Herausforderungen bei der Due Diligence und Bewertung von digitalen Geschäftsmodellen

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veröffentlicht am 18. September 2019 | Lesedauer ca. 4 Minuten

von Cyril Prengel, Rödl & Partner Nürnberg, und Matthias Wolf


Den Herausforderungen der digitalen Transformation müssen sich nicht nur Unternehmen stellen, sondern auch die Berater- und Bewertungsbranche steht vor einer neuen Aufgabe, diese neu entstandenen Geschäftsmodelle richtig einzuordnen und zu bewerten. In dem Zusammenhang sind insbesondere die Vielzahl von Geschäftsmodellen, die auf Apps und Plattformen basieren, zu nennen.

 

 
Problemstellungen und besondere Herausforderungen bei der Bewertung

Als allgemeine Problemstellungen bei der Bewertung digitaler Geschäftsmodelle sind ähnliche Aspekte wie in der Start-up-Bewertung zu nennen. Das ist ebenfalls darauf zurückzuführen, dass viele digitale Geschäfts­modelle von jungen Unternehmen praktiziert werden.

Dazu zählt die eingeschränkte Vergleichbarkeit der Geschäftsmodelle bzw. Unternehmen mit den Wett­bewerbern. Das ist u.a. dem Gesichtspunkt geschuldet, dass in der Plattformökonomie meist der Pionier als Marktführer hervorgeht, indem dieser die benötigte kritische Masse, um sich am Markt zu etablieren und zu halten, zuerst erreicht. Das stellt eine große Eintrittsbarriere für Firmen mit einer ähnlichen Geschäftsidee dar.


Zusätzlich sind in dem Kontext die hohen (Markt-)Risiken zu nennen, denen die digitalen Start-ups ausgesetzt sind. Entscheidend hierfür ist die erwähnte kritische Masse, die durch schnelles Wachstum auf Grund einer überzeugenden Technologie bzw. Lösung erreicht werden kann. Durch die hohe Dynamik und das schnell wachsende Angebot im Markt kann eine Schätzung des künftigen Marktpotenzials und der -durchdringung nur schwer erfolgen.


Eine weitere Problemstellung stellt die meist kurze Unternehmensvergangenheit dar, die in der Bewertung und Due Diligence zur Planungsplausibilisierung herangezogen wird. Somit erhöht sich die Prognose­un­sicherheit zusätzlich, neben der meist fehlenden oder nicht ausgereiften Rechnungswesen- und Planungsinfrastruktur.

Die komplexe Struktur der Anteilseigner und das hohe Finanzierungsvolumen sind weitere bewertungs­relevante Eigenschaften. Insbesondere die Entwicklung der digitalen Lösungen – i.d.R. der Software bzw. der Platt­form­infrastruktur – verursachen hohe Anfangsinvestitionen, die meist durch Eigenkapitalgeber in mehreren Runden finanziert werden.


Neue finanzielle Kennzahlen, Werttreiber und relevante Kostenarten

Durch die bei digitalen Geschäftsmodellen charakteristische Konzentration des Geschäftsmodells auf den Kunden, werden die Bewertungsmodelle und dazugehörige Kennzahlen, Werttreiber und Kostenarten ebenfalls auf diesen ausgerichtet. Als erste Erfolgsgröße ist demzufolge die Anzahl der Downloads (bspw. bei Apps) oder die Anzahl der registrierten Nutzer ausschlaggebend. Auf den Messgrößen baut die Kennzahl der Daily Active User (DAU) bzw. Monthly Active User (MAU) auf. Dabei wird die Nutzerzahl gemessen, die pro Tag bzw. im Monat die Anwendung nutzen, wobei jeder Nutzer pro Tag nur einmal gezählt wird, auch wenn er die Applikation öfter nutzt. Schließlich lässt sich aus dem DAU-MAU-Verhältnis die Nutzertreue abbilden.

Die Retention Rate oder Kundenbindungsrate zeigt an, wie viele Nutzer innerhalb eines Zeitraums die An­wen­dung nutzen. So zeigen Studien, dass nach drei Monaten zwischen 71 [1] und 78 [2] Prozent aller Applikationen von den Nutzern nicht mehr genutzt werden, was aufzeigt, dass es in der Plattformökonomie eine der größten Herausforderungen ist, das Interesse der User dauerhaft zu wecken.

Als wichtigste finanzielle Kennzahl ist der Average Revenue per User (ARPU), also der durchschnittlichen Erlös je Kunde, zu nennen. Je nach Segment und Geschäftsmodell lassen sich höhere oder niedrigere ARPU generieren. So haben bspw. Gaming-Apps einen wesentlich niedrigeren ARPU als Shopping-Apps.

Den ARPU sind die Kosten gegenüberzustellen, die durch den Kunden anfallen. Dazu zählen die durch­schnitt­lichen Akquise- und Betreuungskosten, die je Nutzer anfallen bzw. ausgewiesen werden können.

Als größter Kostenblock sind jedoch die Entwicklungskosten, die operativen Ausgaben, u.a. die Bereit­stellungs­kosten in App Stores, Server- und Hostingkosten sowie Wartungskosten aufzuzählen.

Eine Übersicht zu relevanten KPIs in der Unternehmensbewertung und der Due Diligence von digitalen Geschäftsmodellen ist in Tabelle 1 dargestellt.


Tabelle 1: Übersicht über relevante KPIs in der Unternehmensbewertung von digitalen Geschäftsmodellen
Für eine größere Darstellung bitte auf das Bild klicken.


Lösungsansätze und neue Bewertungsmethoden

Die Fokussierung auf den Kunden bzw. den Nutzer setzt sich nicht nur bei den Kennzahlen fort, sondern auch in der Unternehmensbewertung. Ein Modell, das hierbei immer häufiger Erwähnung findet, ist der Lifetime Value (LTV), der sich durch die folgende Gleichung ausdrückt:

LTV = Anz. Nutzer × (User Lifetime Value – Customer Acquisition Cost)

Der User Lifetime Value (ULTV) – oder auch Customer Lifetime Value – beschreibt dabei den Umsatz, den ein Nutzer während seiner Nutzungsdauer generiert:

ULTV = (∅ Umsatz) × (∅ Anzahl an Transaktionen) × (∅ Retention Rate)

Ein Vorteil der Methode ist die schnelle und intuitive Anwendung und der Fokus auf das Nutzerverhalten. Jedoch wird weder das Kundenwachstum noch die Entwicklung der ARPU oder die Quantifizierung der Kostenstruktur berücksichtigt.


Abbildung 1: Lifetime Value von bestehenden Kunden nach Damodaran


Diese Schwächen hat Damodaran in einem Aufsatz über die Bewertung von Nutzern aufgegriffen und ent­sprechend verarbeitet. Darin wird sowohl das Risiko als auch das Wachstumspotenzial in der Nutzer­basis aufgegriffen. Die Kosten pro User werden zusammen mit den Steuern im Cash Flow/User berück­sichtigt. Neben dieser Betrachtung wird der Wertbeitrag künftiger neuer Kunden und der Wertbeitrag nicht nutzerspezifischer Kosten ebenfalls angesetzt. Das Modell ist letztlich ein in die KPI zerlegtes DCF-Modell, das somit an die Bedürfnisse von digitalen Geschäftsmodellen angepasst wird.


Als weiteres Verfahren sind Multiplikatoren anzuführen. Hier ist jedoch anzumerken, dass auf Grund der meist negativen Ergebnisse von jungen Unternehmen, EBIT- und EBITDA-Multiplikatoren wegfallen und auf Umsatz-Multiples zurückgegriffen werden muss. Jedoch ist es wegen der geringen Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der Geschäftsmodelle, sehr schwierig, eine adäquate Peergroup zu bilden. Zusätzlich sind vergleichbare Unternehmen meist nicht an der Börse gelistet oder befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium.

In der Praxis werden auch nicht-finanzielle Multiplikatoren verwendet, die v.a. auf die User-Anzahl abstellen. Vermeintliche Vorteile sind dabei die reduzierte Komplexität sowie eine leichtere Kommunizier­barkeit auf Grund intuitiver Kennzahlen, da impliziert wird, dass jeder Nutzer den gleichen Wert aufweist. Kritische Anmerkungen verweisen jedoch darauf, dass solche Kennzahlen zur Bildung der New-Economy-Blase beigetragen haben. Des Weiteren werden häufig auch vergleichbare Finanzierungsrunden bei der Bewertung mit Multiplikatoren zu Grunde gelegt. Hierfür werden Plattformen wie Pitchbook, Crunchbase und CB Insights herangezogen, die umfassende Informationen zu Finanzierungsrunden für zahlreiche Start-ups zur Verfügung stellen. Dabei ist jedoch besonders darauf zu achten, dass die oben erwähnten Kennzahlen, wie ARPU, DAU oder CCP, vergleichbar sind.


Fazit

Die neuen Geschäftsmodelle bei der Digitalisierung stellen Bewerter und auch die Financial Due Diligence vor neue Herausforderungen, da die neuen Unternehmensformen sowohl auf der Umsatz- als auch auf der Kosten­seite von bisherigen Modellen abweichen. Die Ausrichtung auf den Kunden bzw. Nutzer sollte sich nicht nur im Geschäftsmodell, sondern auch in der Bewertung bzw. der Due Diligence widerspiegeln. Hierfür werden neue Kennzahlen und Bewertungsansätze benötigt, die in diesem Artikel vorgestellt wurden und ebenfalls den Kunden bzw. Nutzer in den Mittelpunkt stellen. Dabei ist es wichtig, die jeweiligen Kenn­zahlen anhand eines Peergroup-Benchmarkings richtig einordnen zu können. Die erhöhte Unsicherheit in den Geschäftsmodellen muss dabei ebenso berücksichtigt werden und kann ähnlich den Risiken von Start-ups behandelt werden.

 



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