Vom Versorger zum Systemmanager: Die Zukunftsrolle der Stadtwerke

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​​​​veröffentlicht am 17. September 2025

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Die deutsche Energiewirtschaft durchlebt eine tiefgreifende Transformation. Drei Megatrends – Dekarbonisierung, Dezentralisierung und Digitalisierung – verschieben die Wertschöpfung weg von der zentralen, fossilen Erzeugung hin zur intelligenten Koordination vieler dezentraler Einheiten. Die zunehmende Volatilität von Wind- und Solarenergie erfordert ein Energiesystem, in dem sich die Last flexibel an die Erzeugung anpasst. Flexibilität wird damit zur entscheidenden Ressource und zum handelbaren Gut für die Systemstabilität.

Für Stadtwerke bedeutet dieser Umbruch das Ende ihres traditionellen, umsatzbasierten Geschäftsmodells. Der reine Verkauf von Kilowattstunden wird zukünftig nicht mehr ausreichen, um wirtschaftlich zu bestehen. Die Zukunft liegt in der Übernahme einer neuen, aktiven Rolle als Gestalter der lokalen Energiewende. Konzepte wie Energy Sharing und bidirektionales Laden (Vehicle-to-Grid), kombiniert mit den regulatorischen Rahmenwerken des § 14a EnWG und Redispatch 3.0, sind dabei nicht nur Schlagworte, sondern die Bausteine für neue, nachhaltige Geschäftsmodelle.

Aufgrund ihrer lokalen Verankerung, ihrer Infrastrukturkenntnis und ihres Kundenzugangs sind Stadtwerke für zwei neue, untrennbar miteinander verbundene Kernrollen prädestiniert. Zum einen agieren sie als lokale Systemintegratoren und übernehmen die Rolle des Dirigenten im lokalen Energiesystem. Sie integrieren und steuern dezentrale Energieressourcen wie PV-Anlagen, Speicher und flexible Lasten, um die Netzstabilität auf der Verteilnetzebene zu gewährleisten. Aufbauend darauf agieren sie zum anderen als Flexibilitätsmanager, indem sie die gebündelte Flexibilität ihrer Kunden und Anlagen kommerziell optimieren. Sie fassen steuerbare Kapazitäten zu Virtuellen Kraftwerken (VPP) zusammen und vermarkten diese an verschiedenen Märkten, um sinkende Margen im Energievertrieb zu kompensieren.

Dieser Wandel bietet Chancen, erfordert aber auch Mut und strategische Weitsicht. Stadtwerke, die den Wandel proaktiv gestalten, ihre Strukturen anpassen und eine Innovationskultur etablieren, sichern sich eine nachhaltige und prosperierende Zukunft. Zögern hingegen birgt das unkalkulierbare Risiko, zu einem reinen Infrastrukturbetreiber mit schwindender Relevanz und Profitabilität degradiert zu werden.

Die neuen Spielregeln: § 14a EnWG und Redispatch 3.0

Um die dezentrale Energiewelt steuern zu können, hat der Gesetzgeber rechtliche Instrumente geschaffen, die als regulatorische Grundlage für die zukünftige Rolle der Stadtwerke als aktive Netzgestalter dienen.

Die seit dem 1. Januar 2024 geltende Novellierung des § 14a EnWG ist die direkte Antwort auf den erwarteten Zuwachs an leistungsstarken Verbrauchern im Niederspannungsnetz. Sie etabliert eine verpflichtende netzdienliche Steuerung für neu installierte, steuerbare Verbrauchseinrichtungen über 4,2 kW, wozu beispielsweise Wallboxen oder Wärmepumpen zählen. Mehr zu § 14a EnWG: „Kleine EnWG-Novelle“ in Kraft getreten – Technische Neuerungen für ein stabileres Netz? | Rödl & Partner​

Während § 14a reaktiv und lokal wirkt, zielt künftig Redispatch 3.0 auf ein proaktives und prognosebasiertes Engpassmanagement ab. Nach der Einbeziehung von Anlagen ab 100 kW durch Redispatch 2.0 integriert die nächste Stufe nun auch Kleinstanlagen unter 100 kW. Das Ziel besteht darin, die Abregelung von Erneuerbaren-Energien-Anlagen zu minimieren, die Netzauslastung zu erhöhen und die Gesamtkosten des Engpassmanagements zu senken. Hierfür wird ein hybrides Vergütungsmodell entwickelt, das einen freiwilligen, marktbasierten Mechanismus für Kleinstanlagen schafft. Prosumer oder Aggregatoren können ihre Flexibilität auf einer Plattform anbieten und werden bei Abruf vergütet, was neue Anreize schafft.

Neue Geschäftsfelder im dezentralen Energiemarkt

Auf dem Fundament dieser regulatorischen Rahmenbedingungen entstehen konkrete Geschäftsmodelle für Stadtwerke.

Energy Sharing könnte eine Lösung sein, die Energiewende wieder bürgernäher zu gestalten, da es Gemeinschaften ermöglicht, Strom aus erneuerbaren Energien gemeinsam zu erzeugen und zu teilen. Anstatt das klassische Versorgungsmodell bedroht zu sehen, können Stadtwerke als „Organisator“ dieser Gemeinschaften agieren, indem sie Mitglieder koordinieren, die Bilanzierung managen und die Abrechnung übernehmen. Dieses Modell stärkt die Kundenbindung und sichert den Weiterbetrieb von Post-EEG-Anlagen, erfordert jedoch eine Neuausrichtung hin zu datenbasierten Dienstleistungen. Eine wesentliche Hürde bleibt der verzögerte Rollout intelligenter Messsysteme (iMSys), die für die viertelstündliche Abrechnung zwingend erforderlich sind.

Ein weiteres Zukunftsfeld ist das bidirektionale Laden, das Elektrofahrzeuge in mobile Energiespeicher verwandelt. Das Speicherpotenzial der deutschen E-Fahrzeugflotte übersteigt schon heute die Kapazität aller Pumpspeicherkraftwerke. Das sogenannte V2X-Ökosystem umfasst dabei verschiedene Anwendungen. Während bei Vehicle-to-Home (V2H) das Fahrzeug das eigene Haus versorgt, speisen Fahrzeuge bei Vehicle-to-Grid (V2G) Strom ins öffentliche Netz zurück, um Systemdienstleistungen zu erbringen.

Für Stadtwerke ergeben sich hieraus mehrere Geschäftsmodelle. Dazu gehören die Aggregation von Fahrzeugen zu einem Virtuellen Kraftwerk für die Vermarktung an den Energiemärkten, die Einführung dynamischer Tarife nach § 41a EnWG als Anreiz für netzdienliches Ladeverhalten sowie das Flottenmanagement für Geschäftskunden. Trotz des enormen Potenzials müssen jedoch noch technische und vor allem regulatorische Hürden überwunden werden, um diese Modelle flächendeckend wirtschaftlich zu machen.

Synthese: Das integrierte Geschäftsmodell des zukünftigen Stadtwerks

Die volle Wirkung der einzelnen Trends entfaltet sich erst im Zusammenspiel. Als Systemintegrator koordiniert das Stadtwerk alle dezentralen Energieressourcen, indem es lokale Energiegemeinschaften orchestriert, Ladevorgänge von Elektrofahrzeugen steuert und die Instrumente des § 14a EnWG sowie Redispatch 3.0 für ein resilientes Energiesystem nutzt.

Parallel monetarisiert das Stadtwerk als Flexibilitätsmanager diese Potenziale. Die Kernkompetenz liegt in der Bündelung kleinteiliger Flexibilitätsquellen. Diese gebündelte Leistung wird diversifiziert vermarktet, beispielsweise durch die Teilnahme am Day-Ahead- und Intraday-Markt, die Bereitstellung von Systemdienstleistungen auf den Regelenergiemärkten oder das Angebot von Flexibilität zur Behebung von Netzengpässen. Diese dienstleistungsbasierten Erlöse sind entscheidend, um sinkende Einnahmen aus dem reinen Energieverkauf nachhaltig zu kompensieren.

Pioniere und strategische Umsetzung

Einige innovative Stadtwerke setzen die Transformation bereits heute um. Die Stadtwerke Haßfurt haben durch einen frühen Smart-Meter-Rollout und Investitionen in Sektorenkopplung eine Vorreiterrolle eingenommen. Gleichzeitig erprobt die EAM-Gruppe in Kassel die technische Machbarkeit und die Geschäftsmodelle des bidirektionalen Ladens. Diese Beispiele belegen, dass Innovation nicht von der Größe abhängt, sondern von Weitblick und Investitionsmut.

Fazit

Die Energiewende stellt Stadtwerke vor eine existentielle Herausforderung und macht eine Transformation unumgänglich. Wer diesen Wandel nicht mitgeht, riskiert seinen Platz im zukünftigen Energiemarkt. Stadtwerke müssen proaktiv agieren und die neuen Instrumente als integriertes System nutzen, um die Energiewende vor Ort zu orchestrieren und eine nachhaltige, wirtschaftliche Zukunft zu sichern.

Die Zeit für strategische Entscheidungen ist jetzt.


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