Strategische Anforderungen für Aufgabenträger nach dem neuen PBefG

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Von Jörg Niemann
veröffentlicht am 3. Juni 2013
 
Mit der Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) hat der Gesetzgeber die Vorgaben für die Marktorganisation und den Marktzugang des ÖPNV neu geregelt. Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen sind aufgerufen, sich rechtzeitig mit den neuen Anforderungen vertraut zu machen, um strategische Handlungsmöglichkeiten und rechtliche Handlungsnotwendigkeiten zu erkennen.
 
Folgende Handlungsfelder sollten vor dem Hintergrund der neuen Regelungen geprüft werden:
 

Der Rückgang eigenwirtschaftlicher Verkehre erfordert eine aktive Marktorganisation

Durch die neue Begriffsdefintion der Eigenwirtschaftlichkeit gem. § 8 Abs. 4 PBefG können zukünftig nur noch solche Verkehre eigenwirtschaftlich beantragt werden, die sich aus Fahrgelderlösen und Ausgleichsleistungen aus allgemeinen Vorschriften decken. Alle anderen Ausgleichsmittel führen nach der Begriffsdefintion zum Ausschluss der Eigenwirtschaftlichkeit. Unsicherheiten bestehen derzeit darin, ob eine Fahrzeugförderung ebenfalls zum Ausschluss der Eigenwirtschaftlichkeit führt. Insgesamt ist davon auszugehen, dass der Anteil von zukünftigen eigenwirtschaftlichen Anträgen deutlich zurückgehen wird. Für die Aufgabenträger bedeutet dies, dass entweder die Standards im Nahverkehrsplan abgesenkt werden müssen oder eine Verständigung über die Bereitstellung öffentlicher Mittel erfolgt, die sodann den vergaberechtlichen Regelungen des Art. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 (VO 1370) unterliegen.
 

Wettbewerbliche Vergaben werden zum Tagesgeschäft der Aufgabenträger

Zur Vergabe öffentlicher Ausgleichsleistungen stehen dem Aufgabenträger verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Zu unterscheiden sind im Falle einer Direktvergabe die Regelungen für den internen Betreiber (Art, 5 Abs. 2 VO 1370), für Unterschwellenvergaben (Art. 5 Abs. 4 VO 1370) und Notvergaben (Art. 5 Abs. 5 VO 1370). Wettbewerbliche Vergaben können als formale Ausschreibung (Art. 5 Abs. 1 VO 1370 i.V.m. VOL/A) oder im Wege eines vereinfachtes wettbewerbliches Vergabeverfahren (Art. 5 Abs. 3 VO 1370) erfolgen. Die Praxis zeigt allerdings, dass Aufgabenträger häufig die Anforderungen für die Durchführung einer rechtskonformen Ausschreibung unterschätzen. Dies betrifft etwa die Anforderungen an die Verwendung von funktional oder konstruktiv beschriebenen Standards, die Festlegung von transparenten und diskriminierungsfreien Wertungskriterien, die Bereitstellung von Erlösdaten bei sog. Nettoverträgen, Regelungen über Leistungsanpassungen während der Vertragslaufzeit, etc. Aufgrund des erwarteten Rückgangs eigenwirtschaftlicher Verkehre werden deshalb Ausschreibungen zum Tagesgeschäft im straßengebundenen ÖPNV gehören. Aufgabenträger sollten sich auf diese neuen Anforderungen aktiv vorbereiten.
 

Genehmigungsrechtliche Vorlaufzeiten werden länger
und müssen systematisch vorbereitet werden

Der Gesetzgeber hat das Vorrangverhältnis von eigenwirtschaftlichen Anträgen (ohne Ausgleichszahlungen) gegenüber solchen mit öffentlichen Dienstleistungsaufträgen (mit Ausgleichszahlungen) über komplexe Fristregelungen ausgestaltet. Sollen Genehmigungen mit öffentlichen Dienstleistungsaufträgen rechtssicher umgesetzt werden, sind Fristen bis zu 27 Monaten (§ 8a Abs. 2 PBefG) im Voraus zu beachten. Die Kommunalverwaltungen müssen daher sehr frühzeitig Festlegungen über Art und Umfang des Verkehrs, Qualitätsanforderungen und die Wahl der Vergabeart treffen. In der Praxis wird dies, insbesondere bei Vorplanungen über zwei Legislaturperioden, zu einem erhöhten Abstimmungsaufwand führen. Um solche Standards für Ausschreibungen vorzubereiten, bietet es sich an, den Nahverkehrsplan im Sinne eines vergaberechtlichen Lastenheftes auszugestalten, auf das sodann verwiesen werden kann. Der Bedeutungsgehalt des Nahverkehrsplans und die Anforderungen an seine Inhalte werden somit steigen.
 

Aktive Aufgabenträger können gestalten, passive Aufgabenträger

sind von den Unternehmen abhängig

Nur wenn sich die Aufgabenträger rechtzeitig über Art und Umfang der Verkehrsleistungen sowie die etwaige Bereitstellung öffentlicher Mittel verständigen, können sie in der Genehmigungssituation die ÖPNV-Standards maßgeblich (mit)bestimmen. Dies gilt auch für die Festlegung von Wertungskriterien in der Vorabbekanntmachung. Bleibt der Aufgabenträger passiv und beschränkt sich nur auf die Regelungen im Nahverkehrsplan, definieren die Unternehmer, ob und in welchem Umfang Leistungen von ihnen erbracht werden. Geht beispielsweise kein eigenwirtschaftlicher Antrag ein, der den Standards des Nahverkehrsplans entspricht, kann der Aufgabenträger nur noch der Absenkung der Standards zustimmen oder er muss eine Vergabe mit öffentlicher Co-Finanzierung initiieren. Für diesen Fall gelten erneut lange Vorlauffristen. In Gebieten passiver Aufgabenträger besteht daher die Gefahr, dass langfristig das Verkehrsangebot zurückgeht. Aktive Aufgabenträger, die eigene Vorstellungen über die ausreichende Verkehrsbedienung verfolgen, sollten zunächst im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsüberlegungen prüfen, ob diese Leistungen eigenwirtschaftlich umsetzbar sind. Ist dies nicht der Fall, sollte die Bereitschaft zur öffentlichen Co-Finanzierung und/oder Anpassungen in Bezug auf die gewünschten Standards erörtert werden.
 

Linienbündel sind auf die Laufzeit öffentlicher Dienstleistungsaufträge beschränkt

Der Gesetzgeber hat die Bildung von Linienbündeln gestärkt und das „Rosinenpicken” erschwert. Insoweit wird langfristig die Bildung von Linienbündeln zunehmen. Jedoch müssen bestehende Linienbündelkonzepte ggf. überplant und zeitlich überdacht werden. Maßgeblich hierfür ist die Beschränkung der Genehmigungslaufzeit für Anträge mit öffentlichen Ausgleichsmitteln auf die Laufzeit des öffentlichen Dienstleistungsauftrags. Dies kann bei bestehenden Bündelungskonzepten dazu führen, dass alle Genehmigungen innerhalb einer Kommune zu einem Zeitpunkt auslaufen. In dieser Situation fallen große Verkehrsleistungen aus dem „Schutz” der Liniengenehmigungen heraus, sodass ggf. größere Anbieter auf den Plan gerufen werden. Diese könnten sodann für ein großes Leistungspaket konkurrierende Anträge stellen und im Falle des Obsiegens den gesamten Verkehrsraum übernehmen. Sollen solche Konstellationen vermieden werden, sollte frühzeitig über den Abschluss zeitlich gestaffelter öffentlicher Dienstleistungsaufträge nachgedacht werden. Zu erwägen ist, ob öffentliche Dienstleistungsaufträge je Linienbündel/Verkehrsraum ausgestaltet werden. Hiermit ginge sodann aber ein höherer Aufwand in Bezug auf die Überkompensationskontrolle bei den Unternehmen einher.
 

Entbindungsanträge werden erschwert

Zu begrüßen sind die Regelungen zur Entbindung gem. § 21 Abs. 4 PBefG. Die Neuregelung erschwert insbesondere sog. Teilentbindungen. Diese sollen zukünftig nur dann möglich sein, wenn die Fortsetzung der Betriebspflicht dem Betreiber wirtschaftlich nicht zugemutet werden kann UND das öffentliche Verkehrsinteresse dem nicht entgegen steht. Sollen solche Teilentbindungen durch die Genehmigungsbehörde zukünftig restriktiv angewandt werden, bieten sich im Nahverkehrsplan diesbezügliche Regelungen an, die das „besondere öffentliche Interesse” dokumentieren. Dafür sind konkrete Anforderungen an die Darstellung zu fixieren. Der Aufgabenträger könnte zum Beispiel eine Differenzierung durch Priorisierung vornehmen. Denkbar sind zeitliche und räumliche Vorgaben (Kernzeiten und Pflichtlinien), mit unterschiedlich priorisierten Leistungsmerkmalen. Im Falle eines (Teil- Entbindungsantrages kann so einerseits dem berechtigten Interesse des Unternehmens unwirtschaftliche Leistungen erbringen zu müssen und andererseits dem ebenfalls berechtigten Interesse der öffentlichen Hand auf Einhaltung der genehmigungsrechtlichen Standards Rechnung getragen werden. Teilentbindungen wären sodann nur noch für niedrig priorisierte Leistungen denkbar. 
 

Bewertung und Ausblick

Die Novellierung des PBefG war ein Kompromiss zwischen den Interessen der Aufgabenträger und Verkehrsunternehmer. Das Gesetz stärkt die Rolle des Aufgabenträgers. Dies setzt aber voraus, dass die Aufgabenträger diese neue Rolle aktiv annehmen. Werden die Aufgabenträger nicht aktiv, wird der Markt mit seinen Leistungsvolumina und Standards maßgeblich durch die Unternehmen bestimmt. So verstanden stärkt die Novelle auch die Position der Unternehmer. Beide Ansätze sind legitim und berechtigt. Erforderlich ist aber eine politische Entscheidung der Aufgabenträger, welche Marktorganisation und damit auch welche Art von ÖPNV gewünscht ist. Hierzu sollten politische Ziele und Handlungsfelder identifiziert und deren Umsetzungsmöglichkeiten mittels einer rechtlichen und wirtschaftlichen Betrachtung überprüft werden.

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Jörg Niemann

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