Early Tax Birds 19/2024: BVerfG nimmt Vorlage zur Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrags nicht an

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​Ausgabe 19/2024 (30. September – 6. Oktober 2024)
​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 7. Oktober 2024 | Lesedauer ca. 8 Minuten

​Liebe Leserinnen und Leser,

diese Woche stand bei der Vorbereitung unseres Newsletters eine zentrale Frage im Raum: Zählt am Ende mehr die Quantität oder die Qualität? Anlass zur Überlegung gab nicht nur der die Quantität der Nachrichten einschränkende Feiertag, sondern auch die im Übrigen ungewohnt ruhige Nachrichtenlage. Der BFH veröffentlichte keine Urteile, und auch die Finanzverwaltung hielt sich bemerkenswert zurück – vielleicht nahmen sich alle eine „Brückenwoche“? 

Spätestens ab Donnerstag stellten wir uns daher die Frage: Was schicken wir Ihnen am Montag? Und wie viel? Eins ist klar: Die Qualität muss immer stimmen. Aber kann sie auch ohne Quantität überzeugen? Ist eine einzelne Meldung noch eine echte „News“? 

Zum Glück trudelten doch noch einige interessante Entwicklungen ein, darunter eine besonders passende Entscheidung: Das BVerfG, das sich mit einer Vorlage des FG Niedersachsen befasste, kam zu dem Schluss, dass dort offenbar eher Quantität als Qualität geliefert wur​de. Ob das wirklich der Fall ist? Lesen Sie selbst – in unserem gewohnt qualitativ hochwertigen Newsletter, der Ihnen auch diese Woche die richtige Dosis an steuerlichen Neuigkeiten bringt.

Im Übrigen gilt wie immer: Wenn Ihnen unser Newsletter gefällt, abonnieren Sie ihn und em​pfehlen​​ Sie ihn weiter. Wenn er Ihnen nicht gefällt, sagen Sie es besser nur uns. Wir freuen uns über jede Kritik, Anregung und natürlich auch über Lob an earlytaxbirds@roedl.com.

Beste Grüße

Philip Nürnberg und das Redaktionsteam​​

  
 
Aktu​elle Gesetzgebung​​
  

Bundesregierung nennt Daten zu Cum-Ex und Cum-Cum

Auf eine Kleine Anfrage der Gruppe "Die Linke" aus August 2024 hat die Bundesregierung die Zahlen zu den Cum-Ex- sowie Cum-Cum-Verdachtsfällen​ veröffentlicht. Zum 31. Dezember 2023 haben sich demnach 380 Cum-Ex-Verdachtsfälle mit einem Volumen nicht anrechenbarer oder erstatteter Kapitalertragsteuer inklusive Solidaritätszuschlag in Höhe von 3,8 Milliarden Euro in Bearbeitung befunden. Bislang wurden 174 Fälle rechtskräftig abgeschlossen und 3,1 Milliarden Euro Kapitalertragsteuer inklusive Solidaritätszuschlag zurückgefordert. Die Bundesregierung beziffert die Cum-Cum-Fälle auf 240 mit einem Volumen von 6,7 Milliarden Euro. 76 weitere Fälle seien bisher abgeschlossen und Kapitalertragsteuern in Höhe von 205 Millionen Euro zurückgefordert worden.
  
Neuigkeiten von der EU, der OECD und der UNO

  
Abwehrgesetzgebung bei künstlichen Darlehenskonstruktionen nicht unionsrechtswidrig

Der EuGH hat am 4. Oktober 2024 nach rund zwei Jahren Verfahrensdauer das Vorabentscheidungsverfahren in der niederländischen Rechtssache C-585/22 (X BV v Staatssecretaris van Financiën) entschieden. Das Gericht entschied, dass die Vorschrift des Art. 49 AEUV dahin auszulegen sei, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehe, wonach die Zinsen im Zusammenhang mit einer Darlehensschuld gegenüber einem mit dem Steuerpflichtigen verbundenen Unternehmen, die zum Erwerb oder Zukauf von Anteilen an einem Unternehmen, das nach diesem Erwerb oder Zukauf ein verbundenes Unternehmen darstellt, eingegangen wurde, bei der Ermittlung des Gewinns des Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden, weil die betreffende Schuld als (Bestandteil einer) rein künstliche(n) Konstruktion einzustufen ist, und zwar unabhängig davon, ob diese Schuld als solche unter Bedingungen des freien Wettbewerbs eingegangen wurde. 

Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar: X war eine Gesellschaft niederländischen Rechts, die zu einer multinationalen Unternehmensgruppe gehörte. Diese Gruppe umfasste u.a. die Gesellschaften A und C, die beide ihren Sitz in Belgien hatten. A war Alleingesellschafterin von X und Mehrheitsaktionärin von C. Im Jahr 2000 erwarb X die Mehrheit der Aktien einer Gesellschaft niederländischen Rechts, deren restliche Aktien A erwarb. X finanzierte diesen Erwerb mit bei C aufgenommenen Darlehen. C verwendete dafür Eigenkapital, das sie durch eine von A vorgenommene Kapitaleinlage erhalten hatte. In dem an X gerichteten Körperschaftsteuerbescheid für das Steuerjahr 2007 verweigerte der niederländische Staatssekretär für Finanzen den Abzug der von X an C gezahlten Zinsen. 

Die Versagung des Betriebsausgabenabzugs begründete der EuGH nun mit dem Rechtfertigungsgrund der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug. Der Gerichtshof wies allerdings, ähnlich wie aus der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 8 Abs. 2 AStG bekannt, auch darauf hin, dass die Vermutung rein künstlicher Gestaltungen vom Steuerpflichtigen widerlegt werden könne. In diesem Rahmen hebt der Gerichtshof hervor, dass sich die Prüfung, ob die Voraussetzung der Marktüblichkeit eingehalten wurde, insbesondere auf die wirtschaftliche Realität der Transaktionen beziehen müsse. Wenn sich der künstliche Charakter eines Geschäfts aus einem ungewöhnlich hohen Zinssatz auf ein solches Darlehen ergebe, das ansonsten die wirtschaftliche Realität widerspiegele, verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Ansicht des EuGH denjenigen Teil dieser gezahlten Zinsen, der über dem marktüblichen Zinssatz liege, auszunehmen. Wenn hingegen das in Rede stehende Darlehen selbst wirtschaftlich ungerechtfertigt sei und es ohne eine besondere Beziehung zwischen den betreffenden Gesellschaften und den angestrebten steuerlichen Vorteil niemals aufgenommen worden wäre, stehe es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang, den Abzug dieser Zinsen vollständig zu verweigern.

Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung von Pillar 2 eingeleitet

Die Europäische Kommission hat am 3. Oktober 2024 beschlossen, Spanien, Zypern, Polen und Portugal vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu verklagen, weil diese Länder es versäumt haben, die Umsetzung der Maßnahmen zur Richtlinie (EU) 2022/2523 des Rates vom 15. Dezember 2022 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen und große inländische Gruppen in der Union („Richtlinie zu Pillar 2“) in nationales Recht mitzuteilen.  
Alle EU-Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die für die Einhaltung der Richtlinie zu Pillar 2 notwendigen Vorschriften bis zum 31. Dezember 2023 in Kraft zu setzen und der Kommission den Wortlaut dieser Vorschriften unverzüglich mitzuteilen. Die Maßnahmen gelten für Geschäftsjahre ab dem 31. Dezember 2023. Bisher sind fast alle EU-Mitgliedstaaten dieser Verpflichtung nachgekommen. Nur Spanien, Zypern, Polen und Portugal haben noch keine Umsetzungsmaßnahmen mitgeteilt. Es wird erwartet, dass die genannten Länder das Thema nun prioritär behandeln werden.

    
​​Aktuelle Rechtsprechung​​​

  
Ermittlung des dotationskapitals einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte

Unser Urteil der Woche befasst sich mit einer Entscheidung des BFH vom 5. Juni 2024, I R 3/22, die zwar bereits vergangene Woche veröffentlicht wurde, es letzte Woche nur auf Platz 2 schaffte und diese Woche daher überraschend doch noch vorgestellt werden kann: Der Streitfall betrifft die Klage einer im EU-Ausland ansässigen AG, die über eine inländische Zweigniederlassung Rückversicherungsgeschäfte im Lebens- und Nichtlebensbereich betreibt. In ihrer Körperschaftsteuererklärung nutzte sie entgegen den Vorgaben der Finanzverwaltung die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode gem. § 27 Abs. 2 BsGaV. Auf die abweichende Behandlung zu VwG BsGa Rz. 320 wies die Klägerin ausdrücklich hin. Im Rahmen einer Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass diese Methode nicht anwendbar sei, da sie zu einem negativen Dotationskapital führe. Stattdessen sei die Mindestkapitalausstattungsmethode gem. § 25 Abs. 3 BsGaV anzuwenden. Das Finanzamt änderte den Steuerbescheid entsprechend dieser Berechnung. Die Klage vor dem FG München blieb erfolglos. Der BFH gab der Revision der Klägerin nun statt und hob das Urteil des FG Münchens vom 13. Dezember 2021 auf. Der angefochtene Bescheid muss entsprechend den Ausführungen des BFH geändert werden. Die genaue Berechnung der Steuer obliegt der Finanzverwaltung.

 

Nach § 1 Abs. 5 AStG müssen die Verrechnungspreise zwischen inländischen und ausländischen Betriebsstätten dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen, d.h. die Betriebsstätte ist wie ein unabhängiges Unternehmen zu behandeln. Für die Berechnung des Dotationskapitals nach der BsGaV wird ein Anteil der Vermögenswerte des ausländischen Versicherungsunternehmens der inländischen Betriebsstätte zugeordnet. Dieser Anteil richtet sich nach dem Verhältnis der Rückstellungen der Versicherungsverträge der Betriebsstätte zu den Gesamtrückstellungen des Unternehmens. Um das Dotationskapital zu ermitteln, werden die zugeordneten Vermögenswerte um die Rückstellungen und Verbindlichkeiten reduziert. § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV ist nur im Rahmen der sog. Öffnungsklausel nach § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV anwendbar und gilt nicht für die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für inländische Versicherungsbetriebsstätten nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV. Der BsGaV lässt sich kein allgemeiner Grundsatz entnehmen, dass eine Versicherungsbetriebsstätte versicherungsrechtlich ein Mindesteigenkapital ausweisen muss. Die modifizierte Methode ermittelt das Dotationskapital unabhängig vom individuellen Fremdvergleich, weshalb sie nicht die gleichen Bewertungsgrenzen benötigt. Der OECD-Betriebsstättenbericht betont die Relevanz der Versicherungsrisiken und der entsprechenden Vermögenswerte zur Deckung dieser Risiken, wobei die Mindestkapitalausstattungsmethode nur als Safe-Harbour-Regelung dient und keine übermäßige Gewinnzurechnung an die Betriebsstätte bewirken soll.

 

Nach der BsGaV sind alle Vermögenswerte zu berücksichtigen, die nach dem Aufsichtsrecht des Sitzstaates der Klägerin zur Deckung der Rückstellungen geeignet sind. Da Abrechnungsforderungen nach dem Aufsichtsrecht als solche Vermögenswerte anerkannt sind, können sie nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BsGaV steuerlich einbezogen werden. Zudem verlangt die BsGaV eine Anpassung, wenn sich die Vermögensverhältnisse im Laufe des Jahres erheblich ändern. Laut der Begründung zur Verordnung​ gilt bereits eine Abweichung von mehr als 20 % des Dotationskapitals als erheblich. Von einer erheblichen Veränderung i.S.d. § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 6 BsGaV ist jedenfalls dann auszugehen, wenn das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahres um 29,75 % von demjenigen zu Beginn des Wirtschaftsjahres abweicht. Der BFH stellt damit klar, dass die Schwelle von 30% nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht bindend ist, da die Verwaltungsvorschriften im gerichtlichen Verfahren nicht rechtlich verbindlich seien. Bei der Anpassung können Durchschnittswerte verwendet werden, um Schwankungen innerhalb des Jahres auszugleichen. Das Urteil des BFH erklärt somit die Verwaltungsauffassung in den VwG BsGa Rz. 320 und 322 für nicht anwendbar.


BVerfG nimmt Vorlage zur Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrags nicht an

Das FG Niedersachsen hatte durch Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 2. Dezember 2016 - 7 K 83/16 – dem BVerfG einen Antrag auf ein konkretes Normenkontrollverfahren übersandt. Der Antrag auf konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG betraf die Frage, ob der Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes nach § 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 EStG für das Jahr 2014 der Höhe nach verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht wird. Der Vorlagebeschluss umfasste fast 100 (!) Seiten und ist rund 8 (!) Jahre alt, und die Finanzverwaltung hatte wegen dieses Musterverfahrens Steuerfestsetzungen nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO oft nur vorläufig erlassen.

Das BVerfG hat das Normenkontrollverfahren indes nicht zur Entscheidung angenommen: Das vorlegende Gericht lege nicht in einer den Darlegungsanforderungen genügenden Weise dar, weshalb es von der Verfassungswidrigkeit der in § 32 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 EStG festgelegten Höhe des Kinderfreibetrags 2014 überzeugt sei. Die Ausführungen des vorlegenden Gerichts seien insgesamt nicht nachvollziehbar und lassen überdies nicht erkennen, dass es die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift – wie geboten – sorgfältig geprüft habe. Hieran sind gleich mehrere Aspekte misslich: Zum einen die lange Verfahrensdauer im Zusammenspiel mit der o.g. häufigen Vorläufigkeit von Bescheiden. Zweitens: Aufgrund des Nichtannahmebeschlusses kann sich nach bisher ständiger Rechtsprechung ein Steuerpflichtiger nicht mehr mit dem gleichen Begehren an ein Finanzgericht wenden (zuletzt BFH, Urteil vom 26. September 2023 – IX R 16/22, BFH/NV 2024, 24). Drittens: Das BVerfG „watscht“ das FG Niedersachsen in einer beschämenden Weise ab, wie es seit einigen Jahren nicht mehr geschehen ist. Allerdings hatte auch den BFH in der Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit der sog. Mindestbesteuerung (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 - 2 BvL 59/06 Vorlage des BFH v. 6. September 2006, XI R 26/04, DStR 2006, 2019) ein ähnliches Schicksal ereilt. So ganz einleuchtend ist es nicht, was das BVerfG mit dieser Art der „richterlichen Notwehr“ erreichen möchte. Es ist doch völlig abwegig, zu glauben, die Richter hätten sich auf nahezu 100 Seiten keine ausreichenden Gedanken gemacht. Die Entscheidung des BVerfG ist daher ein Beleg dafür, dass Steuerpflichtige in Karlsruhe derzeit wenig zu erwarten haben.

 Aus dem Newsletter

 


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