Mobilitätsgesetze der Länder – Gesetzgeberische Innovationen für die Verkehrswende

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Autoren: Dr. Anna Scharl und Oliver Ronnisch  

​veröffentlicht am 5. Mai 2021

 

Im Jahr 2018 führte das Land Berlin als erstes Bundesland sein Mobilitätsgesetz ein. Die Bündelung verschiedenster Regelungsbereiche rund um den Umweltverbund des Verkehrs in einem Gesetz könnte zum gesetzgeberischen Trend werden. 

Die Emissionsminderungen klimaschädlicher Gase, zu denen sich die Bundesrepublik Deutschland zuletzt im Übereinkommen von Paris verpflichtet hat, gelingen in Deutschland sektoral unterschiedlich gut. Mit Ausnahme des „Corona-Jahres” 2020, hat sich im Sektor „Verkehr” emissionsseitig in den letzten Jahrzehnten wenig getan. Eine Lösungsstrategie für dieses in der gesellschaftlichen Debatte als immer gravierender empfundene Defizit ist die Verkehrswende, also die Abwendung vom (mineralöl-)motorisierten Individualverkehr und die Hinwendung zu den Verkehrsträgern des sogenannten Umweltverbundes. Das umfasst als Fortbewegungsmittel das Fahrrad, den (Miet-) Roller, den öffentlichen (Nah- und Fern)Verkehr mit Bus, Bahn, Schiff, Taxi, Uber etc. bis hin zur Fortbewegung per pedes. Quantitativ und qualitativ ist dabei das Etablieren ganz neuer Standards erforderlich, um in kurzer Frist starke Verhaltensänderungen bei den Verkehrsteilnehmern anzustoßen.

Der Bund treibt die Verkehrswende gesetzgeberisch, planerisch und finanziell insbesondere im Eisenbahnbereich voran, etwa beim Deutschlandtakt. Aber auch die Erhöhung der Regionalisierungsmittel für die Länder lässt sich darunter fassen. Die Länder haben bisher erst vereinzelt über den bisherigen Ordnungs- und Handlungsrahmen und über das Erstellen unverbindlicher Konzepte hinaus gedacht. Insbesondere bürgerschaftliches Engagement scheint nun den entscheidenden Ausschlag für Änderungen zu geben.

 

Berlin

Im Jahr 2018 setzte das Land Berlin als erstes Bundesland ein neues Mobilitätsgesetz in Kraft. Erstmals wurde hier vom Gesetzgeber über die regulatorischen Grenzen der einzelnen Fortbewegungsmittel hinaus und Mobilität ganzheitlich gedacht. Getrieben durch eine Volksinitiative zum Erlass eines Radverkehrsgesetzes, verabschiedete das Abgeordnetenhaus von Berlin im Juni 2018 die erste Fassung des Mobilitätsgesetzes, dass die Fahrradnutzung und den ÖPNV in einem gemeinsamen Gesetz regelt. Inzwischen ist der Fußverkehr aufgenommen worden, Regelungen zum Wirtschaftsverkehr und zu neuen Mobilitätsformen sollen nachfolgen. Im Wesentlichen geht es dem Gesetzgeber darum, die Verwaltung des Stadtstaates auf eine klare Priorisierung des Umweltverbundes bei allen Planungs- und Finanzierungsvorhaben im Verkehrsbereich hin zu verpflichten. So wird derzeit ein stadtweites Radschnellwegenetz projektiert, die Zugangsmöglichkeiten der Bevölkerung zu Nahverkehrsangeboten verbessert, Grünphasen für Fußgänger an Ampelanlagen verlängert. Es soll zudem beispielsweise noch eine öffentliche Plattform für verkehrsrelevante Daten geschaffen und bestehende Gleisanlagen, Häfen und Güterumschlagstellen erhalten und somit dem Umwandlungsdruck der weiter wachsenden Stadt entzogen werden.

Kritiker bemängeln, dass das Gesetz im Wesentlichen eher aus der Akklamation politischer Zielsetzungen denn aus „harten” Regelungen besteht. Zudem sei seit Verabschiedung des Gesetzes selbst von den verbindlichen Vorgaben des Gesetzgebers wenig umgesetzt. So fehlt bis heute der weitere Details enthaltende stadtweite Radverkehrsplan, die geplanten Radschnellwege existieren bisher nur auf dem Papier. Einzig die coronabedingten „Pop-Up-Radwege” prägen seit einem Jahr zunehmend das Straßenbild: Als provisorisch-gelbe Markierungen auf Bestandsstraßen.
 

Brandenburg

Das Land Brandenburg hat den Gesetzgebungsprozess Berlins noch vor sich. Eine Bürgerinitiative „Verkehrswende Brandenburg jetzt” konnte von der Politik von der Initiierung einer Volksgesetzgebung mit dem Versprechen abgehalten werden, in ihrem Sinne Mobilität neu und gesamthaft gesetzgeberisch auszugestalten. Anders als die Metropole Berlin mit ihrem großen kommunalen Verkehrsunternehmen und der kompakten Stadtgeografie, trägt Mobilität im ländlich geprägten und oft dünn besiedelten Flächenland das Gesicht von achtzehn kommunalen Aufgabenträgern, einer Vielzahl kommunaler und privater Verkehrsunternehmen und – vor allem – einer starken Automobilität. Zwar sind die Pendelbeziehung nach und von Berlin, insbesondere entlang der Haupteisenbahnachsen, relativ gut organisiert, auch in den vier
kreisfreien Städten ist gut funktionierender ÖPNV inkl. Straßenbahn vorhanden, jedoch sind öffentliche Verkehre abseits dieser Räume, etwa zwischen benachbarten Regionen, oft nur rudimentär vorhanden, der Schulbus ist oft das einzige Angebot. Radwege dienen oft ausschließlich einer touristischen Nutzung, alltagstaugliche Verbindungen sind vielmals lückenhaft und in qualitativ schlechtem Zustand. Dies zu ändern verspricht nun die Koalition in Potsdam. Allerdings scheinen die Ambitionen nicht an das Berliner Niveau heranzureichen: Gesetzliche Pflichtaufgabe der Kommunen soll der ÖPNV nicht werden, ein allgemeiner Finanzierungsvorbehalt für alle Maßnahmen ist bereits formuliert. Auch stehen wohl Bedienmindeststandards im ÖPNV nicht auf der Tagesordnung. Die coronainduzierten Steuerausfälle werfen ihre Schatten voraus. Geplant ist, im Rahmen eines auf eine breite öffentliche Debatte gestützten Gesetzgebungsverfahrens bis 2022 ein Mobilitätsgesetz in das Gesetz- und Verordnungsblatt zu bringen.
 

Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz ist bereits seit 3. Februar 2021 ein neues Nahverkehrsgesetz in Kraft.

Das Gesetz verfolgt einen hierarchisch-organisierten und integrierten Mobilitätsansatz. Konkret werden mehrere Nahverkehrspläne eingeführt, die es ermöglichen sollen, den Verkehr von oben nach unten auszugestalten: Über einen Landesnahverkehrsplan sollen landesweit einheitliche Mindeststandards definiert werden. Über regionale und lokale Nahverkehrspläne können diese weiter durch die Aufgabenträger konkretisiert werden.

Um die Erfüllung der Mindeststandards sicherzustellen, wird in Rheinland-Pfalz der ÖPNV insoweit erstmals zur Pflichtaufgabe der kommunalen Selbstverwaltung.
Zur Umsetzung werden in organisatorischer Hinsicht zwei Pflicht-Zweckverbände (Nord / Süd) geschaffen, die jeweils für den gesamten ÖPNV (Straße und Schiene) zuständig sind. Den Zweckverbänden gehören wiederum jeweils zwei Regionalausschüsse an, die sich innerhalb des jeweiligen Zweckverbands um die regionalen Themen (z.B. Gestaltung von Verbundtarifen) kümmern. Daneben bestehen regionale Geschäftsstellen, die für die operative Umsetzung dieser sorgen.
 

Weitere Länder

Neben diesen bereits bestehenden bzw. geplanten Mobilitätsgesetzen gab und gibt es verschiedenste Initiativen in den Ländern, etwa in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Während in Baden-Württemberg mobilitätspolitische Großprojekte unter dem Eindruck wegbrechender Steuermittel stark unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden und so auch die alte, neue Koalition in Stuttgart in nächster Zeit keine gesetzgeberischen „Experimente” unternehmen dürfte, hat in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung einen Referentenentwurf für ein Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz gebilligt. Unter Weglassung des ÖPNV soll das neue Gesetz neben einem angestrebten Modal-Split-Anteil des Radverkehrs auch ein landesweites Fahrradvorrangnetz definieren. Zudem wird ein besonderes Augenmerk auf die Vernetzung des Fahrrades mit anderen Verkehrsmitteln gelegt, etwa durch geförderte E-Fahrrad-Ladestationen an Verkehrsknoten. Hessen schließlich hat zwar eine umfassende Mobilitätsstrategie formuliert, eine gesetzgeberische Umsetzung derselben steht jedoch noch aus. 


Fazit

Als grundsätzlich positiv ist zunächst die Tendenz zum Mobilitätsgesetz zu werten. Dies schon deswegen, weil sich durch den gesetzlichen Regelungscharakter eine deutlich höhere Verbindlichkeitsstufe als bei bloßen Konzepten oder Strategiepapieren entfaltet. Das sollte Ausdruck auch einer stärkeren Selbstbindung der Länder beim Thema Verkehrswende sein. Es kann sich eine Dynamik entfalten, der sich auch die anderen Länder und ggf. der Bund nicht wird entziehen können. Denn bei allem Positiven liegt hier genau der größte Schwachpunkt der bisherigen Gesetze: Neben konkreten Umsetzungsschwierigkeiten vor Ort ist das immer noch hohe Ausmaß an schlicht akklamatorischen Paragraphen bei gleichzeitig geringem Anteil „harter” Regelungen mit Anordnungscharakter kennzeichnend. Der wesentliche Grund dürfte hierfür in der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes sein. Wesentliche Gesetzesmaterien werden dem Bund zugweisen (PBefG, Eisenbahn, Straßenverkehr, Binnenschifffahrt, Finanzzuweisungen an Länder und Kommunen). Für noch größere gesetzgeberische Durchbrüche müsste also entweder die Kompetenzverteilung im Mobilitätssektor neu justiert werden oder es bedürfte – auch – eines Bundes-Mobilitätsgesetzes.

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