BGH Urteil zum einseitigen Leistungsbestimmungsrecht: Gute und schlechte Nachrichten für die Fernwärmebranche

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​veröffentlicht am 30. Juni 2020


Gute Nachrichten: Der BGH hebt das Urteil des OLG Frankfurt auf, weil es sich bei einem Kundenanschreiben zur Ausübung eines gesetzlichen Leistungsbestimmungsrechts lediglich um eine Rechtsmeinung, aber nicht um eine irreführende Tatsachenbehauptung handelt. Die schlechte Nachricht: Danach kam es im entschiedenen Fall nicht mehr darauf an, ob nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht besteht, sodass der BGH die für die Branche wichtigere Rechtsfrage offen gelassen hat.


Was ist passiert?

Ein Fernwärmeversorger versandte ein Rundschreiben, mit dem er eine Preis- und Vertragsanpassung durch ein neues Preissystem und eine neue Preisgleitklausel unter Hinweis auf ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht aus § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV ankündigte. In der Folge wurde das Preissystem in örtlichen Zeitungen öffentlich bekannt geben.


Hiergegen richteten sich die Klagen eines Verbraucherschutzverbands, welcher hierin eine irreführende geschäftliche Handlung sah. Das LG Darmstadt (Urteile v. 05.10.2017 – 16 O 110/16 und 16 O 111/16) verurteilte den Fernwärmeversorger daraufhin, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern den Eindruck zu erwecken, dass in laufenden Wärmelieferungsverträgen einseitig mittels öffentlicher Bekanntgabe durch den Fernwärmeversorger das Preissystem angepasst werden könnte.


Die Berufung des Fernwärmeversorgers vor dem OLG Frankfurt (Urteile v. 21.03.2019 – 6 U 190/17 und 6 U 191/17) blieb ohne Erfolg (wir berichteten). Das OLG Frankfurt vertrat die Auffassung, dass § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV kein einseitiges Anpassungsrecht eröffne und ein Kundenanschreiben zur Umsetzung des Anpassungsrechts deshalb irreführend sei. Damit war es umstritten, ob § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV weiter wie bisher in der Fernwärmebranche üblich für Vertragsanpassungen genutzt werden kann. Das LG Hamburg schloss sich ebenfalls der Ansicht des OLG Frankfurt an.

 

Relevanz in der Fernwärmebranche

Damit herrschte in der Fernwärmebranche große Unsicherheit, ob und wie die Preise – beispielsweise im Fall von nicht mehr kostendeckenden und ungeeigneten Preisgleitklauseln – angepasst werden können und keine geeigneten vertraglichen Anpassungsinstrumente (mehr) zur Verfügung stehen. Im § 24 AVBFernwärmeV heißt es nämlich, dass Preisgleitklauseln kostenorientiert sein müssen. Bei einer Umstellung der Erzeugung oder einem Aus- und Umbau des Fernwärmenetzes sowie bei gesetzlich bedingten Mehrkosten ist diese Kostenorientierung oft nicht mehr gewährleistet. Gerade im Hinblick auf die Einführung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) hatten viele gehofft eine Legitimation für die Einführung von CO2 Preisen aus dem BEHG zu erlangen. In der Branche erhoffte man sich hier eine eindeutige Antwort vom BGH.

 

BGH geht auf die Streitfrage nicht ein

Der BGH hob die Urteile des OLG Frankfurt nun auf (Urteile v. 23.04.2020 – I ZR 85/19 und 86/19). Die lang erwartete Urteilsbegründung wurde nun am 26.06.2020 veröffentlicht. Der BGH sieht in dem Rundschreiben zu dem neuen Preissystem keine irreführende geschäftliche Handlung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 UWG, da es sich bei der Ansicht des Fernwärmeversorgers zu § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV um eine Rechtsmeinung handelt und diese nicht als unwahre Tatsachenbehauptung zu verstehen ist. Wahr oder unwahr können nämlich nur Tatsachenbehauptungen sein, über deren Wahrheit oder Unwahrheit Beweis erhoben werden kann. Eine Rechtsansicht stellt in der Regel jedoch eine Meinungsäußerung dar, die nicht wahr oder unwahr sein kann.


Auszug aus der Urteilsbegründung:

„Danach handelt es sich bei der Äußerung der Beklagten [Fernwärmeversorgerin], allgemeine Versorgungsbedingungen einschließlich der Preisänderungsregelung könnten durch öffentliche Bekanntgabe wirksam geändert werden, um eine Rechtsansicht. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher ist erkennbar, dass die Beklagte [Fernwärmeversorgerin] diese Rechtsansicht im Rahmen einer Rechtsverfolgung geäußert hat. Formulierungen, die ihnen die Eindeutigkeit der dargestellten Rechtslage suggerieren sollen, sind in dem Schreiben nicht enthalten. Einen ausdrücklichen Hinweis, dass es sich lediglich um die eigene Rechtsauffassung handelt, hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht verlangt […]. Hieran ist festzuhalten, weil ein solches Erfordernis zu einer ausufernden wettbewerbsrechtlichen Kontrolle von Rechtsansichten außerhalb des von ihnen betroffenen Rechtsverhältnisses führen würde.“ (BGH Urteil v. 23.04.2020 – I ZR 86/19 - Rn 49).


Nur wenn eine Rechtsmeinung auf nicht anwendbare Rechtsprechung verweist oder entgegen einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung geäußert wird, kann eine Rechtsmeinung ausnahmsweise auch die Qualität einer Tatsachenbehauptung erlangen. Da aber der Fernwärmeversorger weder fernwärmerechtliche Urteile falsch in Bezug genommen hatte noch eine eindeutige höchstrichterliche Rechtslage zu § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV bestand, lagen diese Voraussetzungen im vorliegenden Streitfall nicht vor.


Die für die Fernwärmebranche wichtigere Frage, ob ein gesetzliches Anpassungsrecht aus § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV besteht, hat der BGH dagegen offen gelassen:


Die Hintertür des Wettbewerbsprozesseses kann nach dem Urteil des BGH nicht zur Beantwortung des Streits um das gesetzliche Preisanpassungsrecht durch öffentliche Bekanntgabe genutzt werden. Der BGH verweist darauf, dass diese Klärung in einem Rechtsstreit erfolgen muss, in dem es um Ansprüche aus einem einzelnen Wärmeliefervertrag geht. Es muss also ein Revisionsverfahren vor den BGH gebracht werden, in dem sich ein Fernwärmekunde unmittelbar gegen die Preis- bzw. Vertragsanpassung mittels öffentlicher Bekanntgabe wendet.


Wenigstens ist dem Urteil zu entnehmen, dass eine einseitige Leistungsbestimmung auf der Grundlage von § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV rechtlich vertretbar ist. Angesichts zahlreicher weiterer Gerichtsverfahren zu dieser Frage, deren Ausgang noch ungewiss sind, bleibt die einseitige Leistungsbestimmung mit hohen rechtlichen Risiken verbunden, so auch für die Einführung von CO2 Preisen. Alternativ sind Fernwärmeversorger - vor allem im Bereich der Jurisdiktion des OLG Frankfurt und LG Hamburg - zur Anpassung durch außerordentliche Kündigung übergegangen. Dabei ist jedoch die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung befristeter Fernwärmeversorgungsverträge ebenso wenig rechtlich geklärt.


Immerhin hat der BGH die UWG-rechtlichen Anforderungen (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) an Umstellungsschreiben geklärt. Bei der Formulierung von Schreiben und öffentlichen Bekanntgaben zur Änderung von (Preis-)Bedingungen muss darauf geachtet werden, dass der Wortlaut keine Zweifel an der Äußerung einer Rechtsmeinung zulässt.

 

 

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