Frankreich: Jährliche Handelsverhandlungen – Vorteile und besonderheiten des Gesetzes Egalim 2 für Lebensmittel

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veröffentlicht am 10. Juni 2022 | Lesedauer ca. 5 Minuten

 

    
Erinnerung: Rechtlicher Rahmen für Handelsverhandlungen in Frankreich

Das Handelsgesetzbuch enthält einen strengen Rahmen für die jährlichen Handels­ver­hand­lungen zwischen Industrie und Einzelhandel, um ein Ungleichgewicht zwischen den Rech­ten und Pflichten der Parteien zu vermeiden. Dieser Rahmen beinhaltet den Abschluss von Vereinbarungen vor dem 1er März eines jeden Jahres für das laufende Jahr mit einer Min­dest­laufzeit von einem Jahr, deren Dauer drei Jahre nicht überschreiten darf.

Diese Vereinbarung muss das Ergebnis der Verhandlungen zwischen dem Lieferanten und dem Händler oder Dienstleister formalisieren und eine nachträgliche Kontrolle durch die DGCCRF, die zuständige Verwaltungsbehörde, ermöglichen. 

         



  

Das Gesetz Egalim 2

In dem Bemühen, das Kräfteverhältnis zwischen Industrie, Einzelhandel und Landwirten wieder ins Gleichgewicht zu bringen, verabschiedete der Gesetzgeber das Gesetz vom 18. Oktober 2021 zum Schutz der Vergütung von Landwirten, das sogenannte Egalim-2-Gesetz, das am 19. Oktober im Amtsblatt verkündet wurde.
 
Dieses Gesetz soll die „gerechte Entlohnung der Landwirte” sicherstellen.
 

Wie? 

Das Gesetz EGalim 2 schafft verschiedene obligatorische Vertragsmechanismen sowohl im Rahmen der „vor­ge­la­ger­ten” Beziehung (landwirtschaftlicher Erzeuger und Erstkäufer) als auch der „nachgelagerten” Beziehung (Lieferant und Händler).  
 
Der Hauptzweck dieser vertraglichen Mechanismen besteht darin, den Teil des Preises, der den Preisen für primäre Agrarprodukten entspricht, in der gesamten Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebskette von Lebensmitteln zu sichern. Zu diesem Zweck sind eine Transparenzpflicht für den Preis der Rohstoffe, der dann nicht mehr verhandelbar ist, sowie mehrere Preisanpassungsmechanismen (automatische Preisänderungsklausel, Neuverhandlungsklausel usw.) vorgesehen. 
 

Wer ist betroffen? 

Das Gesetz EGalim 2 wirkt sich sowohl auf die „vorgelagerte” Beziehung (Produzent – Erstkäufer) für den Verkauf von primären Agrarprodukten, die nach Frankreich geliefert werden, als auch auf die nachgelagerte Beziehung aus, die den Weiterverkauf derselben Produkte oder den Verkauf von verarbeiteten Agrarprodukten oder Lebensmitteln (Produzenten und industrielle Lieferanten.... ) betrifft.  
 
Eine Besonderheit: Das Gesetz EGalim 2 stellt eine Eingriffsnorm dar, insofern als es ab dem Moment Anwendung findet, wenn der Lieferant oder Käufer in Frankreich ansässig ist und die Agrarprodukte und Lebensmittel auf fran­zö­sischem Hoheitsgebiet verkauft werden.

Handelsverhandlungen 2022

Mit wenigen Ausnahmen galt das Gesetz EGalim 2 schon für die Handelsverhandlungen 2022. Dies geschah nicht ohne Schwierigkeiten und führte in der Praxis in vielen Situationen zu einer ungefähren Anwendung dieser Texte durch Lieferanten und Industrielle, die unter KMU fallen.
 
Es ist anzumerken, dass die Anpassung der Rechtsdokumente an EGalim 2 aufgrund mehrerer Umstände einstimmig als kompliziert eingestuft wurde: kurze Zeitspanne zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem Datum des Abschlusses der jährlichen Vereinbarungen, Aufklärung über eine FAQ des Landwirtschaftsministeriums, die erst im Dezember 2021 veröffentlicht wurde, Veröffentlichung der Durchführungsdekrete, die bis heute noch für eine Unter­zeichnung ausstehen, die jedoch vor dem 1. März 2022 zwingend erforderlich ist!
 
Zu diesen spezifischen Schwierigkeiten im Lebensmittelsektor kam noch die noch nie dagewesene Situation hinzu, die sich aus der COVID-Pandemie ergab, die zu einer Verknappung auf einigen Märkten führte und für einen all­ge­mei­nen Anstieg der Komponentenpreise verantwortlich war.
 
Wenige Tage vor Abschluss der Verhandlungen warf der Krieg in der Ukraine neue Probleme auf und führte zu einer beispiellosen Spannung bei den Kosten für Agrarrohstoffe.
 
In diesem Zusammenhang hat die Regierung bekanntlich Anfang März 2022 die Akteure der großen Einzel­han­dels­un­ter­nehmen dazu angehalten, ihre Verträge neu zu verhandeln und dabei insbesondere auf die durch das Gesetz Egalim 2 eingeführten Mechanismen zurückzugreifen, die unter anderem: 
  • die Klausel zur automatischen Preisanpassung nach Artikel L.433-8 des Handelsgesetzbuchs beinhalten; 
  • die Klausel zur Neuverhandlung des Preises nach Artikel L.411-8 des Handelsgesetzbuchs (Lebens­mit­tel­ver­ein­ba­rung) beinhalten. Sie stammt aus Egalim 1, wurde aber durch Egalim 2 auf alle Lebensmittel. 
  
Im Einklang mit dieser Aufforderung der Regierung unterzeichneten die großen Einzelhadelsunternehmen Ende März 2022 eine (nicht bindende) Verpflichtungscharta, in der sie sich erklärten, Anträge auf Neuverhandlungen auf der Grundlage der EGalim-2-Regelungen sorgfältig zu prüfen und in Fällen, in denen diese Regelungen nicht anwendbar sind, die Verhandlungen unter Einhaltung der Regeln sowohl des allgemeinen Vertragsrechts als auch der Regeln über wettbewerbsbeschränkende Praktiken „wieder zu eröffnen”. 
 
Im Rahmen dieser „Wiedereröffnung” der Verhandlungen haben einige Handelsketten dann in Form eines Zusatzes eine automatische Neuverhandlungsklausel vorgeschlagen oder sogar vorgeschrieben, deren Auslöseschwelle so schwer zu erreichen ist, dass die Klausel in Wirklichkeit ihres Nutzens beraubt wird, oder die Anwendung einer solchen Klausel auf die Feststellung eines Preisanstiegs für Kunststoffverpackungen in sechs aufeinanderfolgenden Monaten beschränkt.... 
 
An dieser Stelle sei an den Grundsatz erinnert, dass rechtmäßig zustande gekommene Vereinbarungen denjenigen, die sie getroffen haben, als Gesetz gelten. Folglich ist eine Preisanpassung nicht möglich, es sei denn, die Parteien haben sich auf eine Indexierungsklausel oder Neuverhandlungsklausel geeinigt. Lediglich der Mechanismus der Unvorhersehbarkeit könnte sinnvoll herangezogen werden, um eine Neuverhandlung der Preise zu fordern, voraus­ge­setzt, dass dieser Mechanismus nicht vertraglich ausgeschlossen wurde. Die große Mehrheit der Verträge mit großen Einzelhandelsunternehmen – wenn nicht sogar alle – schließen einen solchen Mechanismus natürlich aus.
 

Vorbereitung der Handelsverhandlungen 2023: eine notwendige Anpassung

Für Lebensmittelhersteller und -lieferanten erscheint es heute mehr als notwendig, im Hinblick auf die Handels­ver­hand­lungen 2023 schon jetzt darüber nachzudenken, wie sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen an die aus dem Gesetz EGalim 2 hervorgegangenen Regelungen anpassen müssen. 
 
Dieser Prozess wird gegebenenfalls die Durchführung folgender Recherchen und Analysen erfordern:  
  • Fallen die vermarkteten Produkte/die Tätigkeit in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes?
  • Welche relevanten Indikatoren sind zu wählen?
  • Welche Schwelle soll für die Auslösung von Neuverhandlungen festgelegt werden?
  • In welchen Abständen sollte diese Neuverhandlung gegebenenfalls stattfinden?
  • Wie wird der Preis eines Lebensmittels im Rahmen der Erfüllung der Transparenzpflicht, ermittelt?
 
Sobald diese Fragen geklärt sind, sollten Lebensmittelhersteller und -lieferanten darauf achten, die folgenden Bestimmungen in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen hinzuzufügen: 
  • Eine Klausel zur Neuverhandlung des Preises, die es ermöglicht, Schwankungen nach oben und unten ins­be­son­de­re bei den Preisen für Rohstoffe und Agrarprodukte und Lebensmittel, Energie, Transport und Verpackungs­ma­te­ri­a­lien zu berücksichtigen. Das Fehlen einer solchen Klausel wird mit einer Geldstrafe von bis zu 375.000 Euro für eine juristische Person geahndet.
  • Eine Klausel, die eine automatische Preisanpassung vorsieht, wenn sich die Kosten für landwirtschaftliche Roh­stoffe nach oben oder unten verändern. Das Nichtvorsehen einer solchen Klausel wird mit einer Geldstrafe von bis zu 375.000 Euro für eine juristische Person geahndet.
  • Indikatoren und erläutern die Bedingungen, unter denen diese bei der Preisfestsetzung berücksichtigt werden. Diese Indikatoren sind die von den Branchenverbänden veröffentlichten Produktionskostenindikatoren oder die verfügbaren Indikatoren, darunter die von der Beobachtungsstelle für die Preis- und Margenbildung bei Lebens-mitteln erstellten Indikatoren, und vor allem die von der Beobachtungsstelle für die Preis- und Margenbildung bei Lebensmitteln erstellten Indikatoren.
  • Eine Präsentation der gewählten Option (zwischen den drei bestehenden) zur Identifizierung und anschließenden Sicherung des Preisanteils für landwirtschaftliche Rohstoffe/(„LR”)/verarbeitete Produkte (unter bestimmten Bedingungen), die in die endgültige Zusammensetzung und in den Preis des Produkts einfließen.  
 
Die einzelnen Optionen können so zusammengefasst werden:


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Einige dieser Bestimmungen gelten nicht für Großhändler.
 
Schließlich ist zu beachten, dass einige Durchführungsdekrete noch ausstehen. Ebenso ist eine Anpassung dieses Gesetzes nicht auszuschließen.
 
 
Die Komplexität des Gesetzes EGalim 2 und die Verpflichtung, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor dem Stichtag 1. Dezember 2022 bekannt zu geben, erfordern jedoch, dass sich Juristen und Buchhalter so schnell wie möglich mit dem Thema befassen und gleichzeitig mobilisiert werden.
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