Aberkennung der Gemeinnützigkeit Teil 1 – Aktuelle Entscheidungen der Rechtsprechung und Rechtsfolgen

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​​​veröffentlicht am 17. Oktober 2022




Das Gemeinnützigkeitsrecht gewinnt immer mehr an Bedeutung und unterliegt einem stetigen Wandel. Es bietet gemeinnützigen Körperschaften eine Vielzahl an steuerlichen Privilegien, legt ihnen aber auch Pflichten auf, die gemeinnützige Körperschaften regelmäßig erfüllen müssen. Bereits leichte Verstöße gegen solche Pflichten können den Gemeinnützigkeitsstatus gefährden. In solchen Fällen droht die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, die weitreichende Konsequenzen für betroffene Körperschaften mit sich bringt und zum Verlust der steuerlichen Privilegien führt. Die Auswirkungen können einzelne Veranlagungszeiträume betreffen, sich aber auch so gravierend auswirken, dass die Körperschaft als von Anfang an nicht steuerbegünstigt behandelt wird.

Hier stellt sich die Frage nach möglichen Maßnahmen, um die Risiken der Aberkennung der Gemeinnützigkeit zu reduzieren und die Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht frühzeitig zu beheben.

In der aktuellen BFH-Rechtsprechung zeichnet sich ein roter Faden bei der Qualifizierung der Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht ab. So lassen sich die Verstöße in 3 Stufen gliedern1, die jeweils unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Nachfolgend stellen wir diese Stufen samt Rechtsfolgen dar.


Mögliche Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht

Für die Erlangung des Gemeinnützigkeitsstatus haben Körperschaften bestimmte Anforderungen an die Satzung gem. § 60 AO (formelle Satzungsmäßigkeit) und an die tatsächliche Geschäftsführung gem. § 63 AO (materielle Satzungsmäßigkeit) zu erfüllen. Dabei müssen bestimmte Grundsätze der Gemeinnützigkeit gem. §§ 52-58 AO eingehalten werden. Sind die Voraussetzungen erfüllt, erlangt die Körperschaft den Status der Gemeinnützigkeit. Andernfalls wird eine Steuervergünstigung nicht gewährt.

So führen Verstöße gegen die formellen oder die materiellen Voraussetzungen zur Versagung der Gemeinnützigkeit. Zu solchen Verstößen zählen beispielsweise

  • Verstoß gegen die Grundsätze der steuerbegünstigten Zwecke (§§ 52 bis 54 AO)
  • Verstoß gegen das Gebot der Selbstlosigkeit gem. § 55 AO, insbesondere der Verstoß gegen den Grundsatz der Vermögensbindung, d. h. die Verwendung der Mittel für satzungsfremde Zwecke
  • Fehler beim Aufsetzen der Satzung, insbesondere Nichteinhaltung der Vorgaben der Mustersatzung
  • Verstoß gegen das Ausschließlichkeitsgebot, z. B. überwiegende Verfolgung eigenwirtschaftlicher Ziele 

Ausgewählte Verstöße gegen gemeinnützigkeitsrechtliche Grundsätze aus der Rechtsprechung

In letzter Zeit entschied die höchste Instanz der Finanzgerichtsbarkeit, der Bundesfinanzhof (BFH), eine Reihe von Fällen mit Bezug zum Gemeinnützigkeitsrecht. Zwei davon sollen hier kurz vorgestellt werden:

Bsp. 1: Unangemessene Geschäftsführervergütung


Mit Urteil vom 12.3.20202 äußerte sich der BFH zur Angemessenheit der Vergütung des Geschäftsführers einer gemeinnützigen Körperschaft. Dabei wendete der BFH den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an und machte grundlegende Aussagen darüber, wie die Angemessenheit von Vergütungen in Bezug auf das Selbstlosigkeitsgebot (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 AO) zu prüfen ist.

Auch wenn ein Geschäftsführergehalt eventuell leicht überhöht sein könnte, scheidet laut BFH bei kleineren, einmaligen Verstößen gegen Gemeinnützigkeitsvorschriften die Entziehung der Steuervergünstigung zunächst aus. 

Bezüglich der Angemessenheit der Höhe der Geschäftsführervergütung entschied der BFH, dass der Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden sei. Dabei können für den externen Fremdvergleich bei Geschäftsführergehältern auch Vergütungen nicht gemeinnütziger Unternehmen herangezogen werden.

Bsp. 2: Gemeinnützigkeit einer Privatschule


Mit Beschluss vom 26.5.20213 entschied der BFH zur Gemeinnützigkeit einer Privatschule. Dabei ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die Schule mit ihrem Angebot die Allgemeinheit (i. S. d. § 52 Abs. 1 AO) fördert, denn die Aufnahmegebühren für die Schule waren so hoch, dass sie nur von einigen wohlhabenderen Eltern getragen werden konnten. Der BFH versagte der Schule den Gemeinnützigkeitsstatus. 

Laut BFH könne der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier zu keiner anderen Entscheidung führen, denn dies wäre nur bei kleineren und einmaligen Verstößen gegen die tatsächliche Geschäftsführung möglich gewesen. Laut BFH stand im Urteilsfall die Tätigkeit der Schule in ihrer Gesamtheit aber bereits im Widerspruch mit der Förderung der Allgemeinheit, zudem läge auch kein einmaliger Vorgang vor. 

Erkenntnisse aus den Entscheidungen und Rechtsfolgen

Aus den vom BFH entschiedenen Fällen lässt sich Folgendes erkennen: Liegen Verstöße gegen gemeinnützigkeitsrechtliche Grundsätze vor, ist regelmäßig der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Danach führen einmalige, versehentliche Verstöße nicht sofort zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit, Bagatellgrenzen führen dazu, dass sehr geringe Verstöße komplett außer Acht gelassen werden. Erst bei dauerhaften, vorsätzlichen oder schwerwiegenden Verstößen gegen die Grundsätze der Gemeinnützigkeit folgt der Verlust des Gemeinnützigkeitsstatus. 

Unterscheidet man nach den möglichen Rechtsfolgen eines Verstoßes, so lassen sich 3 mögliche Folgen beobachten:

  • Lediglich Erwähnung des Verstoßes im Steuerbescheid und behördliche Auflagen, z. B. konkrete Fristsetzung zur Mittelverwendung
  • Aberkennung der Gemeinnützigkeit für einen bestimmten (zurückliegenden) Zeitraum (damit Festsetzung von Steuernachforderungen und Nachzahlungszinsen)
  • Vollständige Aberkennung des Gemeinnützigkeitsstatus, Nachversteuerung für einen Zeitraum von 10 Jahren

Bisher gibt es jedoch keine gesetzlich festgelegte Grenze mit einer entsprechenden Anordnung der jeweiligen Rechtsfolge.

Aus der BFH-Rechtsprechung lässt sich jedoch erkennen, dass die Rechtsfolgen in Abhängigkeit von der Qualität der Verstöße eintreten sollen.4 

Folgende 3 Stufen haben sich hierbei herauskristallisiert und werden in der Literatur unterschieden:

Stufe 1: geringfügige und einmalige Verstöße


Hier lassen sich solche Verstöße subsumieren, die sich einmal und geringfügig auswirken und die nicht fortwährend andauern. Sie führen nicht sofort zu einer Aberkennung der Gemeinnützigkeit, denn es gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

In der Regel erfolgt lediglich eine Erwähnung im Steuerbescheid und es kommt ggf. zu einer behördlichen Auflage, wie z. B. bei Verstößen gegen das Mittelverwendungsgebot. Wurde beispielsweise das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung nicht beachtet und die Mittel nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen 2-Jahresfrist verwendet, kommt die Auflage nach § 63 Abs. 4 AO zur Anwendung, nach der die Körperschaft innerhalb einer angemessenen Fristsetzung die Mittel für steuerbegünstigte Zwecke zu verwenden hat. 

Stufe 2: punktuelle und gewichtige Verstöße 


Hierzu gehören Verstöße, die nicht einmalig und nicht geringfügig auftreten und die zusätzlich zeitlich begrenzt sind, also nicht dauerhaft vorliegen.5 Der BFH ging in seinen bisherigen Entscheidungen hier im Wege einer „doppelten Negativ-Abgrenzung“ vor. Hierzu zählen

  • vereinzelt auftretende, quantitativ bedeutsame (punktuelle) Verstöße gegen das Mittelverwendungsgebot i. S. d. § 55 AO (z. B. deutlich überhöhte Geschäftsführervergütungen) ) sowie
  • vereinzelt auftretende, qualitative Verstöße gegen die Gemeinnützigkeitsgrundsätze und den Zweckkatalog des § 52 AO. Hier jedoch nur, wenn die Verstöße gegen die gemeinnützigkeitsrechtlichen Grundsätze nicht struktureller Art und damit nicht dauerhaft sind. 

Bei Verstößen der zweiten Stufe verliert die Körperschaft nur für vereinzelte nicht bestandskräftige Veranlagungszeiträume ihre steuerlichen Vorteile. So beschränkt sich die Aberkennung der Gemeinnützigkeit nur auf einen bestimmten Zeitraum. Es kommt zu rückwirkenden Steuernachforderungen und zur Festsetzung von Nachzahlungszinsen.

Stufe 3: fortwährende und gewichtige Verstöße


In diese Stufe fallen Verstöße der tatsächlichen Geschäftsführung, die als qualitativ oder quantitativ besonders gewichtig anzusehen oder dauerhaft sind.

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Verstoß der tatsächlichen Geschäftsführung gegen die gemeinnützigkeitsrechtlichen Grundsätze strukturell und von Dauer angelegt ist6, wie im Fall der Privatschule.

Bei Verstößen der dritten Stufe verliert die Körperschaft rückwirkend für einen Zeitraum von 10 Jahren ihren Gemeinnützigkeitsstatus und somit die steuerlichen Vorteile. Die Körperschaft wird von Anfang an als nicht steuerbegünstigt anerkannt. Es folgt eine Nachversteuerung für einen Zeitraum von 10 Jahren, die Bestandskraft der Steuerbescheide wird dadurch gebrochen, denn die Festsetzungsverjährung greift in diesen Fällen nicht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Verstöße der zweiten und der dritten Stufe zum Verlust der Gemeinnützigkeit und der steuerlichen Vorteile führen. Die bisherige Rechtsprechung geht davon aus, dass in diesen Fällen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit „verhältnismäßig” ist.7 

Fazit

Der BFH lässt in seiner Rechtsprechung einen roten Faden bei Entscheidungen über Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsrecht erkennen. Allerdings gibt es bisher keine gesetzlich verankerten Grundsätze für die jeweiligen Rechtsfolgen bei Verstößen. Es fehlen konkrete und abgestufte Sanktionsmechanismen für Verstöße gegen gemeinnützigkeitsrechtliche Voraussetzungen. Aus diesem Grund wird die Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung bisher zum Teil nicht einheitlich angewendet. 

In unserem nächsten Artikel zu diesem Thema werden wir uns daher mit Möglichkeiten befassen, Fehler und Risiken auf dem Gebiet des Gemeinnützigkeitsrechts frühzeitig zu erkennen und Maßnahmen zur Risikoreduzierung vorstellen.  


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1 Vgl. Seeck/Wackerbeck, Aberkennung der Gemeinnützigkeit – Wenn die rote Linie überschritten ist, DStR 2022, S 633 ff. mit weiteren Verweisen.
2 BFH v. 12.3.2020 – V R 5/17, BStBl. II 2021, 55.
3 BFH v. 26.5.2021 – V R 31/19, BStBl. II 2021, 835 (Privatschul-Beschluss).
4 Vgl. hierzu ausführlich Seeck/Wackerbeck, Aberkennung der Gemeinnützigkeit – Wenn die rote Linie überschritten ist, DStR 2022, S 633 ff.
5 BFH v. 12.10.2010 – I R 59/09, BStBl. II 2012, 226.
6 BFH v. 26.5.2021 -  V R 31/19, BStBl. II 2021 , 835.
7 BFH v. 12.3.2020 – V R 5/17, BStBl. II 2021, 55.


Autorinnen: Julia Agapova und Anka Neudert​​

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Julia Agapova , LL.M.

Steuerberaterin, Master of Laws (Steuerrecht & Steuerlehre)

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