Corona-Krise: Auswirkungen auf Wirtschaft und Markt der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU)

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veröffentlicht am 24. März 2021 | Lesedauer ca. 7 Minuten


Im Jahr 2020 gab es ein Wort, das sich ständig in den Medien und im allgemeinen Diskurs wiederholte, nämlich „Krise”. Unabhängig davon, ob damit die Covid-19-Krise oder die daraus resultierende wirtschaftliche Krise gemeint war, nistete sich der Begriff in den Köpfen der Menschen ein und veränderte hergebrachte gesellschaf­tliche Denkweisen. Insbesondere für die Tätigkeit mit Ländern, die per se als riskant, aber lukrativ gegolten hatten – wie Export oder Produktion auf dem russischen, kasachischen oder usbekischen Markt – provozierte „DIE Krise” unbegründete Ängste und Abgrenzungen. Nachfolgend zeigen wir, warum sie auch konkrete Chancen bietet.



Sozioökonomische Folgen der Ausbreitung der Corona-Pandemie

Die wirtschaftliche Entwicklung aller Mitglieder der EAWU wie auch der Weltwirtschaft insgesamt wurde im Jahr 2020 stark von der Ausbreitung der Coronavirus-Infektion beeinflusst. Die Pandemie führte zu enormen Verlusten in allen fünf Ländern der EAWU, insbesondere im sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereich. Die Hauptstrategie zur Bekämpfung der Krise bestand darin, den Höhepunkt des Infektionsgeschehens durch Selbstisolationsmaßnahmen, soziale Distanzregeln, den Übergang zur Telearbeit sowie der Einschränkung der Arbeit eines großen Teils von Unternehmen hinauszuzögern. Das führte wiederum zu Angebots- und Nachfragebeschränkungen in der Wirtschaft und zur Schließung bestimmter Branchen, die sich aufgrund der sektorübergreifenden Beziehungen in anderen Sektoren manifestierten. Quarantänemaßnahmen brachten eine Verschärfung der wirtschaftlichen Rezession mit sich. Zu verzeichnen war ein beträchtlicher Rückgang des Bruttoinlandprodukts (BIP). Der föderale Statistikdienst Rosstat stellte einen Rückgang des BIP in der Russischen Föderation i.H.v. fast 5 Prozent im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2019 fest. In Kasachstan ging die Regierung von einer Verringerung des BIP um etwa 2,1 Prozent aus.

In Kirgistan ist die Situation noch schlimmer – je nach Bank wird von einem Schrumpfen des BIP zwischen 7,5 und 12 Prozent ausgegangen. Entgegen dieser negativen Tendenz aus 2020 wird 2021 ein langsames Wachstum erwartet. In Russland sollte das Wachstum 3 bis 4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr betragen. Zur Ankurbelung der Wirtschaft wurden Maßnahmenpakete entwickelt, die branchenspezifische Regelungen enthalten und neue Finanzierungsinstrumente etablieren sollen. Hervorzuheben ist der „Nationale Aktionsplan zur Wiederbelebung der Wirtschaft” in Russland, der nach Prognosen der Regierung zu einem Wachstum der russischen Wirtschaft bis Ende 2021 um mind. 2,5 Prozent führen soll. Die dort festgelegten Ziele sind mit der Wiederherstellung einer effektiven Nachfrage, der Entwicklung einzelner Unternehmen, der allgemeinen Verbesserung des Geschäfts­klimas, der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Zunahme der Exporte verbunden. Der Staatshaushalt stellt dazu etwa 56 Mrd. Euro (entspricht 5 Bio. Rubel, Wechselkurs des EZB Stand zum 17. Februar 2021: 1 RUB = 0,0112 Euro) bereit.

Zudem wurden verschiedenartige Kompromisslösungen angeboten, u.a. bei Steuern, Sozialabgaben, der Zahlung von Mieten und der Rückzahlung von Darlehen. Dadurch wurde ein gewisser Ausgleich zum Rückgang des Nettoeinkommens der Bevölkerung erreicht. Grund dafür waren die Einstellung der geschäftlichen Tätigkeit und die Maßnahmen zur Kostenoptimierung seitens der Arbeitgeber. Die Entlassung von Arbeitskräften wurde mithilfe der Programme wesentlich verlangsamt, allerdings nicht komplett vermieden. Maßnahmen waren z.B. die Bewahrung des Einkommens der arbeitenden und vorübergehend arbeitslosen Bevölkerung (besonders der Familien mit Kindern), die Minimierung der aktuellen Kosten von Unternehmen oder die Bereitstellung von zinsgünstigen Darlehen für kleine und mittelständische Firmen.

Da die Anzahl der Personen im unbezahlten Urlaub, der Teilzeitbeschäftigten oder Arbeitnehmer in Kurzarbeit mit etwa 1,2 Mio. Menschen im August 2020 ihren Höhepunkt erreichte, wurde eine Reihe innovativer Beschäftigungs- und Ausbildungsformen geschaffen. Sie sollen die Flexibilität und Dienstleistungsqualität erhöhen sowie die Bildung neuer Mechanismen fördern, die den Bedürfnissen der Wirtschaft entsprechen und territoriale Hindernisse beseitigen. Angesichts der Sozialdistanzierung und des Übergangs zum Homeoffice-Modell wurden die Vorteile einer Digitalisierung vieler Wirtschaftsbereiche festgestellt und die Beschleunigung der technologischen Entwicklung als wesentliches Element des Wirtschaftswachstums erkannt. Das half sogar bei der Entdeckung wesentlicher legislativer Mängel, v.a. im Bereich Arbeitsrecht, da viele Rechtsordnungen die Telearbeit nicht oder nur im Sinne eines Ausnahmezustands berücksichtigt hatten. Gleichzeitig stellte die Arbeit im Homeoffice eine Herausforderung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten der Arbeitnehmer dar, da sie eine datenschutzrechtliche Verantwortung mit sich bringt. Kasachstan reagierte mit einem Gesetz vom 2. Juli 2020 auf die neuen Herausforderungen, mit dem zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung bestimmter Wirtschaftszweige eingeführt wurden, z.B. Steuerbefreiungen, Erleichterung bestimmter administrativer Anforderungen und steuerliche Anreize.

Jedes Mitglied der EAWU begrüßt darüber hinaus auf seine eigene Weise die technologischen Entwicklungen; Begriffe wie „legal tech”, „artificial intelligence” und „blockchain” werden in den Medien als „Heiliger Gral” des neuen Jahrzehnts präsentiert. In Kasachstan wurde z.B. eine spezielle Handelsplattform für Kryptowährungen geschaffen, die Teil des internationalen Finanzplatzes „Astana International Financial Centre” ist. Zudem wird momentan überprüft, ob sich das Land als Hub für das „Schürfen” der Währungen eignet.


Investoren

Obwohl die ausländischen Direktinvestitionen nicht mehr ein führender Faktor für das wirtschaftliche Wachs­tum während einer Pandemie darstellen, erwartet die Zentralbank für 2021 einen Anstieg der Bruttoanlage­investitionen in Russland um 3,3 bis 5,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Viele davon werden vom Staat in Form von Aufwendungen für nationale Entwicklungsziele und Projekte zum ökonomischen Wiederaufbau eingesetzt. Außerdem gibt es eine Reihe von Investoren, die ein Investitionsschutzabkommen mit dem Wirtschaftsministerium der Russischen Föderation abschließen wollen, wodurch insgesamt 9,4 Mrd. Euro ausgeschüttet werden sollen. Seitens der Regierung wird daran gearbeitet, das Investitionsklima zu verbessern, indem die Entwicklungsinstitute (VEB.RF, VTB etc.) sowie der Sonderinvestitionsvertrag (SPIK 2.0) reformiert werden. Insbesondere die Änderung des Föderalen Gesetzes „Über die Industriepolitik in der Russischen Föderation” wird es ermöglichen, dass die beteiligten Investoren mehr Flexibilität bei der Strukturierung vertraglicher Rechte und Pflichten erhalten. Zudem wird ihnen durch die Änderung der Haushaltsgesetzgebung die Möglichkeit gegeben, Verträge bzw. Abkommen über die Bewilligung staatlicher Subventionen für einen längeren Zeitraum (über ein Jahr) abzuschließen.

Die Gesetzesreform bezweckt ferner die Erleichterung des Imports moderner Technologien für die Massen­herstellung industrieller Erzeugnisse. In dem Aktionsplan der russischen Regierung stellen die Maßnahmen zur Verbesserung des Geschäftsklimas einen wesentlichen Teil dar. Einige seiner erwähnenswerten Aspekte sind:

  • die Schaffung neuer Finanzinstrumente und Programmmechanismen zur Beschleunigung der sozioökonomischen Entwicklung von Städten,
  • die Verbesserung von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht,
  • die Digitalisierung der Bauindustrie sowie
  • die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch Digitalisierung („Staat als digitale Plattform”).


In Kasachstan hat die Regierung ebenso die Einführung eines neuen Instruments im Jahr 2021 geplant – ein Investitionsabkommen mit strategischen Investoren, das Vereinbarungen zwischen dem Staat und dem Investor festlegt. Vorgesehen sind Investitionspräferenzen, eine Vorzugsfinanzierung, eine Teilgarantie, Mechanismen der Exportunterstützung, eine Kompensation durch Anrechnung auf Steuerschulden, ein garantierter Kauf von staatlichen, quasi-staatlichen Sektoren.

Andere Länder wie Kirgistan spüren die Krise viel stärker. Dort wurde ein Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen i.H.v. 60 Prozent allein für das erste Halbjahr 2020 verzeichnet. Selbst der öffentliche Sektor verschiebt die Fertigstellung wichtiger Projekte und nutzt die dazu bereitgestellten Gelder vorläufig zur Stärkung der Staatsfinanzen.


Negative Folgen für den Außenhandel

Der Außenhandel hat angesichts des gesunkenen Ölpreises und des Nachfragetiefs in der Pandemie ebenfalls stark gelitten. Im Jahr 2020 wurden in den fünf Mitgliedstaaten der EAWU 20 Prozent weniger Waren in Drittstaaten exportiert. 60 Prozent davon entfallen auf mineralische Brennstoffe. Daraus ergibt sich der enge Zusammenhang zwischen den Weltmarktpreisen und den Exporterlösen. Russland übernimmt etwa 80 Prozent der EAWU-Exporte in Drittstaaten. Nach Angaben von Rosstat war dort in den härtesten Monaten des letzten Jahres eine Exportsenkung i.H.v. fast 21 Prozent zu beobachten. Der Handelsbilanzsaldo bleibt im negativen Bereich. Der IWF berechnet das Ausfuhrvolumen von Waren und Dienstleistungen für 2020 auf -8,8 Prozent, während sich das Einfuhrvolumen auf -12,6 Prozent beläuft. Im Jahr 2021 wird weiterhin eine rückläufige Nachfrage nach Rohstoffen erwartet. Nach Einschätzung der Boston Consulting Group wird die geplante CO2-Grenzsteuer der EU zu einer zusätzlichen Belastung (geschätzt etwa 4,8 Mrd. US-Dollar pro Jahr) für den russischen Export führen.

Kasachstan war konsequenterweise gezwungen, die Ausfuhr von Bodenschätzen, seinem wichtigsten Erzeugnis (das etwa 73 Prozent aller Exporte ausmacht) um 16,2 Prozent zu reduzieren. Der Umsatz mit Metallen und Metallprodukten sank ebenfalls um fast 5 Prozent, der mit Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen um 9,6 Prozent. Positive Ergebnisse wurden vor in der chemischen Industrie verzeichnet – ihr Umsatz stieg um 37,2 Prozent (die Industrie selbst nahm nur 4,7 Prozent in der Exportstruktur ein).

Zudem ist innerhalb der EAWU insgesamt eine Erhöhung des Exports von Lebensmitteln und landwirtschaft­lichen Rohprodukten um ca. 4 Prozent zu sehen. Der Agrarsektor war von der Epidemie nicht so stark betroffen und kann sowohl im Außen- als auch im Binnenhandel für eine positive Tendenz sorgen.


Lösung und Chancen

Covid-19 hatte auch auf den Markt der Rechtsdienstleistungen einen erheblichen Einfluss: Während der Pandemie wurde eine Vielzahl an Rechtsvorschriften veröffentlicht und verabschiedet – alle mit dem Ziel, eine adäquate Antwort auf die Herausforderungen der Corona-Epoche zu geben.

Die schnelle Verbreitung der Infektion machte für Mitarbeiter vieler Unternehmen die Arbeit direkt am Arbeitsort teilweise oder vollständig unmöglich. Aus dem Grund brachte der russische Gesetzgeber Änderungen ins Arbeitsgesetzbuch ein, um verschiedene Arten der Telearbeit in einen rechtlichen Rahmen einzuordnen (Föderales Gesetz Nr. 407-FZ vom 8. Dezember 2020). Dadurch wurde das Homeoffice auf gesetzlicher Ebene reguliert. Ähnliches gilt auch für Kasachstan.

Eine andere Folge der im Zusammenhang mit der Pandemie verhängten Einschränkungen war die weitreich­ende Digitalisierung in unterschiedlichsten Wirtschaftsbranchen. Digitale Technologien wurden auch in den russischen Gerichten aktiv verwendet, die seit Anfang des letzten Jahres begonnen haben, ihre Sitzungen gänzlich über Webkonferenzen abzuhalten. Eine Regulierung für diese Prozessform wurde im Gesetzentwurf über die Einbringung der Änderungen in die russischen Prozessgesetzbücher vorgeschlagen, der vom Justizministerium Russlands ausgearbeitet wurde. Ein anderer Gesetzentwurf, der momentan von der Staatsduma geprüft wird, soll die Durchführung der Gesellschafter- und Hauptversammlungen im Onlineformat erlauben (Entwurf des Föderalen Gesetzes Nr. 1059849-7). Auch in Kasachstan war die Tendenz zu mehr Online im Rechtsverkehr zu beobachten. So können jetzt Gerichtsverhandlungen online, d.h. mittels verschiedener Applikationen, durchgeführt werden.

Die Pandemie rückte ferner die Frage zum Schutz personenbezogener Daten in den Vordergrund, da der Umfang solcher Angaben wegen der Einführung von digitalen Passierscheinen in einigen Regionen, der verbindlichen Überführung eines Teils der Mitarbeiterschaft in die Telearbeit und anderer Maßnahmen stark zunahm. Obwohl viele Corona-Einschränkungen bereits aufgehoben wurden, bleibt der Datenschutz und das Digitalrecht auf der Tagesordnung. Deren Regulierung befindet sich derzeit in dynamischem Wandel: beträchtliche Neuerungen in Bezug auf die Sammlung öffentlich zugänglicher Daten werden bspw. im März des laufenden Jahres in Kraft treten (Föderales Gesetz Nr. 519-FZ vom 30. Dezember 2020).

Erhebliche Veränderungen finden auch in anderen Branchen statt, z.B. in der Medizin, wo ein vereinfachtes Registrierungsverfahren für neue Covid-Medikamente eingeführt (Verordnung Nr. 441 vom 3. April 2020) und der Online-Handel mit Medikamenten erlaubt wurde (Föderales Gesetz Nr. 105-FZ vom 3. April 2020). Außerdem gewinnt auch die Telemedizin schnell an Terrain. Alle diese Prozesse und Neuerungen müssen sowohl von Anbietern juristischer Leistungen als auch von deren Mandanten berücksichtigt werden.

Die Corona-Pandemie wird früher oder später unter Kontrolle gebracht werden. Bereits Ende letzten Jahres hat es die ersten Impfungen gegeben. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich die Gesundheits- und Wirtschaftssituation normalisiert. Gerade jetzt gibt es viele Möglichkeiten für Investoren. Die Produktion in den EAWU-Staaten ist weithin günstiger als in der EU. Die Vertriebswege sind kürzer und ohne bürokratischen Aufwand möglich. Erfolgreiche Unternehmer wussten schon immer, dass Krisen und wirtschaftliche Schwankungen ein Teil des Geschäfts sind. Deswegen sollten sich Investoren nicht von kurzfristigen Schwierigkeiten abschrecken lassen. Zudem erleben einige Branchen wie die pharmazeutische und Nahrungsmittelbranche momentan eine wahre Renaissance. Gerade sie können eine stabile Geschäftsgrundlage in Russland schaffen.


Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Obwohl die Corona-Pandemie die Wirtschaft der EAWU erheblich beeinflusst hat, bleibt der euroasiatische Markt auch dank staatlicher Hilfsmaßnahmen weiterhin attraktiv für in- und ausländische Investoren. Entgegen gelegentlich spekulativer Medienberichterstattung bestehen keine fundierten Gründe, Angst vor Geschäftsbeziehungen in den EAWU-Mitgliedsstaaten zu haben. Russland und Mittelasien haben ein hohes wirtschaftliches Potenzial und werden sich, wie schon in der Vergangenheit, als sehr lukrativ erweisen.

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