Konfliktfall Jugendhilfe – Entgeltverhandlung im Fokus

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veröffentlicht am 2. Januar 2024



Entgeltverhandlungen im Bereich des SGB VIII, dort vor allem im Bereich der Hilfen zur Erziehung, sind geprägt von Leistungs- und Kostendruck auf der einen Seite und Personal- und Ressourcenknappheit auf der anderen Seite. Ziel sollte eine partnerschaftliche Lösung sein. Sofern diese nicht auf bilateralem Weg erreicht wird, können Dritte helfen, eine interessensgerechte Lösung herbeizuführen.


Die Jugendhilfe – Ausgangssituation 

Gemäß § 2 SGB VIII ist es Aufgabe der Jugendhilfe, zur Förderung junger Menschen und ihrer Familien beizutragen. Sie unterstützt bei der Erziehung, Bildung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sowie bei der Bewältigung von individuellen und familiären Herausforderungen. Die Jugendhilfe zielt darauf ab, durch präventive Maßnahmen, Beratung, Hilfe zur Erziehung und Unterstützung bei der Lebensbewältigung das Wohl von jungen Menschen zu sichern und ihre positiven Lebensbedingungen zu fördern.

Diese Leistungen werden in einer Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendämter) auf der einen Seite und Trägern der freien Jugendhilfe, die sich durch eine Vielfalt von Wertorientierungen, Inhalten und Methoden sowie Arbeitsformen zusammensetzt, auf der anderen Seite erbracht. Dies folgt aus §§ 3 f. SGV VIII.

Die Entgeltverhandlungen

Die Entgelte gemäß §§ 78b ff. SGB VIII werden zwischen den Trägern der Jugendhilfe und den öffentlichen Jugendämtern verhandelt. 

Die öffentlichen Jugendämter sind staatliche Behörden auf kommunaler Ebene, die für die Umsetzung der Jugendhilfe zuständig sind. Diese haben entsprechend der Regelungen in Verhandlungen gem. § 78 b SGB VIII mit den freien Trägern im Rahmen von Entgeltvereinbarungen differenzierte Entgelte für deren Leistungsangebote und notwendigen Investitionen zu bestimmen. 

Im Rahmen der Verhandlungen versuchen die freien Träger der Jugendhilfe, angemessene Entgelte für die von ihnen erbrachten Leistungen zu vereinbaren, während die öffentlichen Jugendämter darauf achten, die ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel effizient und gemäß den gesetzlichen Vorgaben einzusetzen. Die Beteiligten verfolgen somit einerseits ein gemeinsames in § 2 SGB VIII definiertes und andererseits im Hinblick auf Kostentragung gegenlaufendes Interesse.

Der in § 78b SGBVIII benannte Rechtsbegriff der Vereinbarung setzt das Zustandekommen eines Vertrages durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Diese beidseitige Übereinstimmung soll im Rahmen eines einvernehmlichen und partnerschaftlichen Umgangs zwischen den Beteiligten herbeiführt werden. Zum Teil wird diese Partnerschaftlichkeit in auf Landesebene getroffenen Rahmenvereinbarungen festgehalten.

Die Verhandlungen werden grundsätzlich durch ein an das öffentliche Jugendamt gerichtetes Entgelt(anpassungs)verlangen des freien Trägers eingeleitet. Der freie Träger hat hierzu eine sorgfältig ausgearbeitete und fundiert begründete Kostenkalkulation vorzulegen, die sein (Anpassungs-)Begehren stützt.

Im Rahmen der Kostenkalkulation sind prospektiv alle Kosten der betreffenden Einrichtung, die durch Leistungen im Rahmen von Vereinbarungen nach SGB VIII entstehen, betriebswirtschaftlich aussagefähig und transparent, aufgegliedert nach Kostenarten, darzustellen. In der Kostenkalkulation ist das Entgelt auf Grundlage der einrichtungsspezifischen Leistungs- und Entwicklungsvereinbarung darzustellen.

Die der Kalkulation zugrunde liegenden Unterlagen hat der freie Träger dem öffentlichen Jugendamt vorzulegen.

Einfache Einigung, oder?

Theoretisch sollte es den Verhandlungspartnern unter Wertung der fundierten Kalkulation einschließlich der ihr zugrundeliegenden beigebrachten Unterlagen gelingen, eine zügige Einigung herbeizuführen.

Allerdings ist diese schnelle, partnerschaftliche Einigung in der Praxis keinesfalls der Regelfall. Vielmehr werden die freien Träger teilweise von Beratern vertreten, deren Fokus augenscheinlich auf der Durchsetzung des Erhöhungsverlangens, jedoch nicht auf Partnerschaftlichkeit liegt. 

So werden in der praktischen Wahrnehmung u. a. Entgeltverlangen nur unzureichend begründet, Kalkulationen weisen Lücken auf, die zur Begründung vorgelegten Unterlagen sind widersprüchlich und bleiben unvollständig oder die Berechnung enthält an kritischen Stellen Risikozuschläge, sodass sie nicht mehr als prospektiv zu werten ist. 

Die öffentlichen Jugendämter werden in derartigen Fallkonstellationen nicht selten zu raschen Entscheidungen gedrängt. Etwaige Rückfragen oder angefragte weitere Unterlagen werden ignoriert. Um eine zügige Entscheidung zu befördern, wird die Anrufung der Schiedsstelle gem. § 78 g SGB VIII als Drohszenario in Aussicht gestellt.

Das Problem

Den das Entgelt bzw. die Anpassung fordernden freien Trägern spielt dabei die vielerorts anzutreffende Personal- und Ressourcenknappheit im Bereich der öffentlichen Jugendämter in die Hände, die einerseits eine vertiefte Prüfung der Kalkulation einschließlich aller erforderlichen Unterlagen fast nicht möglich macht und andererseits keine Kapazitäten für ein mögliches Schiedsverfahren vorhält. Um die Angelegenheit möglichst kräftesparend abzuschließen, stimmen die öffentlichen Jugendämter dem jeweiligen Erhöhungsbegehren in solchen Konstellationen weitgehend unwidersprochen zu.

Die Kenntnis dieser Umstände gibt den freien Trägern und deren Beratern im Grunde einen Freifahrtschein für weitere Erhöhungsverlangen an die Hand.

Die Lösung

Es gibt verschiedene Wege, diese aufgeladene Situation im Sinne beider Verhandlungspartner partnerschaftlich aufzulösen. 

Zunächst ist festzuhalten, dass die Einschaltung der Schiedsstelle keinerlei Drohpotenzial beinhaltet. Die Schiedsstelle trifft lediglich eine objektiv begründete Entscheidung aufgrund der vorliegenden Kalkulation und Tatsachen.

Sofern jedoch die der Kalkulation zugrunde liegenden Unterlagen nicht vollständig vorliegen und das Entgeltverlangen nicht fundiert begründet ist, beginnt die Frist des 
§ 78a SGB VIII noch nicht zu laufen. Es besteht aufseiten des öffentlichen Trägers somit keine Notwendigkeit, aus zeitlichen Gründen auf die Vorlage weiterer Unterlagen zu verzichten. In einem ersten Schritt sind somit sämtliche die Kalkulation begründenden Unterlagen einzusehen, zu prüfen und zu bewerten. Erst dann kann fundiert beurteilt werden, ob es hinsichtlich des Entgelt(anpassungs)verlangens überhaupt einen Dissens zwischen den Parteien gibt, der Verhandlungen erfordert.

Darüber ist es für beide Parteien essenziell, ungeklärte Fragen, verschiedene Denkansätze oder rechnerische Unklarheiten kommunikativ zu klären. Sofern diese Klärung im bilateralen Verhältnis schleppend oder schwierig verläuft, ist es empfehlenswert, die Kommunikation auf eine andere Ebene zu verlagern. Berater, Rechtsanwälte oder auch übergeordnete Behörden können unterstützend tätig werden, wenn die direkte Kommunikation gescheitert ist. 

Dritte können in diesen Fällen entweder aufseiten einer Partei als Parteivertreter involviert werden oder als neutrale und unparteiische Vermittler oder Mediatoren.

Sollten alle Maßnahmen eine Lösung auf dem Gesprächswege herbeizuführen scheitern, sollte in jedem Fall die Befassung der Schiedsstelle in Betracht gezogen werden. Das Schiedsgerichtsverfahren ist eine formelle Methode zur Streitbeilegung. Der Schiedsspruch liefert eine verbindliche Entscheidung über strittige Angelegenheiten.

Der Schiedsspruch ist grundsätzlich gerichtlich angreifbar. Sollte eine der Parteien diese Option erwägen, so ist es ratsam, rechtlichen Rat und juristische Beratung einzuholen.

Das Fazit

Vereinbarungen über das Entgelt für Leistungen im Sinne des SGB VIII oder über Anpassungen dieses Entgelts sollten von den Beteiligten im Bereich der Jugendhilfe im Sinne einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen werden. In der Praxis führen Kostendruck, Personalnot und Ressourcenknappheit nicht selten dazu, dass die Partnerschaftlichkeit verloren geht. Die Einschaltung von Dritten kann eine neue Kommunikationsgrundlage schaffen, sodass im Ergebnis eine für alle zufriedenstellende Lösung herbeigeführt werden kann.



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