Organhaftungsprozess: Geteilte Beweislast im Zeichen der Business Judgement Rule

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Organhaftungsprozesse haben es in sich. Wenn eine Gesellschaft (z.B. AG oder GmbH) gegen­über ihrem Vertretungsorgan (z.B. Vorstand oder Geschäftsführer) Schadensersatz in oft erheblicher Höhe geltend macht, ist eine konfron­tative Prozessführung vorprogrammiert. Eine komplexe Beweislastverteilung sorgt zudem dafür, dass beide Parteien „liefern” müssen, um den Prozess aus ihrer Sicht erfolgreich zu gestalten. Zentral ist hierbei regel­mäßig die Frage, ob das Vertretungsorgan tatsächlich pflichtwidrig gehandelt hat. An dieser Stelle kommt häufig die sog. „Business Judgement Rule” zum Tragen, die eine rote Linie zwischen pflichtgemäßem Handeln und persönlicher Haftung der Vertretungsorgane zieht.
 
 

Besondere Beweislastverteilung im Organhaftungsprozess

Vorstandsmitglieder einer AG können genauso wie Geschäftsführer einer GmbH Schadensersatzansprüchen der jeweiligen Gesellschaft ausgesetzt sein. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG und § 43 Abs. 2 GmbHG stehen hierfür als gesetzliche Anspruchsgrundlagen bereit. Beide Regelungen sehen vor, dass der Gesellschaft ein Schaden zu ersetzen ist, der durch eine Pflichtverletzung des Vertretungsorgans entstanden ist. Im Falle einer gerichtlichen Überprüfung werden sich die gegenüberstehenden Parteien allerdings in den wenigs­tens Fällen einig sein, ob diese Voraussetzungen auch tatsächlich gegeben sind. Von ent­schei­dender Bedeutung ist hierbei regelmäßig, welche Partei für welche Umstände darlegungs- und beweispflichtig ist. Kommt die jeweilige Partei ihrer Beweislast aus Sicht des Gerichts nicht nach, kann sie allein deshalb den Prozess verlieren.

 

Der Organhaftungsprozess weist bei der Verteilung der Beweislast einige wichtige Besonderheiten auf: Im deutschen Zivilprozess gilt eigentlich der Grundsatz, dass die anspruchsstellende Partei – hier die Gesellschaft – die Voraussetzungen der aus ihrer Sicht günstigen Norm zu beweisen hat. Anders im Organhaftungsprozess: Anstatt einer pauschalen Beweislastverteilung differenzieren Gesetzgeber und Rechtsprechung bei jeder einzelnen Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs danach, wer jeweils beweispflichtig ist. Hintergrund ist vor allem, dass das Vertretungsorgan gegenüber der Gesellschaft oft einen erheblichen Informationsvorsprung aufweist. Schadensersatzansprüche der Gesellschaft würden regelmäßig scheitern, müsste man diese Begebenheiten aus der unmittelbaren Sphäre des Vertretungs­organs beweisen. Die Beweislastverteilung im Organhaftungsprozess soll dem entgegenwirken.

 

Beweislast der Gesellschaft: Vorteil durch Beweiserleichterungen

Die Besonderheiten im Organhaftungsprozess führen aber keinesfalls dazu, dass die Gesellschaft vollständig aus jedweder Beweispflicht entlassen wäre. Die Gesellschaft muss vielmehr darlegen und beweisen,

  1. dass ein potenziell pflichtwidriges Verhalten (egal ob eine Handlung oder ein Unterlassen) des Vertretungsorgans
  2. ursächlich für einen bei der Gesellschaft eingetretenen Schaden war (sog. Kausalität); und
  3. in welcher Höhe dieser Schaden entstanden ist.

Gerade bei der Schadenshöhe unterliegt die Gesellschaft hierbei allerdings keinen überspannten Anforderungen. Grund ist eine in § 287 ZPO vorgesehene Beweiserleichterung, die eine gerichtliche Schätzung der Schadenshöhe ermöglicht, sofern hierfür ausreichende Anhaltspunkte dargelegt werden.

 

Beweislast des Vertretungsorgans: Vorteil durch die Business Judgement Rule

Sofern es der Gesellschaft gelingt, ihrer Beweispflicht bei den genannten Voraussetzungen nachzukommen, so ist es Aufgabe des Vertreterorganes zu beweisen, dass

  1. kein pflichtwidriges Verhalten gegeben ist; oder
  2. Sorgfaltspflichten schuldlos nicht erfüllt werden konnten; oder
  3. dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre.

Das Vertretungsorgan befindet sich hierbei in der misslichen Lage, dass ein pflichtwidriges Verhalten bis zum Gegenbeweis vermutet wird. Regelmäßig kann sich das Vertretungsorgan allerdings beim Vorwurf unternehmerischer Fehlentscheidungen auf die Business Judgement Rule berufen. Der Gesetzgeber hat diese in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, der in entsprechender Anwendung auch für die GmbH gilt, wie folgt legal definiert:

 

„Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.”

 

Auch wenn eine Fehlentscheidung des Vertretungsorgans zu einem Schaden bei der Gesellschaft führt, muss das demnach nicht zwangsläufig eine Haftung begründen. Die Business Judgement Rule schützt das unternehmerische Ermessen der Vertretungsorgane ausdrücklich und großzügig, wenn auch nicht grenzenlos. Eine deutliche Überschreitung dessen, was sich als unternehmerisches Verantwortungs­bewusstsein darstellt, begründet auch unter Berücksichtigung der Business Judgement Rule eine Pflichtverletzung des Vertretungsorgans. Wann diese Grenze zwischen unternehmerischer Ermessensfreiheit und persönlicher Haftung überschritten ist, wird häufig die zentrale Frage des Organhaftungsprozesses darstellen. Die mannigfaltige Rechtsprechung hierzu zeigt, dass hierüber nur die Umstände des Einzelfalls Aufschluss geben können.

 

Fazit

Der Organhaftungsprozess folgt eigenen Regeln. Das gilt insbesondere für die Beweislastverteilung, die beide Parteien in die Pflicht nimmt. Die jeweilige Prozessstrategie ist hierauf mit Bedacht auszurichten. Der Organhaftungsprozess bietet damit ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass eine erfolgreiche Prozessführung ein stetes Zusammenspiel aus Expertise im materiellen Recht und im Prozessrecht erfordert.
 

zuletzt aktualisiert am 29.06.2016
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