Der ominöse Bestandsschutz – Inhalt, Grenzen und Bedeutung für die Verkehrssicherungspflicht

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​veröffentlicht am 1. August 2022

 

 

In unseren Seminaren und Inhouse-Schulungen zur Betreiberverantwortung im Facility Management werden wir immer wieder zum Bestandsschutz und seinem Zusammenspiel mit den Betreiber- und Verkehrssicherungspflichten bzw. zum Brandschutz angesprochen. Dieser Artikel soll etwas Licht ins Dunkel bringen und mit Missverständnissen aufräumen.

 

 

Inhalt des Bestandsschutzes

Der baurechtliche Bestandsschutz ist ein anerkannter Rechtsgrundsatz, wonach ein einmal rechtmäßig errichtetes Bauwerk auch in Zukunft erhalten und genutzt werden darf und somit eigentumsrechtlich geschützt ist (Art. 14 Abs. 1 GG), auch wenn sich die rechtlichen Anforderungen ändern. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass für das Bauwerk eine Baugenehmigung vorliegt und deren Inhalte eingehalten werden. Bestandsschutz besteht auch ohne Baugenehmigung, wenn die bauliche Anlage zum Zeitpunkt der bauaufsichtlichen Beurteilung dem zu diesem Zeitpunkt geltenden materiellen Recht entspricht, z. B. bei verfahrensfreien Vorhaben oder Genehmigungsfreistellung.

 

Kurz zusammengefasst:

 

Bestandsschutz ist das Recht auf Bestands-

erhaltung (Schutz des Status quo) und

auf Bestandsnutzung.


 

Ende des Bestandsschutzes

Zunächst endet der Bestandsschutz, wenn Verhältnisse geschaffen werden, die durch die Baugenehmigung nicht abgedeckt sind und auch nach den zum Zeitpunkt der Beurteilung maßgeblichen Vorschriften nicht zulässig sind.

 

Darüber hinaus gilt der Bestandsschutz auch nicht zeit- und grenzenlos. Er kann je nach Einzelfall durchbrochen werden. Die oft anzutreffende Meinung, dass ein einmal genehmigtes und mangelfrei abgenommenes Bauwerk generell so unverändert bleiben kann, kann rechtlich nicht bestätigt werden.

 

Bauliche Anpassungen bei Gefahr für Leib und Leben

a) Behörde handelt

Gesetzliche Regelungen können in den Bestandsschutz eingreifen. Es können insbesondere bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist (z. B. Art. 54 Abs. 4 Bayerische Bauordnung (BayBO), § 76 Abs. 1 Bauordnung Baden-Württemberg (BauO BW), § 87 Abs. 1 Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NRW)). Darüber hinaus können bei wesentlichen Änderungen an einer baulichen Anlage auch Forderungen für nicht unmittelbar von der Änderung berührte Teile der Anlage gestellt werden, z. B. wenn ein konstruktiver Zusammenhang besteht (z. B. Art. 54 Abs. 5 BayBO, § 76 Abs. 2 LBO BW, § 87 Abs. 2 BauO NRW). Dann muss die jeweilige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob sie Nachrüstungen vom Eigentümer fordert.

 

b) Ohne behördliches Handeln

Hierzu folgender Beispielsfall:

 

Der Eigentümer hat Kenntnis davon, dass sein Gebäude nicht den aktuellen brandschutzrechtlichen Regelungen entspricht. Ein Einschreiten der Behörde liegt nicht vor. Muss er aus eigener Initiative handeln? Welche Konsequenzen muss er bei einem Unterlassen fürchten?

 

Ob in einem solchen Fall die Eigentümerinnen und Eigentümer handeln müssen, ist gesetzlich nicht geregelt. Insofern gibt es keine generelle Pflicht, das Gebäude in brandschutzrechtlicher Hinsicht immer auf dem neuesten Stand zu halten. Wenn jedoch eine Gefährdungslage erreicht ist, die auch die Behörden verpflichten würde, einzuschreiten, dann kann auch die Eigentümerin oder der Eigentümer selbst verpflichtet sein, von sich aus tätig zu werden. Dies dürfte bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben anzunehmen sein.

Im vorliegenden Beispielsfall muss somit die Gefährdungslage betrachtet werden und ggf. eine fachkundige brandschutzrechtliche Bewertung erfolgen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Pflichten des Eigentümers nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht zwangsläufig deckungsgleich sind mit denen in zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Hinsicht.

 

Der Fall zeigt, dass der Bestandsschutz nicht über unsichere Zustände hinweghilft und bei Sicherheitsmängeln im Einzelfall ein Handeln der Eigentümerin oder des Eigentümers auch ohne behördliches Einschreiten erforderlich werden kann.

 

Anpassungen bei baulichen Veränderungen

Wenn Eigentümerinnen oder Eigentümer Änderungen des Gebäudes beantragen, stellt sich auch die Frage, inwieweit die Änderung den Bestandsschutz des gesamten Gebäudes infrage stellt. Für die Umbauten in bestehenden Gebäuden sind die geltenden bauordnungs-rechtlichen Anforderungen zu beachten. Diese sind dann grundsätzlich zunächst auf die jeweils beabsichtigte Maßnahme zu beziehen, jedoch nicht immer auf weitere Bereiche oder das ganze Gebäude. Inwieweit die Maßnahme weitere Bereiche erfasst, ist im konkreten Einzelfall zu bewerten.

 

Eine grundsätzlich genehmigungspflichtige Änderung des gesamten Gebäudes liegt dagegen vor, wenn ein vorhandenes Gebäude baulich umgestaltet wird. Eine Änderung der Substanz der baulichen Anlage, z. B. ein Umbau, ggf. sogar mit Teilabriss, ein Ausbau oder eine Erweiterung dürften hierunter zu fassen sein. Aber auch in Fällen, in denen das Erscheinungsbild unangetastet bleibt und das Bauvolumen nicht erweitert wird, können an der Anlage vorgenommene Bauarbeiten eine genehmigungspflichtige Änderung darstellen. Es reicht aus, dass eine bauliche Anlage nach Durchführung von baulichen Maßnahmen als eine andere erscheint als vorher. Im Fall der Änderung einer baulichen Anlage ist damit Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung grundsätzlich das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Gestalt. Die geplante Maßnahme erfasst damit genehmigungsrechtlich das gesamte Gebäude und durchbricht den bestehenden Bestandsschutz.

 

Anpassungen aufgrund von Verkehrssicherungspflichten

Der Bestandsschutz betrifft z. B. nicht die allgemeine zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht oder die Verkehrssicherungspflicht der Eigentümerin oder des Eigentümers nach Maßgabe der jeweiligen Landes-
bauordnungen.

 

Für Fragen der verkehrssicheren Benutzbarkeit von Gebäuden kann nicht auf Bestandsschutz zurückgegriffen werden. Art. 14 Abs. 1 BayBO regelt: „Bauliche Anlagen … müssen verkehrssicher sein.” Hier stellt das Gesetz somit nicht auf den Zeitpunkt der Genehmigung ab, sondern trifft eine revolvierende Verpflichtung, die jederzeit gilt.

 
Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht wird aus dem Grundsatz abgeleitet, dass derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft bzw. eine potenzielle Gefahrenquelle beherrscht, verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Somit können Eigentümerinnen und Eigentümer - trotz baurechtlichen Bestandsschutzes - verpflichtet sein, Baumaßnahmen, Sanierungen oder Nachrüstungen aus verkehrssicherungsrechtlichen Gründen durchzuführen, um ihrer Verkehrssicherungspflicht zu genügen und damit letztlich auch eine Haftung auszuschließen bzw. das Haftungsrisiko zu minimieren.

 

Anpassungen aufgrund anderer rechtlicher Grundlagen

Auch aufgrund weiterer Gesetze und im Einzelfall zugrunde liegender privatrechtlicher Rechtsverhältnisse kann sich eine ausdrückliche Handlungspflicht einer Eigentümerin oder eines Eigentümers ergeben. Eine Pflicht zur Anpassung baulicher Anlagen kann sich beispielsweise aus dem Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsstättenverordnung ergeben. Ebenso besteht die mietvertragliche Nebenpflicht der Vermieterin oder des Vermieters, das an die Mieterin oder den Mieter überlassene Eigentum verkehrssicher zu halten.

 

Fazit

Der baurechtliche Bestandsschutz kann Betreiber, Eigentümer und Nutzer von Immobilien vor schwierige Fragen stellen und diese unter verkehrssicherungsrechtlichen Aspekten in falscher Sicherheit wiegen. Es stellt sich die Frage, wo sind bauliche Ertüchtigungen lediglich wünschenswert und wo bestehen echte Risiken und konkrete Gefahren für Leib oder Leben, die zum Handeln zwingen? Hierzu sind auch fachlich-technische Aspekte zu erwägen, insbesondere die technische Umsetzbarkeit und wirtschaftliche Vertretbarkeit. Hilfestellung kann hier eine fachlich-technische Expertise (z. B. ein brandschutztechnisches Gutachten) und eine Abstimmung mit den zuständigen Behörden sein. Jedenfalls können Eigentümerinnen und Eigentümer nicht unbegrenzt auf eine vorhandene Baugenehmigung vertrauen oder bis zu einer gesetzlichen Regelung bzw. bis zu einem behördlichen Einschreiten zuwarten. Eine Berufung auf den rein baurechtlichen Bestandsschutz bietet keine generelle Entlastung vor einer etwaigen Haftung im Schadensfall.



 

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