Der Wert von Energienetzen

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​veröffentlicht am 1. Juni 2013
 
Von Anton Berger

Strom- und Gasnetze müssen zwangsläufig nach dem Ertragswertverfahren ermittelt werden. Dies erfordern nicht nur betriebswirtschaftliche Sichtweisen, sondern auch die Vorgaben der Gerichte und der Bundesnetzagentur sowie des Bundeskartellamtes.
 

Bewertungsanlässe und Historie

Der Wert von Energienetzen wird von unterschiedlichen Parametern und Restriktionen bestimmt. Zu beleuchten sind insoweit die verschiedenen Betrachtungsweisen von Veräußerer und Erwerber; ebenso bedürfen die unterschiedlichen, z.T. historisch bedingten Bewertungsansätze, deren Legitimation und Begründung einer detaillierten Abhandlung. Als Bewertungsverfahren im Bereich der Energienetze stehen grundsätzlich der Sachzeitwert, der kalkulatorische Restwert, der Ertragswert sowie die Discounted Cash-Flow-Methode (DCF-Methode) zur Diskussion.
 
Das Auslaufen von Konzessionsverträgen ist aktuell der wesentliche Anlass für die Bewertung von Energienetzen. Nach § 46 Abs. 3 EnWG müssen Kommunen die Neuvergabe einer Konzession bekanntmachen. Sofern der Konzessionär und damit einhergehend der Eigentümer wechselt, ist eine Bewertung durchzuführen, um den angemessenen Wert für den Verkauf des Netzes zu ermitteln. Weitere Bewertungsanlässe können gesellschaftsrechtliche Veränderungen sein. Dies können die Veräußerung oder Teilveräußerung von Stadtwerken und Netzgesellschaften oder aber Kooperationen oder Fusionen von Energieversorgungsunternehmen sein. Auch bei Kommunalisierungsvorhaben von Städten und Gemeinden ist eine Unternehmensbewertung zu erstellen. Netze, die im Rahmen einer Konzessionsvertragsbeendigung in eine neu gegründete gemeindliche Gesellschaft eingebracht werden, sind Gegenstand einer Bewertung.
 
Historisch betrachtet kommt dem Sachzeitwert eine besondere Bedeutung bei der Bewertung von Betrieben der Energiewirtschaft zu. „Der Sachzeitwert ist der auf der Grundlage des Tagesneuwertes (Wiederbeschaffungswert) unter Berücksichtigung seines Alters und Zustands ermittelte Restwert eines Wirtschaftsguts i. S. des Bruttorekonstruktionswertes. Er spiegelt den Wert wider, den ein gebrauchtes Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung des aktuellen Neuwerts eines gleichwertigen Guts seines Alters und Erhaltungszustands noch verkörpert, gibt also dessen Wiederbeschaffungswert an”. Neben dem Sachzeitwert stellt der Buchwert eine wichtige Bemessungsgröße bei der Bewertung von Energienetzen dar. Der Buchwert ist der in der Buchführung ausgewiesene Restbuchwert, basierend auf dem um Abschreibung verminderten Anschaffungsund Herstellungswert. Im Regime der Anreizregulierung wird aber nicht dem bilanziellen Buchwert, sondern dem kalkulatorischen Restwert eine entsprechende zentrale Bedeutung beigemessen.
 

Bewertungsverfahren und Einflussfaktoren

Neben diesem substanzorientierten Einzelbewertungsverfahren nimmt mittlerweile auch bei der Wertbestimmung von Energienetzen das in der modernen Betriebswirtschaftslehre vorherrschende Ertragswertverfahren eine zentrale Rolle ein. Nach diesem Verfahren ermittelt sich der Unternehmenswert durch Diskontierung der dem Unternehmenseigner zukünftig zufließenden finanziellen Überschüsse, die sich aus den handelsrechtlichen Erfolgen (Erträgen) ableiten. Die Details und die Besonderheiten der Bewertung von Energienetzen werden im Folgenden näher analysiert.

Einflussfaktoren

So geht das Energiewirtschaftsgesetz im § 46 Abs. 2 EnWG bei Netzübertragungen nach Konzessionsvertragsbeendigung lediglich von einer „wirtschaftlich angemessenen Vergütung” aus. In einer Vielzahl von Konzessionsverträgen ist der Sachzeitwert für die Ablösung der Verteilungsanlagen am Laufzeitende in der Endschaftsklausel fixiert. Dem ist der in der Betriebswirtschaftslehre dominierende Ertragswert gegenüberzustellen, nach welchem der Erwerber den Kaufpreis in Form der kapitalisierten zukünftigen Erträge ermitteln wird. Diese wiederum werden auf Basis des kalkulatorischen Restwertes ermittelt, der sich nach den Vorschriften der Netzentgeltverordnungen bestimmt.

gesetzliche Bestimmungen

Regulierungsregime

Seit dem 1. Januar 2009 werden die Netzerlöse durch die Anreizregulierungsverordnung (ARegV) determiniert. Weiterhin stellen jedoch die Netzentgeltverordnungen (StromNEV bzw. GasNEV) die entscheidenden Vorschriften zur Ermittlung der zukünftigen Erlöse und Ergebnismargen dar. Die Netzentgeltverordnung regelt in § 7, dass auf Grundlage der kalkulatorischen Restwerte des Sachanlagevermögens, die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung zu ermitteln ist. Diese stellt den Gewinnanspruch des Netzeigentümers dar.
Die §§ 6 und 7 StromNEV und GasNEV regeln auch, dass der kalkulatorische Restwert eines Anlagegutes nach Ablauf des ursprünglich angesetzten Abschreibungszeitraums Null beträgt. Ein Wiederaufleben kalkulatorischer Restwerte ist unzulässig. Dies gilt auch bei Veränderungen der Eigentumsverhältnisse. Konkretisiert und bestätigt wurde dies im „Positionspapier der Regulierungsbehörden des Bundes und der Länder zu Einzelfragen der Kostenkalkulation gemäß Stromnetzentgeltverordnung vom 07. März 2006”. Durch die Übernahme eines Netzes zu einem überhöhten Kaufpreis (z. B. zum Sachzeitwert) kann daher eine Kalkulationslücke entstehen, die in der Netzentgeltkalkulation durch zukünftige Abschreibungen und Gewinne nicht mehr zu erwirtschaften ist. Diese Tatsache gilt gerade auch im Zeitalter der Anreizregulierung, da die Erlösobergrenzen die Umsatzpotentiale und damit auch die Gewinnchancen des Netzbetriebs deckeln.


Netzübernahme


Durch die Anreizregulierungsverordnung ist bei Netzübernahmen ein neuer Aspekt in das Blickfeld der beteiligten Akteure gelangt: Die Übertragung der Erlösobergrenze nach § 26 Anreizregulierungsverordnung (ARegV) regelt die Übernahme von Energieversorgungsnetzen. Die Regelung wirft in der Praxis aber erhebliche Umsetzungsprobleme auf. Im Rahmen einer Netzübernahme hat die Übertragung der Erlösobergrenze als weitere Verhandlungsgröße neben dem Kaufpreis eine wesentliche Bedeutung erlangt. Zwar gilt dieser Erlösanteil nur einige Jahre bis zum Beginn der nächsten bzw. übernächsten Regulierungsperiode. Allerdings müssen Energienetze, die ab dem Jahr 2012 übergehen, die Erlösobergrenze bis 2017 bei Gas und bis 2018 bei Strom einvernehmlich festlegen. Dies ist erforderlich, da das sog. „Basisjahr” (2010 für Gas und 2011 für Strom), welches die Basis für die Ermittlung der Netzkosten für die nächste Regulierungsperiode bildet, nicht als Grundlage der Ermittlung eigener Kosten für die nächste Regulierungsperiode herangezogen werden kann. Es wird deutlich, dass dem Erlösanteil die gleiche Beachtung geschenkt werden muss, wie der Kaufpreisermittlung. Denn er wirkt sich auf die Netzentgelte und damit auch auf den Kaufpreis aus. Die Kaufpreisermittlung darf folglich nicht mehr losgelöst von der zu übertragenden Erlösobergrenze gesehen werden.
 
Von Bedeutung sind auch die von der Bundesnetzagentur festgelegten Eigenkapitalzinssätze. Diese definieren den Zinsanspruch des Netzbetreibers. Für Altanlagen wurden für die erste Regulierungsperiode 7,56% festgelegt. Für Neuanlagen gelten 9,29 %. Nach einem Beschluss der BNetzA vom 31. 10.2011 gelten für die zweite Regulierungsperiode für Neuanlagen 9,05% und für Altanlagen 7,14%. Die von der BNetzA verwendeten Eigenkapitalzinssätze, vor allem der Zinssatz für Neuanlagen sind grundsätzlich marktkonform.

Hinsichtlich der rechtlichen Einschätzung zum Wertansatz kommt der BGH in seinem Urteil vom 16. 11. 1999 (auch als „Kaufering-Urteil” bekannt) zum Ergebnis, dass der Sachzeitwert bei einer Netzübernahme unbillig sein kann. In dem Urteil argumentiert der BGH, dass der Sachzeitwert als möglicher Preis einer Netzübertragung trotz konzessionsvertraglicher Vereinbarung nicht anwendbar sein muss, sofern dieser für einen „nach Maßstäben wirtschaftlicher Vernunft handelnden” anderen Versorger zu hoch ist. Bei der Wertermittlung ist auf die zukünftige wirtschaftliche Situation abzustellen, und in Fällen, wo der Ertragswert unter dem Sachzeitwert liegt, ist dieser zu berücksichtigen. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses galt als gesetzliche Grundlage der „Sachzeitwert” als Mindestvergütung bei Netzübertragungen von Stromversorgungsanlagen. In der Neufas¬sung des EnWG vom 7. Juli 2005 hat sich der Gesetzgeber in §46 Abs.2 auf die Begrifflichkeit zur Zahlung einer „wirtschaftlich angemessenen Vergütung” beschränkt. Diese allgemein gehaltene Bestimmung lässt offen, nach welchem Wert Versorgungsanlagen übertragen werden sollen. Gleiches gilt für das EnWG 2011. In den Gesetzesmaterialien hingegen wird jedoch auf die Anwendbarkeit des Kaufering-Urteils Bezug genommen.

Die strittige Frage, ob eine Netzübertragung zum Sachzeitwert ökonomisch gerechtfertigt ist, lässt sich nur dann mit „ja” beantworten, wenn dieser Wert auf die zukünftigen Preise und Ent¬gelte abgewälzt werden kann. Der BGH verwendet hier den Begriff „nicht verdient” letztendlich als Synonym für die Kapitalisierung zukünftiger Erträge. Er weist jedoch auch darauf hin, dass Übertragungswerte zum Sachzeitwert nicht unbedingt unangemessen (prohibitiv) sein müssen, zumal in der Praxis eine Vielzahl von Stromnetzübertragungen auf Basis des Sachzeitwertes abgewickelt werden. Vielmehr ist anzunehmen, dass diese Unternehmen sich langfristig in  in der Lage sehen, Erträge zu erwirtschaften, die diese Investition i. H. des Sachzeitwertes als sinnvoll erscheinen lassen. Dieses Urteil muss eindeutig als Indiz für die Legitimation des Ertragswertverfahrens bei der Bewertung von Versorgungseinrichtungen und -betrieben angesehen werden. Es wurde auch nach Rückverweisung an das OLG München (Urteil v. 17. 11.2005) bestätigt. Durch die hergestellte Verknüpfung der Investition des Netzkaufs mit der zukünftigen Ertragserwartung aus der unternehmerischen Tätigkeit – was aus ökonomischen Gesichtspunkten als selbstverständlich gilt – lässt sich der daraus resultierende Wert (Ertragswert) ableiten. Durch die Anreizregulierung sind die Netzerlöse in ihrer Höhe begrenzt. Es steht fest, dass die Erlöse aus den Netzbetrieben weiter sinken werden und nur bei gleichzeitiger Optimierung der Kostenstruktur die Netzrenditen gesichert werden können. Eine Refinanzierung des Sachzeitwertes über die Netzerlöse im Rahmen des Anreizregulierungsregimes scheint aus heutiger Sicht i.d.R. nicht mehr möglich. Folglich muss ein potenzieller Investor als Wertmaßstab für den Verkauf auf den Ertragswert abstellen.

Der BGH hat diese Rechtsprechung noch unter Geltung des EnWG 1998 (EnWG vor Inkrafttreten des EnWG 2005 und der Netzentgeltverordnungen) bestätigt. Nach Inkrafttreten des EnWG 2005 haben sich bereits mehrere Gerichte mit der Frage des angemessenen Kaufpreises beschäftigt. So folgt auch das LG Hannover mit seinem Urteil vom 24.06. 2010 der „Kaufering”-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1998. Das LG Hannover geht davon aus, dass eine „wirtschaftlich angemessene Vergütung” nach § 46 Abs. 2 EnWG die Ertragssituation und die historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten nicht ausblenden darf. Zwar gibt es abweichende Entscheidungen, wie die des OLG Koblenz (Hinweis- und Beweisbeschluss). Das OLG Koblenz hat zwar 2010 betont, dass bei Übereignung ein Entgelt zu zahlen ist, welches vereinbarungsgemäß auch der Sachzeitwert sein kann. Das OLG merkt jedoch an, dass eine Ertragswertkontrolle gemäß „Kaufering-Entscheidung” des BGH weiterhin Gültigkeit hat, aber an die geänderte Rechtslage anzupassen sei. Das OLG betont auch, dass im Rahmen der Ertragswertkontrolle als Maßstab nicht die Ertragsaussichten eines „Durchschnittlichen” Erwerbers dienen. Zu den „alle denkbaren Erwerber”, wie sie der BGH bezeichnet, zählen nur diejenigen, für die eine Übernahme des Netzes wirtschaftlich sinnvoll ist, d. h. aus wirtschaftlicher Sicht einen größeren Nutzen generieren. Aus Sicht des OLG müssen daher in der Ertragswertkontrolle Synergieeffekte des übernehmenden Netzbetreibers berücksichtigt werden. Zudem sind aus Sicht des OLG die Auswirkungen der Netzentgeltregulierung zu berücksichtigen sowie ggf. durch das Regulierungssystem zusätzlich mögliche Gewinne zu berücksichtigen  Auch das LG Frankfurt mit Urteil vom 28. 05. 2010 argumentiert ähnlich und geht zuerst von der Ermittlung des im Konzessionsvertrag vorgesehenen „Schätzwertes” aus, auf dessen Basis der Ertragswert als mögliches Korrektiv für den Netzkaufpreis zu ermitteln ist. Bereits im Jahr 2008 hat das OLG Frankfurt entschieden, dass es erforderlich ist, eine Modifikation des Sachzeitwertes durch den Ertragswert durchzuführen. Ähnlich argumentiert auch das OLG Karlsruhe mit Urteil vom 24.10.2012.

Auch das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur haben mit ihrem Leitfaden vom 15. 12. 2010 die strittigen Fragen zum Wert von Energieversorgungsnetzen beantwortet. So betont der Leitfaden, dass der bisherige Konzessionsnehmer das Netz nur gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung nach § 46 Abs. 2 EnWG zu überlassen hat. Die „angemessene Vergütung” und deren Maßstäbe sind dem „Kaufering-Urteil” zu entnehmen. Auch hier gilt der Grundsatz, der Sachzeitwert kann Anwendung finden, sofern er den Ertragswert nicht unerheblich übersteigt. Eine Verhinderung einer Netzübernahme ist zu vermeiden, so dass der Ertragswert eine begrenzende Wirkung entfaltet.


Fazit

In der Praxis ist die Ermittlung sowohl des Sachzeitwertes, des kalkulatorischen Restwertes als auch des Ertragswertes üblich. Wertbestimmend und von Bedeutung ist zudem, seit Inkrafttreten der Anreizregulierungsverordnung, die zu übertragende Erlösobergrenze, welche nach § 26 ARegV zu erfolgen hat. Die Kapitalisierung im Ertragswertverfahren erfolgt für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach den Vorgaben des CAPM auf Basis der Vorgaben des Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW S 1). Zudem ist es als Korrektiv empfehlenswert, neben der reinen „kapitalmarktorientierten” Wertermittlung auch einen „kalkulatorischen” Ertragswert zu ermitteln, welcher sich auf Basis der kalkulatorischen Gewinnansprüche und den regulatorischen Eigenkapitalzinssätzen ableitet. Individuelle Kostenstrukturen, welche entweder vom Erwerber oder vom abgebenden Unternehmen vorgegeben werden, sollen ausgeblendet werden. Ein an diesem Ansatz abgeleiteter Ertragswert muss nahe am kalkulatorischen Restwert liegen und stellt somit einen realistischen Wert dar, welcher über zukünftige Netzentgelte zu erwirtschaften ist.

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Anton Berger

Diplom-Ökonom, Diplom-Betriebswirt (FH)

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