Umsatzsteuer und Insolvenz: Ausweitung der Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuer in Eigenverwaltung

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veröffentlicht am 31. Oktober 2018


Zur korrekten Umsatzsteuer- und Vor­steuer­abbildung bestehen seit einigen Jahren zahlreiche neue Auffassungen zu zeitlichen Sphären in Insolvenzfällen. Die Abgrenzung von Umsatz­steuer- und Vor-steuerverbindlichkeiten ist damit komplex, aber gleichwohl natürlich vorzunehmen. Daneben ist stets die Haftung für Steuern, v.a. für die Umsatzsteuer auch ein Thema in Insolvenz­fällen. Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat vor 6 Jahren weitreichende Änderungen im Recht der Verwalterbestellung, der Eigen­verwaltung und des Insol­venzplans gebracht.

 

Hintergrund

Die Rechtsänderungen haben seither die Praxis der Verwalterbestellung wie auch die Nutzung von Eigenver­waltung und Insolvenzplänen maßgeblich neu gestaltet. Die Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO ist ein beliebtes Mittel zur Sanierung einer Gesellschaft, das Verfahrenserleichterungen und v.a. das Verbleiben des Unternehmens in eigenen Händen erlaubt, sofern „keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird”.

 

Der Geschäftsführer kann – unter Aufsicht eines Sachwalters – weiterhin das Vermögen der Gesellschaft verwalten und über dieses verfügen (§ 270 Abs. 1 InsO). Er hat damit die Chance, erforderliche Sanierungs­maßnahmen auf der Grundlage eines eigenen Sanierungskonzepts unter Insolvenzbedingungen umzusetzen. Das ist grundsätzlich eine sehr attraktive Ver­fahrens­variante, weil der Geschäftsführer das Unternehmen bereits kennt, die Sanierung im eigenen Interesse voranbringt und den Gläubigern bekannt ist.

 

Allerdings zeigen 2 aktuelle Gerichts­ent­scheidungen, dass sich der Geschäfts­führer auf seine neue Aufgabe „anders einstellen” muss als bisher. Er muss bei der vorläufigen Eigen­verwaltung sowohl die Vor­schriften über die Haftung des Insolvenz­verwalters (§§ 60,61 InsO analog) als auch die Haftung des gesetzlichen Vertreters nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO für nicht abgeführte Steuern beachten. Das betrifft insbesondere Fragen zur Haftung für Umsatzsteuern.

 

Haftung des Geschäftsführers nach § 69, 34 Abs. 1 AO

Das FG Münster (Az. 7 K 783/17) hat zuletzt entschieden, dass einer Haftung der Geschäfts­führer nach § 69 AO die Stellung eines Antrags auf Insolvenz­eröffnung und Eigen­verwaltung, die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und ein mündlicher Widerspruch des selbigen der Abführung von Steuern nicht entgegen steht. Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, kann auch durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, § 191 Abs. 1 S. 1 AO.

 

Streitig war, ob einer Haftung des Geschäftsführers die Stellung eines Antrags auf Insolvenzeröffnung und Eigenverwaltung, die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters oder ein mündlicher Widerspruch des selbigen gegen die Abführung von Steuern entgegensteht. Im Dezember 2014 beantragte die X-KG die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen und die Anordnung der Eigenverwaltung. Daraufhin bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Sachwalter. Im April 2015 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenz­verfahren und ordnete Eigenverwaltung an. Im November 2016 erließ das zuständige FA jeweils einen Haftungsbescheid gegenüber den Geschäftsführern wegen Umsatzsteuer-Rückstände der KG für den Zeitraum der vorläufigen Eigenverwaltung.

 

Übertragung der bisherigen Rechtsprechung zum Insolvenzeröffnungsverfahren

Das Finanzgericht wendet in dem Zusammenhang die geltende Rechtsprechung des BFH zum Regel­insolvenz­verfahren an, wonach ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gerade nicht dazu führt, dass der Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis eingeschränkt wird. Danach steht allein die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme der Geschäftsführer nicht entgegen.

 

Hieran anknüpfend hat der BFH bereits entschieden, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch bei den Geschäftsführern verbleibt, wenn die Eröffnung des Insolvenzerfahrens beantragt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter unter Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts bestellt wird. Die entspre­chenden Grundsätze hat das FG Münster nun auf die vorläufige Eigenverwaltung übertragen. Wenn anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter bestellt wird (§ 270a Abs. 1 S. 2 InsO), ergeben sich in Bezug auf die Pflicht zur Abführung der Steuer grundsätzlich keine Unterschiede zwischen den Verfahren. Der Geschäftsführer haftet insoweit selbst für die nicht abgeführte Umsatz­steuer. Das gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer seine steuerlichen Pflichten aufgrund eines Widerspruchs des vorläufigen Sachwalters nicht erfüllt.

 

Neues Risiko: Inanspruchnahme aus Insolvenzverwalterhaftung

Ferner hat der BGH mit aktuellem Urteil vom 26. April 2018 (Az. IX ZR 238/17) entschieden, dass ein Geschäftsführer für Rechtsgeschäfte während der Eigenverwaltung gem. §§ 60, 61 InsO analog wie der Insolvenzverwalter haftet. Das hat der BGH im Wesentlichen damit begründet, dass der Geschäftsführer in der Eigenverwaltung (gleich einem Insolvenzverwalter) die Verfügungsbefugnis für die Gesellschaft frei von Anordnungen der gesellschaftsrechtlichen Überwachungsorgane ausüben kann. In der Folge müsse der Geschäftsführer entsprechend einem Insolvenzverwalter haften.

 

Hinter der Entscheidung steht der Gedanke, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, die Eigen­verwaltung nur in den Fällen anzuordnen, in denen keine Nachteile zu den Lasten der Gläubiger zu erwarten sind, § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Deshalb muss nach Auffassung des BGH in der Eigenverwaltung zum Schutz der Gläubiger dasselbe Haftungsniveau für den Geschäftsführer gelten, das auch im Regelinsolvenzverfahren für den Insolvenzverwalter Anwendung findet. Daraus folgt, dass das Schuld­nervermögen nur vermindert werden darf, wenn das im Einzelfall zur Erfüllung der Fortführung des Schuldnerunternehmens im Interesse der Gläubigergesamtheit erforderlich oder wenigstens zweckmäßig erscheint.

 

Da die Zahlung von Umsatzsteuer weder im Interesse der Gläubigergemeinschaft erfolgt noch zur Fortführung des Unternehmens notwendig ist, wird der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungs­vorbehalt einer Abführung der Umsatzsteuer nicht zustimmen. Damit darf – aus insolvenzrechtlichen Gründen – auch der Geschäftsführer hiernach nicht zahlen.

 

Das „neue” Dilemma ist vorprogrammiert: Entweder der Geschäftsführer führt die Umsatzsteuer nicht ab, dann haftet er persönlich nach §§ 69, 34 AO. Oder aber er führt die Umsatzsteuer ab und haftet dann nach § 60 InsO wegen Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten.

 

Handlungsempfehlung und Hinweise für die Praxis

Die aktuellen Entscheidungen zeigen, dass die haftungsrechtliche Gleichstellung von Insolvenzverwaltern und Geschäftsführern in der Eigenverwaltung zu einer Klarstellung des Haftungsregimes, aber auch zur Erhöhung des Haftungsrisikos in der Eigenverwaltung führt. Dadurch entsteht ein Haftungsrisiko, das die Eigenverwaltung auf den ersten Blick insgesamt weniger attraktiv erscheinen lässt.

 

Allerdings nur auf den ersten Blick: Wäre das FA mit Antragstellung zunächst hinsichtlich des Antrags bösgläubig und kann nach Verfahrenseröffnung die abgeführte Umsatzsteuer wieder im Wege der Insolvenz­anfechtung zurückgeholt werden, kann eine Haftung des Geschäftsführers vermieden werden. Denn für die Anfechtung nach Verfahrenseröffnung ist gemäß § 280 InsO der Sachwalter zuständig, sodass es an einem kausalen Steuerschaden fehlt.

Kontakt

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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