Füllaufträge nach freier Kündigung – Was muss der Auftragnehmer vor Gericht beweisen?

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veröffentlicht am 1. August 2023




Sowohl die VOB/B als auch das BGB erlauben es dem Auftraggeber, einen Werkvertrag jederzeit und ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Der Auftragnehmer kann dann die vereinbarte Vergütung verlangen, muss sich aber unter anderem dasjenige anrechnen lassen, was er durch anderweitigen Erwerb, d. h. sogenannte Füllaufträge erwirtschaftet. 


Der Bundesgerichtshof erläutert in seiner Entscheidung vom 15.3.2023 (Az. VII ZR 150/22), was der Auftragnehmer im Einzelnen zu diesen Füllaufträgen in einem Gerichtsprozess vortragen und nachweisen muss. Denn immerhin entstammen diese seiner geschäftlichen Sphäre, wohingegen der Auftraggeber kaum wissen kann, wie es um den anderweitigen Einsatz der frei gewordenen Kapazitäten des Auftragnehmers steht. 

Der Sachverhalt

Die Parteien des zugrunde liegenden Falles stritten über wechselseitige Ansprüche aus einem von der Beklagten als Auftraggeberin gekündigten Vertrag über Fassadenarbeiten. Die Klägerin war ein im Bereich von Anstreich- und Fassadenreinigungsarbeiten tätiges Unternehmen mit ca. 40 Mitarbeitern und einem durchschnittlichen Jahresumsatz von ca. 4 Mio. Euro. Im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs bewarb sie sich kontinuierlich um nahezu alle ausgeschriebenen Aufträge und nahm auch Aufträge entgegen, die ihre jeweiligen eigenen Leistungskapazitäten eigentlich überstiegen. Dabei verschob die Klägerin ihr Personal regelmäßig zwischen den einzelnen Baustellen und Aufträgen.

Die Beklagte erteilte den Auftrag aufgrund eines Angebots der Klägerin, dem das Leistungsverzeichnis der Beklagten zugrunde lag. Die Parteien vereinbarten eine Leistung aufgrund von Einheitspreisen. Die Geltung der VOB/B (2012) wurde – wie außer Streit stand – vereinbart. Nach Vertragsabschluss kam es zu mehreren Vertragsänderungen.

Die beauftragte Fassadenreinigung sollte die Grundlage für eine anschließende Fassadensanierung schaffen. Zwischen den Parteien kam es zum Streit über die Art der Reinigung. Im Zuge dieser Auseinandersetzung kündigte die Beklagte den Vertrag. Nach der Vertragskündigung setzte die Klägerin ihr Personal auf anderen Baustellen ein. Weder entließ sie Personal noch versetzte sie dieses in Kurzarbeit. Leerläufe in ihrem Unternehmen entstanden ihr nicht.

Die Klägerin legte sodann eine Schlussrechnung auf der Basis des Vertrags einschließlich der erfolgten Vertragsänderungen unter Berücksichtigung einer Abschlagszahlung vor. Mit der Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Zahlung von restlicher Vergütung zu verurteilen, die sie teilweise für erbrachte, teilweise für nichterbrachte Leistungen begehrte. Das erstinstanzliche Landgericht hat der Klägerin lediglich einen teilweisen Anspruch auf Restvergütung für nichterbrachte Leistungen zugesprochen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hiermit war die Klägerin nicht einverstanden und ging deshalb in die „nächste Runde”.

Die rechtliche Bewertung

Kündigt der Auftraggeber einen Werkvertrag, ohne dass ein wichtiger Grund hierfür gegeben ist, muss er auch für diejenigen Leistungen eine Vergütung entrichten, die der Auftragnehmer aufgrund der Kündigung gar nicht mehr schuldet. Hierin liegt quasi die Kehrseite der Medaille: Der Auftraggeber kann den Vertrag zwar jederzeit beenden, muss aber mit den monetären Folgen rechnen und leben. Einer der Dreh- und Angelpunkte des hiesigen Rechtsstreits war schlussendlich die Frage, welche Anforderungen an die Klägerin als Auftragnehmerin zu stellen sind, wenn es um die Anrechnung anderweitigen Erwerbs, d. h. sogenannter Füllaufträge geht. Denn diese mindern die für die nichterbrachten Leistungen vom Auftraggeber nach der freien Kündigung noch zu zahlende Vergütung. Gleiches gilt im Übrigen für ersparte Aufwendungen. Auch diese muss der kündigende Auftraggeber nicht erstatten.

Für die Darlegungs- und Beweislast zur Frage, ob ein anderweitiger Erwerb vorliegt oder nicht, gelten nach Auffassung der Bundesrichter nicht ohne Weiteres die zur prüffähigen Darlegung der ersparten Aufwendungen einschlägigen Anforderungen. Während sich letztere nur konkret vertragsbezogen ermitteln lassen und sich deshalb auch nachvollziehbar aus dem Vertrag ableiten lassen müssen, kommt es beim anderweitigen Erwerb zunächst darauf an, inwieweit ein Füllauftrag erlangt worden ist oder es der Unternehmer böswillig unterlassen hat, einen solchen zu erlangen. Es reicht deshalb grundsätzlich aus, wenn sich der Unternehmer wahrheitsgemäß, nachvollziehbar und ohne Widerspruch zu den Vertragsumständen ausdrücklich oder auch konkludent erklärt. Je wahrscheinlicher ein anderweitiger Erwerb ist, umso ausführlicher müssen die Angaben sein. Der Besteller kann jedoch grundsätzlich nicht verlangen, dass der Unternehmer von vornherein seine gesamte Geschäftsstruktur offenlegt, um ihm die Beurteilung zu ermöglichen, welche Aufträge auch ohne die Kündigung akquiriert worden wären. Aus den Vertragsumständen kann sich eine erhöhte Darlegungslast des Unternehmers ergeben, wenn es z. B nach Art und Dauer des gekündigten Teils naheliegt, dass das Personal anderweitig beschäftigt worden ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hatte der Bundesgerichtshof die Einschätzung des Landgerichts nicht zu beanstanden.

Ausblick

Auftraggeberseitige Kündigungen im Werkvertrag lösen oftmals Streitigkeiten aus. Im ersten Schritt besteht in aller Regel eine nicht abschließend ausräumbare Unsicherheit, dass eine aus Sicht des Auftraggebers außerordentliche Kündigung am wichtigen Grund scheitert. Zum Zweiten werden sich die Parteien selten einig darüber, welche Leistungen erbracht worden sind, welche nicht und in welcher Höhe die nichterbrachten Leistungen noch zu vergüten sind.

Soweit möglich und die beiderseitige Beziehung noch nicht gänzlich aussichtslos zerstritten ist, sollte daher auf eine Aufhebungsvereinbarung hingewirkt werden, um nachträgliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. 



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