VAT Compliance und Umsatzsteuer-Risikomanagement als das neue „should have“ – wohl eher ein „must have”

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zuletzt aktualisiert am 31. Oktober 2018


In letzter Zeit wird vermehrt von den Finanzbehörden in Betriebsprüfungen und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen – z.B. nach der Ausbildung der mit der Umsatzsteuer betrauten Mitarbeiter (Buchhaltung, Steuerabteilung) – nach unter­nehmens­seitig erstellten Leitfäden und Umsatzsteuer-Handbüchern oder Orga­nisa­tions­systemen gefragt, anhand derer die Geschäfts­vorfälle im Unternehmen und im Konzern beurteilt werden.

Dabei geht es darum, eine Einschätzung zu bekommen, ob:    
  • Umsatzsteuersachverhalte systematisch (zutreffend) abgebildet werden, also system­seitig und buch­halterisch richtig erfasst sind,
  • ob Mitarbeiter geschult bzw. umsatzsteuerfachkundig sind und
  • die umsatzsteuerliche Abbildung sowie die sich daran anschließende Erklärung nicht zufällig, sondern nach einem systematischen Ansatz und nicht ad hoc erfolgt.

Im Kern zielt es auf die Frage, ob ein bestehendes und funktionierendes Risiko­management vorliegt und ob ein Unternehmer ein (wie auch immer individuell ausgestaltetes) „Umsatzsteuer Compliance-System” installiert hat, vorhält und dieses lebt. Die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung auch zum Steuerstrafrecht trägt ganz entscheidend dazu bei.

Tax Compliance ist nicht nur ein mehr und mehr beliebter Begriff, sondern rückt inhaltlich immer stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. Tax Compliance und der darin weiter differenzierte Bereich Umsatzsteuer (Value Added Tax, kurz VAT) Compliance ist ein Teil der Corporate Compliance. Dies impliziert in Bezug auf Steuern v.a. „Steuerunterworfenheit” des Unter­nehmens auf alle unternehmens­bezogenen steuer­recht­lichen Gesetze und Verordnungen. Sie sollen – strategisch gesichert – befolgt werden. Haftungs­rechtliche- und/oder steuer­straf­rechtliche Risiken sowie Bußgeldrisiken sollen durch Compliance-Handlungen vermieden werden. Denn mit der Tax Compliance geht auch das Risikomanagement einher. Es enthält zunächst grundsätzlich keine Wert­entscheidung für Gesetzestreue, sondern dient besonders der Vermeidung von Steuerrisiken.

V.a. im Bereich der Umsatzsteuer mit ihrem relativ hohen Steuersatz (EU-weit zwischen 15 und 27 Prozent) können sich durch unzutreffend gebuchte, abgerechnete und erklärte Umsätze enormer Berichtigungsbedarf und umsatzsteuerliche Risiken an Steuernachzahlungen und Zinsrisiken ergeben. Zudem besteht mehr und mehr das Risiko des Vorwurfs seitens der Finanzverwaltung von systematischen Fehlern und Organisations­verschulden. Ziel einer funktionierenden Umsatzsteuer Compliance muss auch die Vermeidung des Vorwurfs der Aufsichts­­pflichtverletzung im Sinne von § 130 OWiG sein. Sofern dies gelingt, kann Leitungs­personen auch straf- und haftungsrechtlich kein Vorwurf gemacht werden. Hierfür ist ein internes Kontrollsystem (IKS) im Unternehmen zur Steuerung und Überwachung der ordnungs­gemäßen Erfüllung sämtlicher steuerrechtlichen Anforderungen unabdingbar.

Nicht nur in sehr großen Unternehmen und Konzernen wird sich daher inhaltlich mit Umsatz­steuer Compliance beschäftigt, sondern verstärkt auch im Mittelstand und in der breiten Masse der Unternehmen, wo ent­sprechende Organisationssysteme und -strukturen implementiert werden.    
  

Risikobehaftete Bereiche in der Umsatzsteuer

VAT Compliance geht heute weit über die zutreffende und pünktliche Erfüllung von Steuer­er­klärungspflichten hinaus. Im Bereich der zunehmend komplexen Umsatzbesteuerung ist beim unternehmerischen Handeln die Fehleranfälligkeit und -häufigkeit stark gestiegen. Denn im umsatzsteuerlichen Massenverfahren kommt es leicht zu Fehlern, die sich mit jedem Geschäftsvorfall summieren. 
 
Das betrifft die typischen Risikobereiche wie z.B.    
  • unzutreffend ausgewiesene oder nicht ausgewiesene und abgeführte Umsatzsteuer infolge unzutreffender Bestimmung des Orts der Steuerbarkeit bei grenzüberschreitenden Liefer- und Leistungsbeziehungen oder sog. Reverse Charge-Umsätzen,
  • nicht festgestellter steuerbarer Umsatz bei Abgrenzung von Schadensersatz- oder Ausgleichs­zahlungen,
  • Versagung von Steuerbefreiungen infolge nicht vorliegender materiell-rechtlicher oder oftmals nicht ordnungsgemäßer, rein formeller Nachweise,
  • die zeitlich und inhaltlich unzutreffende Abgrenzung der Umsätze, innerhalb einer umsatz­steuerlichen Organschaft an/von Gesellschaften außerhalb des Organkreises,
  • Versagung des Vorsteuerabzugs für entrichtete/geschuldete Einfuhrumsatzsteuer bei nicht vorliegender Verfügungsmacht an der Ware im Zeitpunkt deren Einfuhr.    

Aber auch bei reinen Inlandssachverhalten drohen Risiken; aktuell z.B. durch eine verschärfende BFH-Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug aus einer Rechnung, der dem Leistungsempfänger verwehrt wird, wenn die – für ihn so nicht feststellbar – angegebene Steuernummer in der Rechnung nach finanz­amts­interner Feststellung falsch ist. Hier wird aus dem UStG selbst etwa kein Vertrauensschutz gewährt, nur ggf. im separaten Erlassantragsverfahren bei Vorliegen von Gutglaubensschutz, in dem der leistungs­empfangende Unternehmer aber seinen guten Glauben nachweisen und dokumentieren soll, also mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hier z.B. seinen Kreditor zur Genüge „identifiziert” hat.

Daneben sind natürlich Umsatzsteuern nicht zu spät und Vorsteuerbeträge nicht zu früh zu erklären; eine zeitliche korrekte Abgrenzung muss v.a. zum Jahreswechsel beachtet werden, ist aber auch unterjährig dringend zu empfehlen, wozu eine Prozessanalyse erforderlich ist.
 
Diese einfachen Beispiele aus der Umsatzsteuer zeigen im Hinblick auf ein steuerliches Risiko, was insbesondere wichtig ist:
  • Identifizierung und Review von Prozessen (von der Stammdatenpflege mit Identifizierung von Kreditoren und Debitoren, v.a. Prüfung von Umsatzsteuer-Identifikationsnummern, von Produkten und Dienst­leistungen sowie deren Konditionierung im ERP-System, bis hin zum Financial Reporting und zum VAT Reporting) mit einem Konzept von Berechtigungen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.
  • Identifizierung und Review von den wesentlichen Geschäftsvorfällen, was jeweils die Kenntnis von den Geschäftsvorfällen und die zutreffende Behandlung dieser beinhaltet.
  • Zeitlich und inhaltlich zutreffende Erfassung und Abrechnung von Umsatzsteuer und Vorsteuer, d.h. zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Staat.
  • Review von Geschäftsvorfällen mit Auslandsbezug zur Feststellung etwaiger Registrierungspflichten im Ausland.
  • Change Request bei gesetzlichen Änderungen und bei neuen oder geänderten Geschäftsvorfällen.
  • Einhaltung der umsatzsteuerlichen (Melde- und Erklärungs-, ggf. Berichtigungs-, Anzeige-, Dokumentations-) Pflichten.
  • Umgang mit und Beseitigung von umsatzsteuerlichen Risiken mit Einschätzung über Eintrittswahrscheinlichkeiten und materiellen Auswirkungen.

 

Empfehlungen für die Praxis: Ausgestaltung von VAT Compliance und Risikomanagement

Das Risiko hoher Umsatzsteuernach- oder Vorsteuerrückzahlungen sowie von Zinszahlungen kann durch ein wirksames Risiko­management und Kontrollsystem im Unternehmen reduziert bis vermieden werden. Dafür sind die eigenen Prozesse ständig zu überwachen, zu verbessern sowie regelmäßig an neue Geschäftsvorfälle und Gesetzeslagen anzupassen. Mindeststandards und Best Practice könnten daher z.B. sein: jeweils mit der entsprechenden schriftlichen Doku­mentation der Tätigkeiten im Bereich Beleg-, Daten- und Prozessanalyse, der vorgenommenen Kontrollen, der Stichproben und Verbprobungen usw.:
  • Welchen Rahmen gibt es im Unternehmen und welche Kontrollmaßnahmen bspw. bestehen bereits?
  • Weltweite Übersicht über Bearbeitungsstand von Steuererklärungen,
  • Klärung von Differenzen mittels Verprobungen (z.B. zwischen Voranmeldungen und Jahreserklärung, zur Finanzbuchhaltung, Umsatzsteuerkonten, GuV, Bilanz),
  • Dokumentation der Prozessschritte und jeweiliger Kontrollhandlungen, z.B. Überprüfung von Eingangsrechnungen oder Belegnachweisen nach bestimmter Stichprobenauswahl mit 4- oder 6-Augenprinzip,
  • Erstellung von Arbeitsanweisungen, Leitfäden zur umsatzsteuerlichen Behandlung der wesentlichen Geschäftsvorfälle und Schulungsmaßnahmen,
  • Erfassung der beteiligten Personen, Behörden, Unternehmen und Verzahnung bzw. Berichtswesen, d.h. Austausch von Umsatzsteuer und operativen Geschäftsfeldern (z.B. zwischen Steuerabteilung, Buchhaltung, Einkauf/Vertrieb usw.); Entscheidung zwischen Automatisierung sowie Digitalisierung und einem Minimum an manuellen Eingriffen.

   
Die Erstellung eines VAT Compliance Manuals und eines Risikomanagements sowie deren Umsetzung in der täglichen Praxis ist ein sehr weiter Bereich und kann sehr unterschiedlich, auch im Detaillierungsgrad aus­ge­staltet sein. Hier gilt es jeweils individuell zu entscheiden, welches Konzept und welcher Umfang zugeschnitten auf das jeweilige Unternehmen und auf dessen Geschäftsmodell passend ist, sodass es eben auch von den Anwendern – also den Mitarbeitern im Unternehmen – akzeptiert wird und handhabbar ist.

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Dr. Heidi Friedrich-Vache

Diplom-Kauffrau, Steuerberaterin, Umsatzsteuerberatung | VAT Services

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