BVerwG: Keine Pflicht des Aufgabenträgers zum Erlass einer allgemeinen Vorschrift – die Urteilsgründe

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veröffentlicht am 22. Januar 2020

 

von Lars Werner Röwer

 

Das BVerwG hat im Januar die Urteilsgründe zu seiner Entscheidung vom 10.10.2019 veröffentlicht. Das BVerwG stellt fest, dass der Aufgabenträger zum Ausgleich nicht auskömmlicher Tarifbindungen ein Wahlrecht zwischen allgemeiner Vorschrift und öffentlichen Dienstleistungsauftrag hat. Das BVerwG leitet dies aus der Verordnung VO (EG) Nr. 1370/2007 und dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) ab, zudem konstituiere auch der Art. 12 Abs. 1 GG keine Pflicht zum Erlass einer allgemeinen Vorschrift. Das BVerwG fällt diese Entscheidung nicht nur zu Lasten des Klägers, sondern auch gegen die gleichlautende Auffassung des Vertreters des Bundesinteresses beim BVerwG.


Gemäß der (europäischen) VO (EG) Nr. 1370/2007 (VO 1370), erfolge eine Gewährung von Ausgleichsleistungen gleich welcher Art  für die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Leistungen grundsätzlich im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages (öDA) nach Art. 3 Abs. 1 VO 1370. Davon abweichend könne nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 auch eine allgemeine Vorschrift erlassen werden. Art. 3 Abs. 2 S. 3 VO 1370 bekräftige das Wahlrecht der zuständigen Behörde, gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen zur Festsetzung von Höchsttarifen in öDA aufzunehmen. Diese Ebenbürtigkeit ergäbe sich aus Erwägungsgrund 5 der Verordnung, wonach beide Ausgleichsinstrumente gleichranging nebeneinander stehen würden. Nach Art. 3 VO 1370 gäbe es daher keinen Anspruch auf Erlass einer allgemeinen Vorschrift, vielmehr habe die zuständige Behörde ein Wahlrecht. Die durch die Festsetzung von Höchsttarifen bedingten Mindereinnahmen könnten entweder im Rahmen eines öDA oder durch eine allgemeine Vorschrift ausgeglichen werden.

 

Auch aus dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) ergebe sich keine abweichende Interpretation: So spreche der Wortlaut des § 8a Abs. 1 S. 2 PBefG dafür, es dem Aufgabenträger zu überlassen, ob er eine allgemeine Vorschrift erlassen oder einen öDA vergeben wolle, soweit eine eigenwirtschaftliche Verkehrserbringung ohne Kostenausgleich nicht möglich sei. Auch diese (nationale) Vorschrift stelle beide Handlungsformen gleichrangig nebeneinander und räume dem Aufgabenträger ein Wahlrecht zwischen beiden Alternativen ein.

 

Der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit begründe keine Verpflichtung zum Erlass einer allgemeinen Vorschrift. Lediglich, wenn der eigenwirtschaftliche Antrag den Anforderungen des vom Aufgabenträger festgelegten Verkehrskonzepts entspreche oder der Aufgabenträger den Abweichungen zustimme, gelte der Vorrang. Der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit wirke sich in erster Linie auf die Verfahrensgestaltung aus. Dem sei genüge getan, wenn der Aufgabenträger das in § 8a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 und 2 PBefG geregelte Verfahren einhalten würde.

 

Die teleologische Auslegung des § 8 Abs. 4 S. 1 PBefG ergebe nichts anderes. Der Aufgabenträger habe einen qualitativ und quantitativ ausreichenden ÖPNV zu Fahrpreisen zu gewährleisten, die den Aufgaben eines Massenverkehrs entsprächen. Im Rahmen des gebotenen Ausgleichs zwischen Anforderungen der Daseinsvorsorge zum einen und den privatwirtschaftlichen Interessen zum anderen habe der Aufgabenträger zu entscheiden, ob er zum Ausgleich nicht auskömmlicher Tarifbindungen eine allgemeine Vorschrift erlasse oder nicht.

 

Gleichfalls zeigten auch die Gesetzgebungsmaterialien keinen Hinweis auf ein eingeschränktes Wahlrecht. Der Gesetzgeber sei durch die Anpassung des PBefG an die VO 1370 davon ausgegangen, den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit zu erhalten und zu konkretisieren. Mit der Einfügung des § 8a Abs. 1 S. 2 PBefG sei nur eine Klarstellung gewollt worden, über welche Handlungsoptionen die zuständige Behörde verfüge, nicht aber, dass die Anwendbarkeit der Verordnung eingeschränkt werden sollte.

 

Abschließend konstituiere auch Art. 12 Abs. 1 GG keine Pflicht des Aufgabenträgers, das Wahlrecht zugunsten des Erlasses einer allgemeinen Vorschrift auszuüben. Zwar greife die Auferlegung eines nicht auskömmlichen Verbundtarifs in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin ein, da sie nicht mehr frei über die Gegenleistung für die von ihr erbrachten Verkehrsleistungen bestimmen könne. Dieser Verbundtarif verfolge jedoch den legitimen Zweck, möglichst vielen Bürgern die Nutzung des ÖPNV zu günstigen Bedingungen zu ermöglichen. Es sei auch ein geeignetes Mittel, die damit verbundenen Kostennachteile für Verkehrsunternehmen nur im Rahmen eines öffentlichen Dienstauftrages zu kompensieren. Die Maßnahme sei auch erforderlich, da der Erlass einer allgemeinen Vorschrift kein gleich geeignetes Mittel sei. Denn die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages biete dem öffentlichen Aufgabenträger größere Flexibilität, die Verkehrserbringung bei sich wandelnden Verhältnissen und Verkehrsbedürfnissen über die Laufzeit anzupassen. In Anbetracht der Schwere dieser Gemeinwohlbelange sei den privaten Verkehrsunternehmen die Wahl eines Dienstleistungsauftrags auch zumutbar.

 

Bewertung für die Praxis

Die Einräumung eines „echten” Wahlrechts zwischen öDA und dem Erlass einer allgemeinen Vorschrift stärkt die Position der Aufgabenträger. Zu Recht betont das Gericht, die Aufgaben- und Verantwortungsteilung im ÖPNV. Den Aufgabenträgern obliegt die Ausgestaltung des Gemeinwohls, den Verkehrsunternehmen die wirtschaftliche Leistungserbringung. Mit der Entscheidung wird klargestellt, dass diese Ausgestaltungsbefugnis eben auch die Wahl der geeigneten Instrumente des Aufgabenträgers umfasst. Entscheidet sich der Aufgabenträger, Tarifausgleichsleistungen nur über einen öDA zu vergeben, so ist dies zukünftig rechtssicher möglich.

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