Aktuelle Rechtsprechung zur Umsatzsteuerfreiheit für sogenannte Fertigarzneimittel – Eine Pflicht zur Offenhaltung von Umsatzsteuervoranmeldungen und Bescheiden?

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veröffentlicht am 31. März 2022​; Autoren: Lorenz Bonkhoff, Christian Höchemer

 

Das Finanzgericht (FG) Dessau geht in einer neuen Entscheidung1 davon aus, dass von Krankenhäusern ambulant abgegebene Fertigmedikamente unter die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 b UStG fallen können. Der Verband der Ersatzkassen wittert in dessen Folge Rückforderungsansprüche der Krankenkassen.

 

Im Rahmen eines Zwischenurteils hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt2 kürzlich entschieden, dass die Abgabe von nicht individuell hergestellten Fertigmedikamenten, die im Rahmen einer ambulant in einem Krankenhaus durchgeführten ärztlichen Heilbehandlung verabreicht werden, als mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsatz nach § 4 Nr. 14 b UStG umsatzsteuerfrei sein können.

 

Der Verband der Ersatzkassen (vdek) hat die genannte Entscheidung des FG Dessau aufgenommen und sich im Rahmen eines Rundschreibens an die Krankenhäuser gewandt. In dem Rundschreiben wird die Position des FG Dessau dankbar aufgegriffen und unter anderem die These aufgestellt, dass eine Verpflichtung der Kliniken bestehen würde, die betroffenen Veranlagungszeiträume offen zu halten. Ferner werden hier mögliche Schadensersatzansprüche für den Fall des Nichtnachkommens angekündigt.

 

Zur Begründung wird im Wesentlichen auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs3 zurückgegriffen und dieses auf Fertigmedikamente angewendet.

 

Der Umstand der Notwendigkeit einer Verabreichung während der ärztlichen Behandlungsleistung reicht laut FG4 aus, um von einem mit der ärztlichen Heilbehandlung eng verbundenen Umsatz ausgehen zu können. Dabei reicht es auch aus, wenn der jeweils behandelnde Arzt die Notwendigkeit durch die Verabreichung als „unerlässlich” eingeschätzt hat. Eine Differenzierung zwischen Fertigmedikamenten und patientenindividuellen Zubereitungen wird hier nicht gemacht.

 

Dabei will das FG aber solche Medikamente nicht unter die Steuerbefreiung fallen lassen, welche lediglich dem Wohlbefinden der Krankenhauspatienten dienen. Inwieweit diese Differenzierung für die Praxis relevant ist, scheint höchst fraglich.

 

Aufgrund der genannten Entscheidung des FG Dessau und dem Umstand, dass die Problematik einer eventuellen Steuerbefreiung von Medikamenten bereits seit Längerem im Rahmen der Bund-Länder-Konferenz diskutiert wird, hat der vdek ein Rundschreiben an die Krankenhäuser auslaufen lassen, in dem folgende Handlungsempfehlung abgegeben wird:

 

Hiernach soll es rechtlich geboten sein, alle Umsatzsteuerbescheide, die auch Arzneimittellieferungen im Rahmen ambulanter Krankenhausbehandlung zum Gegenstand haben, offenzuhalten. Aufgrund des Urteils des Bundessozialgerichts5 sollen die Krankenhausträger im Hinblick auf mögliche Rückerstattungsansprüche der Krankenkassen in Bezug auf die mutmaßlich in den vergangenen Jahren zu hoch abgerechnete Umsatzsteuer hierzu verpflichtet sein. Es wird darauf verwiesen, dass das BSG ausdrücklich entschieden habe, dass Krankenkassen gegen Krankenhausträger Ansprüche auf Rückzahlung von überzahlter Umsatzsteuer aus ergänzender Vertragsauslegung oder aus Schadensersatzansprüchen hätten. Dabei kämen Schadensersatzansprüche insbesondere dann in Betracht, wenn ein Krankenhausträger nicht den Eintritt der Bestandskraft bzw. der Festsetzungsverjährung von Umsatzsteuerfestsetzungen verhindert, obschon er damit rechnen musste, dass sich die umsatzsteuerliche Behandlung durch die Finanzbehörden in absehbarer Zeit ändern könnte, etwa aufgrund einer entsprechenden finanzgerichtlichen Entscheidung.

 

Den Ausführungen des vdek wird man zunächst entgegenhalten müssen, dass diese die kürzlich ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Thema Rückforderung der Umsatzsteuer6 auf Fertigmedikamente ignoriert. Das BSG hatte hier die wesentlichen Grundzüge der Entscheidung zur Rückforderung von Umsatzsteuer auf Zytostatika-Zubereitungen vom 09.04.20197 bestätigt. Es wurde aber in Bezug auf Fertigmedikamente ausgeführt, dass das Gericht nicht feststellen könnte, dass sich erkennbar die Rechtsauffassung der Finanzgerichte oder Finanzverwaltung bezüglich der Anwendbarkeit des Umsatzsteuersatzes von 19 % auf die Fertigmedikamente geändert hätte.8 Die Rückforderungsansprüche der klagenden Kasse wurden verneint.

 

Die jüngere Entscheidung des BSG wurde dabei weitgehend so interpretiert, dass die Problematik der Rückforderung von Umsatzsteuer auf Fertigmedikamente damit zumindest vorläufig erledigt sei.

 

Der vdek versucht nun im Hinblick auf die ergangene Entscheidung des FG Dessau eine sich ankündigende Änderung der Rechtslage zu konstruieren. Fakt ist aber Folgendes: Über die korrekte umsatzsteuerliche Behandlung von Fertigmedikamenten besteht derzeit weitgehende Rechtsunsicherheit. Das FG Dessau bejahte eine mögliche Steuerfreiheit, die Finanzverwaltung geht aber von einer Steuerpflicht aus, wobei die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes nicht geklärt ist. Das Bundessozialgericht9 verneint die Anwendbarkeit des Steuersatzes von 7 %. Die vom vdek heraufbeschworene Pflicht erscheint daher eher fernliegend, solange weder das Bundesministerium der Finanzen oder der Bundesfinanzhof entsprechend Stellung genommen haben.

 

Selbst wenn man eine solche Pflicht, Veranlagungszeiträume offenzuhalten, annehmen sollte, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen die Verletzung dieser Pflicht hätte. Der vdek diskutiert hier über Schadensersatzansprüche. Man wird an dieser Stelle den Hinweis geben dürfen, dass der Wegfall des Vorsteuerabzugs, welcher im Fall der Steuerbefreiung der betroffenen Umsätze bestehen würde,10 dazu führen müsste, dass sich der wie auch immer begründete Ersatzanspruch der Kassen entsprechend um den Vorsteuerabzug reduzieren müsste. Dies gilt jedenfalls, wenn man die Rechtsprechung des BGH zur Zytostatika-Problematik11 entsprechend auf den vorliegenden Fall anwendet. Ähnlich hatte sich auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz geäußert.12 Ob hier der Höhe nach ein Schadenersatz stehen würde, ist höchst fraglich.

 

Für den Fall, dass bei gemeinnützigen Krankenhäusern lediglich der reduzierte Umsatzsteuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG zur Anwendung kommen sollte, würde der Vorsteuerabzug nicht entfallen. Hier muss aber darauf verwiesen werden, dass das BSG kürzlich diese Position ausdrücklich verneint hat.13

 

Ob die nun ergangene Entscheidung des FG Dessau die von den Kassen erhoffte Änderung der Rechtsprechung darstellt, kann bezweifelt werden. Da die Angelegenheit aber rechtlich komplex ist und die betroffenen Sachverhalte vielfältig sind, kann hier keine generelle Handlungsempfehlung für die Kliniken gegeben werden.

 

Die betroffenen Krankenhausträger sollten sich in jedem Fall fachkundig zur Thematik beraten lassen.

1 Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 20.10.2021, 3 K 1024/17.
2 Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 20.10.2021, 3 K 1024/17.
3 BFH-Urteil vom 24.09.2014, V R 19/11, BStBl. II 2016, S. 781.
4 Urteil des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 20.10.2021, 3 K 1024/17.
5 BSG-Urteil vom 09.04.2019, B1 KR 5 / 19 R, BSGE-0128-0065.
6 Vgl. FN 5.
7 Vgl. FN 5.
8 BSG-Beschluss vom 10.11.2021, B-1-KR-5/21-B, Rn. 8, 20.
9 Vgl. FN 8.
10 § 15 Abs. 2 Nr.1 UStG
11 BGH-Urteile vom 20.02.2019, VIII ZR 7/18; VIII ZR 66/18; VIII ZR 115/18; VIII ZR 189/18.
12 Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 18.02.2021, L5 KR 161/18, Rechtsmittel anhängig.
13 Vgl. FN 5.

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Christian Höchemer

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