Neues Unternehmensstrafrecht – Auf was sollte sich die Gesundheits- und Sozialwirtschaft einstellen?

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veröffentlicht am 10. Dezember 2019

 

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Nachdem bereits im Jahr 2016 das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen in Kraft getreten ist, liegt nun der Referentenentwurf eines weiteren Gesetzes vor, das in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft bisher noch wenig Beachtung gefunden hat, das sog. Verbandssanktionsgesetz (VerSanG). Bislang gibt es kein Unternehmensstrafrecht in Deutschland, sodass bei Korruptionsverfehlungen von Leitungspersonal bisher lediglich Bußgelder verhängt werden können. Das soll sich nunmehr ändern. Welchen Einfluss das Gesetz auf die Gesundheits- und Sozialwirtschaft haben wird und warum Compliance in diesem Zusammenhang eine herausragende Bedeutung bekommt, erläutert Rechtsanwalt Norman Lenger, LL.M. in unserem Interview.

 

HERR LENGER, WAS IST EIGENTLICH DIESES UNTERNEHMENSSTRAFRECHTSGESETZ VON DEM MAN AKTUELL SO VIEL HÖRT UND LIEST?

Konkret soll dieses Gesetz künftig „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (VerSanG)” heißen. Heruntergebrochen ist es schlichtweg ein Gesetz zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität. Straftaten, die aus sogenannten Verbänden heraus begangen werden, können nach geltendem Recht gegenüber dem Verband lediglich mit einer Geldbuße nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geahndet werden. Diese Geldbußen sind jedoch zum einen nach oben begrenzt, das heißt, es gibt faktisch keine hinreichenden empfindlichen Sanktionen gegenüber finanzstarken, multinationalen Konzernen. Zum anderen fehlen konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln und Anreize für Investitionen in Compliance respektive Compliance Management Systeme. Eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität ist damit nach Ansicht des Gesetzgebers derzeit nicht möglich.

 

DAS GESETZ SOLL DIE SANKTIONIERUNG VON VERBÄNDEN WEGEN STRAFTATEN, DURCH DIE PFLICHTEN, DIE DEN VERBAND TREFFEN, VERLETZT WORDEN SIND, BEINHALTEN. DARÜBER HINAUS REDEN SIE HIER VOM „VERBANDSSTRAFRECHT” BZW. VON „VERBÄNDEN” ODER „VERBANDSBEZOGENEN STRAFTATEN”. GILT DAS GESETZ DANN NUR FÜR DIESE ZUSAMMENSCHLÜSSE?

Nein, leider nicht! Das ist insoweit vom Gesetzgeber ein wenig missverständlich formuliert. Hier muss man klar differenzieren zwischen der allgemeinen Verbandsdefinition und der Verbandsdefinition nach dem Unternehmensstrafrechtsgesetz. In der Sozialwirtschaft haben Sie z. B. verschiedene Wohlfahrtsverbände wie die AWO, den Caritasverband, den Paritätischen Wohlfahrtsverband, das Rote Kreuz oder auch den ASB. Charakteristisch ist, dass es sich dabei um Personenvereinigungen natürlicher oder juristischer Personen als Mitglieder handelt, die sich freiwillig zur Verfolgung von Zielen zusammengeschlossen haben. Sie verfügen über eine festgelegte interne Organisationsstruktur auf Grundlage einer Satzung. Die Gründung dieser Verbände unterliegt in Deutschland nach Art. 9 Grundgesetz (GG) dem Schutz der Vereinigungsfreiheit. Es gibt wie gesagt eine Satzung, einen Verbandszweck, Stimmrechte und diese Verbände haben auch Einfluss auf die Gesetzgebung.


Das Unternehmensstrafrechtsgesetz bezieht sich aber nicht nur auf diese „Verbände”, ich nenne sie „Verbände im engeren Sinne”. Ein „Verband” im Sinne des Unternehmensstrafrechts ist im Prinzip jede juristische Person des öffentlichen und privaten Rechts, ja, sogar nichtrechtsfähige Vereine oder rechtsfähige Personengesellschaften fallen darunter. Kurzum: Es ist grundsätzlich jede Rechtsform betroffen und damit hat das Gesetz auch Relevanz für eine Vielzahl von Akteuren in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft wie beispielsweise Krankenhäuser, MVZ, Forschungseinrichtungen, Verbände (im engeren Sinne), sogar Stiftungen.

 

UND WAS IST DAS BESONDERE AN EINEM UNTERNEHMENSSTRAFRECHTSGESETZ? WARUM WIRD IN DIESEM ZUSAMMENHANG SO VIEL DISKUTIERT?

Naja, Sie müssen sich vorstellen, dass unser deutsches Strafrecht seit jeher ein Schuldstrafrecht ist, d. h. ich muss, um bestrafen zu dürfen, grundsätzlich an der persönlichen Vorwerfbarkeit vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns bei einer Person anknüpfen können. Anders gesagt: Der Verhaltensvorwurf, den wir erheben, wenn wir bestrafen, beruht auf dem Gedanken der grundsätzlichen Willensfreiheit. Deswegen stellt sich z. B. auch immer die Frage nach der Schuldfähigkeit eines Angeklagten. Jetzt haben Unternehmen als solche für sich genommen keinen „Willen”. Die „Willensbildung”, wenn man sie in diesem Kontext so nennen möchte, erfolgt über die Leitungsorgane. Unternehmen können auch selbst keinen Willen äußern oder sich irgendwie „verhalten”. Und da wird ein grundsätzliches, unserem Rechtssystem immanentes Muster durchbrochen. Das gefällt nicht jedem.


WELCHE ZIELE VERFOLGT DER GESETZGEBER EIGENTLICH MIT DEN NEUEN REGELUNGEN ? DAS ORDNUNGSWIDRIGKEITENRECHT HÄTTE DOCH AUSGEREICHT, ODER?

Das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) und sein Verfahrensrecht sind insgesamt keine zeitgemäße Grundlage mehr für die Verfolgung und Ahndung kriminellen Verbandsverhaltens, weil es ursprünglich mal für das sog. Verwaltungsunrecht konzipiert wurde. Der aktuelle Entwurf verfolgt das Ziel, die Sanktionierung von Verbänden auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu stellen und durch ein verbessertes Instrumentarium eine angemessene Ahndung von Verbandsstraftaten zu ermöglichen. Zugleich soll er Compliance-Maßnahmen fördern und Anreize dafür bieten, dass Unternehmen mit internen Untersuchungen dazu beitragen, Straftaten aktiv aufzuklären.

 

UND WIE SOLLEN DIESE ZIELE ERREICHT WERDEN?

Zum einen ändert sich die Art und Weise der Rechtsverfolgung. Bislang gilt für Sanktionierungen von Unternehmen im Ordnungswidrigkeitenrecht das sog. Opportunitätsprinzip, d. h. die Strafverfolgungsbehörden haben ein grundsätzliches Ermessen, bestimmten Vorgängen überhaupt nachzugehen. Darüber hinaus liegt die Maximal-Geldbuße bei 10 Mio. Euro, sofern nicht Sonderregelungen greifen. In Zukunft soll aber das sog. Legalitätsprinzip gelten, d. h. die Staatsanwaltschaften sollen bei Vorliegen eines Anfangsverdachts verpflichtet sein, ein Ermittlungsverfahren gegen das betreffende Unternehmen einzuleiten. Auf der anderen Seite sollen die Transparenz und die Implementierung von Compliance Management Systemen belohnt werden. Das bedeutet, es soll neue Befugnisse bei sog. internen Ermittlungen sowie Sanktionsrabatte bei der Implementierung und Nutzung effektiver und effizienter Compliance-Maßnahmen geben.


Insbesondere das Thema Sanktionsrabattierung ist nicht zu unterschätzen und dürfte künftig für die Akteure der Gesundheits- und Sozialwirtschaft interessant werden. Nachdem sich der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 9.5.2017 (Az.: 1 StR 265717) bereits dahingehend geäußert hat, dass die Effizienz eines Compliance Management Systems bei der Bußgeldbemessung zu berücksichtigen ist, soll dies künftig gesetzlich verankert werden. Wird beispielsweise ein Fall durch eigene interne Ermittlungen aufgedeckt, sollen die Sanktionen gegen das Unternehmen im Vergleich zu erst durch die Staatsanwaltschaft aufgedeckten Fällen deutlich geringer ausfallen.

 

GIBT ES ETWAS, WORAUF SICH SPEZIELL DIE GESUNDHEITS- UND SOZIALWIRTSCHAFT EINSTELLEN MUSS?

Aus unserer Sicht ganz klar, ja! Das Thema Compliance in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft wurde von den Beteiligten immer etwas stiefmütterlich behandelt. Verwunderlich ist das nicht, gibt es doch – bislang – keine flächendeckende Verpflichtung Compliance Management Systeme zu implementieren. Und natürlich ist Compliance auch mit nicht unerheblichem Aufwand verbunden. Gleichwohl ist dies bemerkenswert, weil gerade der Gesundheitssektor grundsätzlich mal einen hochregulierten Markt darstellt. Auch der Wettbewerb im Gesundheitswesen ist sehr intensiv. Und wenn man sich die Pressemitteilungen des letzten halben Jahres ansieht, so sind diese gespickt von Unternehmensdurchsuchungen, Großrazzien und Abrechnungsunregelmäßigkeiten in Wohlfahrtsverbänden oder auch bei Pflegediensten. Die Gesundheits- und Sozialwirtschaft wird sich mit compliance-relevanten Themen künftig intensiver auseinandersetzen müssen. Das gilt sowohl für die Privatwirtschaft, aber auch für Kommunalunternehmen, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts und Verbände im engeren Sinne. Wir gehen davon aus, dass es künftig darauf ankommen wird, möglichst schnell bei den eigenen internen Ermittlungen zu sein, um in den Genuss des Sanktionsrabatts zu kommen. Das setzt voraus, dass die Unternehmen entsprechende Vertrauensbasis bei den Mitarbeitern und den Marktbegleitern geschaffen haben, um frühzeitig Informationen über solche Vorgänge zu bekommen.

 

HABEN SIE EIN BIS ZWEI KONKRETE TIPPS BZW. HÜRDEN?

Selbstverständlich! Zum einen sollten sich die Akteure frühzeitig mit dem neuen Gesetzesentwurf beschäftigen. Das gilt insbesondere für den Inhalt. So stellen sich z. B. grundsätzliche Fragen, die aus den typischen Strukturen im Gesundheits- und Sozialwesen resultieren. Eine Frage dürfte zum Beispiel sein, ob der besondere Vertreter eines Vereins im Sinne des § 30 BGB auch Leitungsperson neben den Vorstandmitgliedern ist. Denn grundsätzlich erstreckt sich die Vertretungsmacht des besonderen Vertreters nur im Zweifel auf alle Rechtsgeschäfte, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt. Was aber, wenn die Satzung nur für gewisse Geschäfte einen besonderen Vertreter vorsieht?

 

Ein weiteres Beispiel sind auch die strukturellen Besonderheiten z. B. bei den Wohlfahrtsverbänden. Bei einigen handelt es sich um einen sog. Vereinsverband, d. h. der als rechtsfähiger oder nichtrechtsfähiger Verein verfasste Vereinsverband (auch Dachverband) ist ein Zusammenschluss von einzelnen (rechtsfähigen oder nichtrechtsfähigen) Vereinen (auch bezeichnet als Anschlussvereine oder Mitgliedsvereine) zur Verfolgung eines gemeinsamen Satzungszwecks. Möglich ist auch, dass Verbandsmitglieder neben den Mitgliedervereinen auch deren Mitglieder sind. Dazu ist nach dem BGH aber grundsätzlich eine entsprechende Regelung in der Satzung des Verbandes und der Mitgliedervereine erforderlich (sog. Mitgliedschaftsvermittlungsklausel). Der BGH hat so eine sog. statuarisch vermittelte Doppelmitgliedschaft ausdrücklich anerkannt. Aufgrund dieser doppelten satzungsgemäßen Grundlage hat der Dachverband gegenüber den Mitglieder auf der einen Seite gewisse Einwirkungsmöglichkeiten, die im Vereinsrecht eine absolute Normalität darstellen. Auf der anderen Seite gilt das nur, solange nicht die Grenzen der Zulässigkeit, insbesondere der Grundsatz der Vereinsautonomie, überschritten werden. Es wird sich also künftig die Frage stellen, ob diese „gewissen Einwirkungsmöglichkeiten aufgrund doppelter satzungsmäßiger Grundlage” schon ausreichend sind, um eine die Ausfallhaftung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Ref-E begründende „Einheit” im Sinne des Unternehmensstrafrecht anzunehmen.


Wäre das der Fall, so könnte, sollte z. B. ein Regionalverband nach der Bekanntgabe der Einleitung des Sanktionsverfahrens erlöschen mit der Folge, dass gegen den Verband eine angemessene Verbandsgeldsanktion nicht mehr verhängt werden kann, ein Haftungsbetrag auch gegen weitere Verbände festgesetzt werden, sofern diese eine „Einheit” bilden. § 7 Ref-E VerSanG ist zwar grundsätzlich nach dem Vorbild von § 81a GWB geschaffen worden, um eine Umgehung der Sanktionierung durch konzerninterne Umstrukturierung beziehungsweise Übertragung wesentlicher Wirtschaftsgüter auf einen anderen Verband, der die Tätigkeit im Wesentlichen fortsetzt, zu verhindern. Im Kern geht es aber auch bei dieser Vorschrift
um unmittelbare oder mittelbar bestimmende Einflussnahme. Hier gilt es daher ebenfalls Vorsorge zu treffen.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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