Compliance im Rettungsdienstwesen – Rettungsdienst in Bayern – Quo vadis?

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veröffentlicht am 11. Juli 2022

 

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Mit der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes in Bayern sollen die Standards bei den rettungsdienstlichen Leistungen erhöht und gleichzeitig die Weichen für die Herausforderungen der Zukunft in der rettungsdienstlichen Versorgung im Freistaat verbessert werden. Neben der Einführung des Telenotarztes in Bayern soll künftig mit dem Notfallregister ein weiteres wichtiges und bundesweit einmaliges Vorhaben auf den Weg gebracht werden. Aber auch das Thema Compliance soll künftig kodifiziert werden. Was bedeutet das für die Durchführenden und vor allem für bestehende Konzessionen?

 


Einleitung

Die Implementierung eines Compliance-Management-Systems (CMS) gilt in vielen Wirtschaftsbereichen mittlerweile als selbstverständlich. Durch die Schaffung interner Strukturen zur Einhaltung geltender Vorschriften sichern Unternehmen nicht nur eine nachhaltige Unternehmensführung, sondern stärken auch ihre Reputation. In dem streng regulierten und unter staatlicher Verantwortung stehenden Bereich des Rettungsdienstes war das Thema Compliance eher stiefmütterlich behandelt worden.

 

Und das, obwohl sich in der der Vergangenheit gezeigt hat, dass gerade auch bei der Abrechnung rettungsdienstlicher Leistungen Unregelmäßigkeiten auftreten können.

 

Um der staatlichen Verantwortung gerecht zu werden und solchen Themen wie Korruption und Betrug präventiv entgegenzuwirken, reagierte die bayerische Staatsregierung mit dem Gesetzesentwurf zur Änderung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes und des Bayerischen Krankenhausgesetzes vom 4.5.2021 (im Folgenden kurz „Änderungsgesetz“).

 

Dadurch führt die Bayerische Staatsregierung u. a. eine umfassende Novellierung des Rettungsdienstgesetzes (RDG) ein, die die zukünftige rettungsdienstliche Versorgung in Bayern nachhaltig verbessern soll. Insbesondere sollen sich die Durchführenden im Rettungsdienst durch die Einführung eines CMS zur Einhaltung und ständigen Überprüfung der Regelkonformität verpflichten.

 

Diese Neuregelung war gut, wichtig und richtig, wirft aber auch zahlreiche Fragestellungen auf, mit denen sich die Akteure des Rettungsdienstes bei der Umsetzung der potenziellen neuen Gesetzeslage beschäftigen müssen. Denn der Gesetzesentwurf sieht u. a. in Art. 13 Abs. 3, S. 5 BayRDG-E Folgendes vor:

 

„Der Durchführende hat im Rahmen des Auswahlverfahrens ein Konzept zur

Einhaltung zeitgemäßer Standards für Maßnahmen, Strukturen und Prozesse

zur Sicherstellung von Regelkonformität (Compliance-Management-System)

vorzulegen”

 

Das bedeutet – jedenfalls nach dem Wortlaut – dass die entsprechenden Bewerber auf eine Rettungsdienstkonzession ein geeignetes Compliance-Konzept vorlegen müssen. Es ist also zu erwarten, dass künftige Bewerber um eine solche Konzession bei den Vergaben ausgeschlossen werden können, wenn sie ein entsprechendes CMS nicht vorlegen. Wie ein wirksames CMS implementiert werden kann, finden Sie hier (https://www.roedl.de/wen-wir-beraten/gesundheit-sozialwirtschaft/compliance) und soll nicht Thema dieses Beitrags sein.

 

Interessant dürfte vielmehr sein, welche Bedeutung die künftige Vorschrift auch für bereits bestehende Rettungsdienstkonzessionen haben könnte. Hier stellt sich nämlich die spannende Frage, ob die Durchführenden bzw. Konzessionsnehmer auf den unveränderten Bestand ihrer Rettungsdienstkonzession vertrauen können, ohne ein CMS in ihrem Betrieb zu implementieren. Wir glauben, dass dies jedenfalls nicht risikolos ist.

 

Hintergrund der Novellierung

Hauptauslöser der Gesetzesänderung war das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 21.3.2019 (Rechtssache C-465/17), in dem der EuGH entschied, dass die Regelungen zur Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens nicht für die Betreuung und Versorgung von Notfallpatientinnen und Notfallpatiienten in einem Rettungswagen als auch im Bereich des qualifizierten Krankentransports gelten, wenn dies durch gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen geleistet wird.

 

Eine Anwendung dieser Bereichsausnahme ist in Bayern derzeit nicht möglich. Zurzeit können gemäß Artikel 13 Absatz 1 Satz 1 BayRDG ausschließlich freiwillige Hilfsorganisationen oder private Unternehmen mit der Durchführung von Notfallrettung, arztbegleitetem Patiententransport und Krankentransport beauftragt werden. Mit dem vorliegenden Änderungsgesetz soll nun auch die Anwendung der Bereichsausnahme in Bayern ermöglicht werden. Artikel 13 Absatz 1 Satz 2 BayRDG soll vorsehen, dass die Vergabe der bodengebundenen Durchführung von Notfallrettung und der Krankentransport als Dienstleistungskonzession (§ 105 Absatz 1 GWB) nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 GWB ausschließlich an gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen erfolgen soll. Daher ist zukünftig bei der Vergabe von Rettungsdienstkonzessionen in Bayern Teil 4 des GWB nicht anzuwenden.

 

Daneben soll aber durch die Einführung der Pflicht zur Vorlage eines CMS-Konzepts bei der Auswahl der Durchführenden eine Modernisierung des Rettungsdienstes erfolgen.

 

Aktueller Entwurfsstand

Wie bereits oben angesprochen, soll das zusätzliche Kriterium „Vorlage CMS-Konzept“ für die Auswahlentscheidung eingeführt werden. Das Inkrafttreten für die Regelungen zur Beauftragung gemeinnütziger Organisationen oder Vereinigungen mit rettungsdienstlichen Leistungen soll auf den 1.7.2022 fallen. Eine Verpflichtung zur Vorlage eines CMS-Konzepts soll dagegen erst am 1.1.2025 in Kraft treten, um den Durchführenden ausreichend Zeit zur Entwicklung und Implementierung zu geben.

 

Der zeitliche Aufschub kommt Durchführenden einer Rettungsdienstkonzession, die bis jetzt keine Berührungen mit der Implementierung eines CMS hatten, entgegen.

 

Wird von der Entwicklung eines CMS-Konzepts Abstand genommen, kann nach Inkrafttreten der Regelung die Gefahr des Verlustes der Rettungsdienstkonzession nicht ausgeschlossen werden.

 

Rechtsnatur der Rettungsdienstkonzession in Bayern

Die Erteilung einer Rettungsdienstkonzession erfolgt in der Regel durch einen Verwaltungsakt oder im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrages. Bayern hat sich hinsichtlich der Übertragung rettungsdienstlicher Aufgaben für einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der zeitlich angemessen zu befristen ist, entschieden. Dabei handelt es sich um einen sog. subordinationsrechtlichen Vertrag, da der Konzessionsgeber anstelle des Vertragsschlusses den Vertragsgegenstand auch durch einen Verwaltungsakt oder eine andere einseitig-hoheitliche Maßnahme hätte regeln können.

 

Verlust der Rettungsdienstkonzession

Insofern stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Konzession auch verlustig gehen kann, wenn nach Erteilung einer entsprechenden Konzession und Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages wesentliche Änderungen eintreten. Eine wesentliche Änderung wäre z. B., dass die Voraussetzungen für die Konzession nicht (mehr) vorliegen. Dies wiederum wäre der Fall, wenn die Implementierung eines CMS während der Laufzeit der Konzession unterbliebe.

 

Eine Rücknahme oder Widerruf der Konzession nach den verwaltungsrechtlichen Vorschriften dürfte nicht in Betracht kommen, weil öffentlich-rechtliche Verträge eben nicht einseitig über diese Vorschriften beendet werden können. Dies führt aber nicht dazu, dass aufatmen angesagt wäre. Denn auch ein öffentlich-rechtlicher Vertrag kann beispielswiese nichtig sein, gekündigt oder angepasst werden.

 

In Anbetracht dessen könnten für bereits bestehende Konzessionen die zu erwartende Änderung des Rettungsdienstgesetzes und die Einführung einer Pflicht zur Vorlage eines CMS-Konzepts ab dem 1.1.2025 verschiedene Folgen haben.

 

Rettungsdienstkonzessionen, deren Laufzeit vor dem 1.1.2025 endet

Läuft der öffentlich-rechtliche Vertrag über die Vergabe der Rettungsdienstkonzessionen, vor dem 1.1.2025 aus, müssen die Durchführenden ein Konzept zur Durchführung eines CMS vorzeigen, um in einem neuen Auswahlverfahren überhaupt die Voraussetzungen für den Erhalt der Konzession zu erfüllen und am Auswahlverfahren teilnehmen zu können.

 

Rettungsdienstkonzessionen, deren Laufzeit nach dem 1.1.2025 endet

Dagegen stellt sich bei bereits bestehenden Rettungskonzessionen, deren Laufzeit vertraglich erst nach dem 1.1.2025 abläuft, die Frage, ob mit der Vorlage eines CMS-Konzepts nachträglich zu rechnen ist bzw. ob der Verlust der Rettungsdienstkonzession droht, wenn dem nicht nachgekommen wird.

 

Rückwirkung des Änderungsgesetzes?

Da neue Regelungen in einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt hineinwirken können, stellt sich zunächst die Frage, wie solch eine „Rückwirkung“ des Änderungsgesetzes zu bewerten ist. Zu unterscheiden ist immer zwischen einer echten und einer unechten Rückwirkung. Die Abgrenzung kann schwierig sein und hängt grundsätzlich vom Einzelfall ab. Je nach Fall und Ausgestaltung der einzelnen Rettungsdienstkonzession ist daher eine unterschiedliche Beurteilung möglich.

 

Eine echte Rückwirkung ist grundsätzlich anzunehmen, wenn ein Gesetz nachträglich in abgewickelte und abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift bzw. wenn die Rechtsfolgen einer Norm erst für einen Zeitraum eintreten sollen, der vor der Verkündung der Norm liegt (Rückwirkung von Rechtsfolgen).

 

Diese Rückwirkung ist grundsätzlich aufgrund des schutzwürdigen Vertrauens des Normadressaten unzulässig. Jedoch sind Ausnahmen im Einzelfall zulässig, wenn diese schwerwiegende und besondere Gründe rechtfertigen.

 

Solche Ausnahmen werden angenommen, wenn kein Vertrauenstatbestand gegeben war, bestehendes Vertrauen nicht schutzwürdig war oder dem schutzwürdigen Vertrauen überwiegende öffentliche Interessen (bzw. zwingende Gründe des Gemeinwohls) entgegenstehen. So hat unser Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon entschieden, dass eine echte Rückwirkung zulässig sei, wenn die alte Rechtslage unklar und verworren war, mit einer Veränderung der Rechtslage zu rechnen war oder eine nichtige Bestimmung durch eine wirksame Bestimmung ersetzt wird, ohne dass deren Inhalt verändert wird.

 

Dagegen liegt eine unechte Rückwirkung immer dann vor, wenn durch ein Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft eingewirkt wird und dadurch nachträglich Rechtspositionen entwertet werden. Anders gesagt, wenn eine belastende Rechtsfolge einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintritt, ihren Tatbestand aber an Umstände knüpft, die vor der Verkündung der Rechtnorm liegen.

 

Die unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig, wenn nicht im Rahmen einer Gesamtabwägung der Vertrauensschutz des Normadressaten die durch den Gesetzgeber verfolgten Ziele überwiegt.

 

Wenn ein Durchführender eine Rettungsdienstkonzession erhält, da die zum Zeitpunkt des Auswahlverfahrens aufgestellten Auswahlkriterien erfüllt waren und nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes nachträglich die Vorlage eines CMS-Konzepts verlangt wird, ist dies u. E. als unechte Rückwirkung – und damit zulässig – zu bewerten.

 

Denn die Vertragspartner der Konzessionsverträge verpflichten sich in der Regel gegenseitig zu wiederkehrenden und sich über einen längeren Zeitraum wiederholenden Leistungen und Gegenleistungen. Das bedeutet, die Vertragsvoraussetzungen müssen grundsätzlich auch über einen längeren Zeitraum vorliegen. Vertragsvoraussetzung ist eben unter anderem, dass der Durchführende zum Erhalt der Konzessionen berechtigt ist, also die Auswahlkriterien zum Zeitpunkt des Auswahlverfahrens erfüllt. In eine ähnliche Richtung geht auch die „Wasserkonzessionsentscheidung“ des BVerwG aus dem Jahre 1972. Dort hat das Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass eine Konzession Veränderungen aufgrund von späteren Gesetzesänderungen unterliege, da es sich bei dem (dort streitigen) Vorhaben um einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt gehandelt habe und daher eine zulässige unechte Rückwirkung anzunehmen sei. Mit dieser Entscheidung hat das BVerwG grundsätzlich über mehrere Jahre bestehende Konzessionen für nachträgliche Gesetzesänderungen geöffnet und den Vertrauensschutz des Konzessionsnehmer in die zum Zeitpunkt des Erhalts der Konzession geltenden Bedingungen reduziert. Bestehende Konzessionsverträge sind dadurch insgesamt anpassungsfähiger.

 

Vertragsänderung oder -aufhebung des öffentlich-rechtlichen Vertrages

Ungeachtet dessen ist zu beachten, dass Rettungsdienstkonzessionen als öffentlich-rechtliche Verträge nachträglich angepasst oder, falls eine Anpassung nicht möglich ist, gekündigt werden können. Die gesetzliche Beendigungsmöglichkeit verlangt, dass sich die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgeblichen Verhältnisse geändert haben. Darunter fallen solche Umstände, die weder Vertragsinhalt geworden, noch bloßer Beweggrund geblieben sind, sondern die nach der Vorstellung beider Parteien die gemeinsame und wesentliche Grundlage des Vertrages bilden. Es genügt jedoch auch, dass nur eine Vertragspartei die Umstände zugrunde legt, solange diese für die andere Partei erkennbar waren und letztere diese nicht beanstandet hat. Dass der Durchführende die Auswahlkriterien für den Erhalt der Rettungsdienstkonzession erfüllt, bildet bereits die Grundlage für den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages. Sonst hätte sich der Konzessionsgeber im Auswahlverfahren nicht zugunsten des Durchführenden entschieden.

 

Neben den tatsächlichen Verhältnissen sind auch Rechtsänderungen zu berücksichtigen. Eine solche Rechtsänderung kann auch in der Novellierung von Gesetzen bestehen.

 

Bei Änderungen von Rechtsvorschriften ist zu differenzieren, ob diese in das Rechtsverhältnis unmittelbar eingreifen oder lediglich die Rahmenbedingungen des Vertragsverhältnisses ändern. Ein unmittelbarer Eingriff in das Vertragsverhältnis läge aber nur vor, wenn die neue gesetzliche Regelung entgegenstehende Verträge unmittelbar aufhebt und gegenstandslos werden lässt, weil durch diese der Vertragsinhalt als solcher angetastet und die Vertragserfüllung unmöglich wird. Davon kann hier jedoch keine Rede sein, weil lediglich die Rahmenbedingungen des Vertragsverhältnisses – nämlich deren grundsätzliche Abschlussvoraussetzungen – durch die Novellierung verändert würden. Es geht also um die Änderung der reinen rechtlichen Basis des Vertrages.

 

Zusammenfassung

Die Änderung des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes wirft unter Compliance-Gesichtspunkten bereits vor ihrem Inkrafttreten zahlreiche Fragestellungen auf. Die Pflicht zur Vorlage eines CMS-Konzepts wird vermutlich nicht nur zukünftige Durchführende einer Rettungsdienstkonzession beschäftigen, sondern auch Auswirkungen auf bestehende Rettungsdienstkonzession haben.

 

Rettungsdienstkonzessionen sind keine starren Konstrukte, die von nachträglichen Rechtsveränderungen unberührt bleiben. Eine flexible Anpassung der Konzession bleibt möglich. Insbesondere die durch das BayRDG festgelegte Ausgestaltung der Rettungsdienstkonzession als öffentlich-rechtlicher Vertrag eröffnet einen Weg, die Vertragsumstände nachträglich anzupassen oder sogar bestehende Verträge zu kündigen. Die Verwaltungen haben folglich ein Instrument zur Hand, um von bereits mit einer Konzession ausgestatteten Durchführenden die Vorlage eines CMS-Systems zu verlangen. Wie dies Gerichte im Einzelfall beurteilen werden, bleibt mit Spannung abzuwarten. In jedem Fall ist bis 2025 noch genügend Zeit, dass sich die Durchführenden entsprechend aufstellen können.

 


Kontakt

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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