Umsatzsteuerbefreiung für Umsätze der ambulanten Pflege

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veröffentlicht am 28. Februar 2018

 

Die Sozialgrenze von 25 Prozent zur Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Bst. l. UStG für Leistungen der ambulanten Pflege gilt nur, wenn im Vorjahr mindestens 25 Prozent der Pflegefälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden sind. Nach der aktuellen Rechtsprechung ist diese Sozialgrenze auch im Zusammenhang mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der RL 2006/112/EG unionsrechtlich unbedenklich und ist daher im Rahmen eines permanenten Monitoring auf seine Einhaltung zu überprüfen, um Steuernachforderungen zu vermeiden. 

 

Grundlagen der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Bst. l. UStG

§ 4 Nr. 16 Bst. l. UStG wurde im Rahmen des Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz mit Wirkung zum 1. Juli 2013 geändert. In diesem Zusammenhang wurde der bisherige Buchstabe k zu Buchstabe l und es erfolgte eine Herabsetzung der Sozialgrenze von 40 Prozent auf aktuell 25 Prozent.


Der neue § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG stellt einen sogenannten Auffangtatbestand dar. Demnach sind die Umsätze von Einrichtungen, die nicht unter das Sozialrecht fallen umsatzsteuerbefreit, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 Prozent der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.


Die Voraussetzung „25 Prozent der Fälle” bestimmt sich nach der Anzahl der hilfsbedürftigen Personen im Laufe eines Kalendermonats. Handelt es sich um (teil-) stationäre Unterbringung in einer Einrichtung ist die Aufnahme einer Person als ein „Fall” zu deklarieren. Werden ambulante Betreuungs- und Pflegeleistungen erbracht, zählen alle Leistungen für eine Person als ein „Fall” im Sinne des § 4 Nr. 16 Bst. L. UStG.


Vergütet sind die Fälle ganz oder zum überwiegenden Teil von den entsprechenden Trägern, wenn diese die Kosten des Falls entweder in vollem Umfang oder aber zu mehr als 50 Prozent übernehmen. Den eigenen Aufwendungen der hilfsbedürftigen Personen sind dagegen Kostenzuschüsse und Kostenerstattungen von bspw. Krankenkassen oder Wohlfahrtsverbänden zuzurechnen und fließen damit nicht in die Beurteilung der Vergütung ein.

 

Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

In seinem Urteil vom 28. Juni 2017 - XI R 23/14 hat der BFH weitere Rechtssicherheit bezüglich der Verwendung von Sozialgrenzen wie die des § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG geschaffen. Der Kläger in diesem Urteil betrieb seit 2003 eine GmbH mit der schwerpunktmäßigen Tätigkeit der 24-Stunden-Pflege. Es wurden Versorgungsverträge mit der Stadt als Sozialhilfeträgerin, mit der Bundesknappschaft und mit Verbänden von Krankenkassen gemäß § 72 SGB XI geschlossen. In den Jahren 2004 bis 2006 erreichte die GmbH die damals gültige und in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. erforderliche 40 Prozent-Grenze unstrittig nicht.


Daher war der Rückgriff auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der RL 77/388/EWG (jetzt Art 132 Abs. 1 Buchst. g der RL 2006/112/EG) denkbar, die die Steuerbefreiung von anerkannten Einrichtungen mit sozialen Charakter vorsieht. Der Begriff „Einrichtung mit sozialen Charakter” ist grundsätzlich weit genug, um auch natürliche Personen und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht darunter zu fassen. Allerdings legt die Rechtsprechung des EuGH (bspw. im Kügler Urteil C-141/00 (UR 2002, 513) und im Zimmermann Urteil C-174/11 (UR 2013, 35)) nicht konkret die Modalitäten der Anerkennung fest, sodass diese im Ermessen der Mitgliedstaaten liegen. Demnach können innerstaatliche Regelungen die Voraussetzungen normieren, wonach sich die erforderliche Anerkennung richtet. In den Streitjahren handelt es sich dabei um die Sozialgrenze des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. in Höhe von 40 Prozent, sodass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der RL 77/388/EWG nicht anwendbar und die Umsatzsteuerbefreiung zu versagen war.


Die Einwendung des Klägers hinsichtlich eines Verstoßes des Grundsatz der Neutralität und des Gleichheitsgrundsatzes in Bezug auf § 4 Nr. 18 UStG wurde zurückgewiesen. Denn bereits in einem vorangegangen Urteil vom 8. August 2013 (V R 13/12) wurde der Vorrang der Regelung des § 4 Nr. 16 UStG gegenüber des § 4 Nr. 18 UStG festgestellt.

 

Auswirkungen für die Praxis

In den Streitjahren galt die nationale Regelung, dass die Anerkennung als Einrichtung mit sozialen Charakter von der Einhaltung der 40 Prozent-Grenze abhängig war. Diese Sozialgrenze wurde zwar auf 25 Prozent herabgesetzt, besteht aber noch weiter und ist nunmehr im § 4 Nr. 16 Bst. l. UStG normiert. Derartige Grenzen werden von der Rechtsprechung akzeptiert, wenn für alle Marktteilnehmer gleiche Bedingungen gelten und die Sozialgrenzen auf das laufende Jahr abstellen. Eine Berufung auf das Unionsrecht zur Erlangung der Steuerbefreiung über Art 132 Abs. 1 Buchst. g der RL 2006/112/EG ist, wie das jüngste BFH-Urteil zeigt, nicht möglich.


Die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der RL 2006/112/EG zu findende Regelung, dass Umsätze der ambulanten Pflege steuerbefreit sind, wenn sie von anerkannten Einrichtungen mit sozialem Charakter bewirkt werden, führt nicht zur Vereinfachung. Vielmehr sind in diesem Zusammenhang innerstaatliche Regelungen zur Konkretisierung des weiten Begriffs anerkannt, sodass die Regelung zur Sozialgrenze des § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG auch in diesem Kontext zur Anwendung kommt.


Damit hat die Sozialgrenze von 25 Prozent hinsichtlich der Frage nach der Steuerbefreiung der Umsätze von ambulanten Pflegeeinrichtungen eine entscheidende Bedeutung und ihr Einhalten ist genauestens zu untersuchen. Es ist daher für jede Einrichtung, die die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Bst. l. UStG in Anspruch nimmt erforderlich, ein permanentes Monitoring zur Einhaltung der Sozialgrenzen aufzubauen, um mögliche Umsatzsteuernachforderung seitens der Finanzverwaltung zu vermeiden.

 

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