkeit als ärztlicher Vertreter war der Anästhesist in seiner ärztlichen Verantwortung bei der Diagnose und Therapie unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet. In einem geschlossenen Honorararztvertrag wurde vereinbart, dass die Einsätze nach Bedarf erfolgen und zwischen den Vertragsparteien abgestimmt werden. Zur Bewältigung seiner Aufgabenstellung hatte er sich an den Rahmenbedingungen der Klinik zu orientieren. Dennoch wurde im Vertrag ausdrücklich festgelegt, dass es sich um eine freiberufliche Tätigkeit handelt, die ein gestaffeltes Stundenhonorar vorsah.

 

Nach Würdigung des Einzelfalls sah das SG Kassel im vorliegenden Fall eine abhängige Beschäftigung, die folglich eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit des Anästhesisten darstellt. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war für das SG Kassel, dass der Vertreter in den Klinikbetrieb eingegliedert war. Die umfangreichen Entscheidungsspielräume bei der Diagnose sowie der Wahl der Therapiemethode wurden als unerheblich eingestuft, da diese der Tätigkeit als Arzt immanent und somit als Abgrenzungskriterium ungeeignet sind. Relevant war hingegen, dass der ärztliche Vertreter kein Unternehmerrisiko trug. Selbst das Risiko, bei krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen kein Entgelt zu erhalten, würde nur dann für Selbständigkeit sprechen, wenn dem auch eine größere Unabhängigkeit oder höhere Verdienstchancen gegenüberständen. Hiervon ist aufgrund des gestaffelten Stundenlohns nicht auszugehen. Das grundsätzliche Recht Aufgaben abzulehnen wurde durch das SG Kassel als nicht entscheidendes Kriterium angesehen, da auch im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse Vertragsgestaltungen nicht unüblich sind, die es weitgehend dem Arbeitnehmer überlassen, ob er im Anforderungsfall tätig werden will oder ob er ein konkretes Angebot ablehnt. Als weiteres Kriterium stützte das SG Kassel seine Entscheidung schließlich noch auf den Gesichtspunkt der persönlichen Erbringung der Arbeitsleistung, die für eine abhängige Beschäftigung spreche.

 

Fazit

Insgesamt wird deutlich, dass – wie oben bereits angesprochen – die Frage nach einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis oder einer selbständig ausgeführten Tätigkeit eines ärztlichen Vertreters von verschiedenen Faktoren abhängig ist, die im jeweiligen Einzelfall im Rahmen einer Gesamtabwägung zu würdigen sind. In der Praxis empfiehlt es sich, die Vertretungsmodalitäten in einem schriftlichen Vertrag festzuhalten. Hierbei ist darauf zu achten, dass nicht allein die vertraglichen Vereinbarungen, sondern die praktizierte Rechtsbeziehung der Beteiligten für die Frage nach einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis oder einer selbständig ausgeführten Tätigkeit und somit für die Sozialversicherungspflicht des ärztlichen Vertreters maßgeblich ist.

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Benjamin Thiele

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