Tarifmodelle – Sichere Wasserversorgung setzt richtige Finanzierung voraus

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​veröffentlicht am 01. Oktober 2020

von Tim Silberberger

 

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Die Bereitstellung von Trinkwasser ist elementarer Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das „Lebensmittel Nr. 1” ist in Deutschland sicher und qualitativ einwandfrei. Im internationalen Vergleich bewegen sich die Leistungen der dafür verantwortlichen Wasserversorgungsunternehmen dabei „traditionell” auf einem hervorragenden Niveau1, was neben den Unternehmen selbst beispielsweise auch auf die hierzulande bestehenden gesetzlichen Anforderungen an eine sichere Wasserversorgung zurückführen ist.


Dabei unternimmt die Branche alljährlich große Anstrengungen, das Niveau der Versorgung zu halten. Dies lässt sich unter anderem an den jährlichen Investitionen der Branche für die Sanierung und Erneuerung bestehender Netze und Anlagen ablesen, die nach 2,7 Milliarden Euro (2017) bzw. 2,9 Milliarden Euro (2018) im vergangenen Jahr auf eine Rekordsumme von 3,05 Milliarden Euro stiegen.2

Zur dauerhaften Sicherstellung einer nachhaltigen Investitionsfähigkeit muss die Trinkwasserversorgung sachgerecht und nachhaltig finanziert werden. Dabei spielen unter anderem die Erlöse aus Wasserverkäufen eine entscheidende Rolle, die anhand von Tarif- bzw. Preismodellen ermittelt werden. Diese Erlöse sollen kostendeckend sein und die individuellen Rahmenbedingungen vor Ort bestmöglich abbilden. Doch gerade dies ist in der Praxis bei der Festlegung der Preis- bzw. Tarifstruktur oft nicht der Fall.

 

Unverändert Hausaufgaben bei Tarifstrukturen

So passt häufig die Preis- bzw. Tarifstruktur nicht zu den Kosten der Wasserversorgung.3 Diese Feststellung gilt rechtsformunabhängig sowohl für Wasserpreise als auch für Wassergebühren und ist ebenso wenig neu4 wie es sich hierbei um eine exklusive Meinung5 handelt.


Zwar liefern Beobachtungen der jüngeren Vergangenheit durchaus Indizien dafür, dass viele Versorger sich um eine sukzessive Angleichung der Erlös- an die Kostenstruktur bemühen,6 der überwiegende Teil der Unternehmen hält jedoch unverändert an historisch gewachsenen Preisstrukturen fest und finanziert sich überwiegend über mengenabhängige Erlöse. In diesen Fällen wird eine stärkere Gewichtung der Tarifstruktur im Bereich mengenunabhängiger Erlöse empfohlen, was schon seit Jahren Konsens in der Diskussion zu Wasserentgelten ist.

 

Grenzen „klassischer Tarifmodelle”

Doch selbst wenn ein Versorger bereits erste Schritte zur Angleichung der Erlösstruktur an die Kostenstruktur eingeleitet hat, bedeutet dies noch nicht, dass die Finanzierung der Wasserversorgung bestmöglich auf künftige Herausforderungen eingestellt ist. Dies liegt an den vielerorts unverändert7 vorherrschenden Tarifmodellen von Wasserversorgungsunternehmen. Diese „klassischen Tarifmodelle”, bei denen die Finanzierung über eine mengenbezogene Komponente und einen mengenunabhängigen Entgeltbestandteil erfolgt, stoßen nämlich gerade beim Ansinnen einer möglichst leistungsgerechten Finanzierung der Wasserversorgung an ihre Grenzen. Dies hängt mit dem (Kunden-)Zähler als Maßstab der Verrechnung zusammen, der kaum sachgerechte Abstufungen der Leistungen ermöglicht.


Bei Einhaltung des technischen Regelwerks können in Gebäuden mit bis zu 30 Wohneinheiten gleichartige Zähler einer Kategorie installiert werden.8 In der Praxis fallen regelmäßig mehr als 90 Prozent der Kunden eines Wasserversorgungsunternehmens in diese Kategorie, die betroffenen Kunden zahlen ein identisches Zählerentgelt. Diese „Gleichmachung” der Kunden ist messtechnisch betrachtet sinnvoll und sachgerecht, kann mit Blick auf das Tarifmodell des Wasserversorgungsunternehmens jedoch zu Verwerfungen führen. Dies gilt zumindest dann, wenn die Leistungsabnahme der Kunden mit gleichartigem Zähler unterschiedlich ist. Dabei zeigen sich die Verwerfungen umso drastischer, je heterogener das Abnahmeverhalten der Kunden ist. Solche Verwerfungen lassen sich gerade in der Klasse der kleinen Zähler regelmäßig beobachten.


Ein (Extrem-)Beispiel: Bei einem Wohngebäude mit 30 Einheiten und durchschnittlich 2,5 Bewohnern je Einheit beträgt die jährlich gelieferte Wassermenge, die über den verbauten Zähler gemessen wird, insgesamt 3.000 m3 (2,5 Einwohner * 40 m3/Einwohner/Wohneinheit * 30 Wohneinheiten). Im Nachbargebäude, bei dem es sich um ein Einfamilienhaus handelt, das von einer Person bewohnt wird, ist regelkonform ein zum Mehrfamilienhaus gleichartiger Zähler verbaut. Die jährlich abgenommene Leistung liegt hier indes lediglich bei 40 m3.


Obwohl das Mehrfamilienhaus im Beispiel die 75-fache Leistung des Einfamilienhauses in Anspruch nimmt, wird diesem im „klassischen Tarifmodell” infolge mangelnder Preisdifferenzierung im Bereich der mengenunabhängigen Erlöse exakt der gleiche Grundpreis für den verbauten Zähler in Rechnung gestellt wie dem Einfamilienhaus. Hier geraten „klassische Tarifmodelle” an ihre Grenzen, was die Abbildung der Vorhalteleistung der Wasserversorgung im Grundpreis angeht. Eine weiter differenzierte Kopplung der Erlöse an die zur Verfügung gestellte Leistung, was eine Lenkungswirkung über die Grundpreise ermöglicht, wäre hier wünschenswert.

 

 

 

Grafik klassische Preismodelle

 

Mangelnde Differenzierung fixer Erlöse in klassischen Preismodellen
 

 

Nachhaltige Finanzierung über alternative Tarifmodelle

Ein Lösungsweg, der sich in der Branche immer größerer Beliebtheit erfreut, besteht in der Umstellung des Tarifmodells der Wasserversorgung. Dabei sind zumindest theoretisch vielfältige Ansätze denkbar, die von einer Flatrate über eine Grundpreisbemessung anhand der Wohnfläche oder der Wohneinheitenanzahl bis hin zur Abrechnung eines Grundpreises je Verbrauchsklasse reichen. Ob bzw. welche Form einer Umstellung im Einzelfall geeignet ist, sollte dabei stets vor dem Hintergrund der unternehmensindividuellen Gegebenheiten – beispielsweise der örtlichen Kunden- und Versorgungsstruktur – beurteilt werden.


Die Grundpreisbemessung auf Grundlage der Wohneinheitenanzahl kann inzwischen als etablierte Alternative zum klassischen Tarifmodell bezeichnet werden. Hier wird durch eine stärkere Berücksichtigung der tatsächlichen Vorhalteleistung eine feinere und geeignetere Preisdifferenzierung möglich. Dies erweist sich insbesondere in urbanen Versorgungsgebieten mit einem hohen Anteil an Mehrfamilienhäusern als vorteilhaft. Da dem Wasserversorger allerdings in der Regel keine verlässlichen Informationen zur Wohneinheitenanzahl je Gebäude vorliegen, geht dieses Tarifmodell regelmäßig mit einem hohen Aufwand für die notwendige Datenerhebung und -pflege einher. Dabei ist es zumeist auch unumgänglich, die Kunden in Form einer Befragung in den Prozess der Tarifumstellung einzubeziehen.


Angesichts dieser Umstände erfreuen sich auch Tarifmodelle immer größerer Beliebtheit, die ohne aufwändige Datenerhebung eine verbesserte Preisdifferenzierung im Bereich der mengenunabhängigen Erlöse ermöglichen. Eine Möglichkeit bietet beispielsweise die Ermittlung der Höhe des Grundpreises unter Einbeziehung des Verbrauchsverhaltens auf Kundenebene. Dabei kann ausschließlich auf ohnehin bereits im Unternehmen vorliegende Informationen zurückgegriffen werden. Sowohl für den Versorger als auch für die Kunden geht ein entsprechendes Modell somit mit einem geringen Umstellungsaufwand einher.

 

Tarifumstellung als ganzheitlicher Ansatz

Unabhängig vom gewählten Abrechnungsmaßstab sollte eine Umstellung des Tarifmodells wohldurchdacht und langfristig ausgerichtet sein. Da Tarifumstellungen stets auch die Gefahr starker Verwerfungen bergen können, sollten im Vorfeld immer die Auswirkungen auf die verschiedenen Kundengruppen und Abnahmefälle geprüft und das anvisierte Tarifmodell im Hinblick auf zuvor definierte Belastungsgrenzen justiert werden (Sensitivitätsanalyse).

 

Nicht weniger wichtig ist es, den Transparenzanforderungen der verschiedenen Stakeholder (Kunden, Politik, Behörden) im Rahmen der Tarifumstellung gerecht zu werden. Eine adressatengerechte Kommunikationsstrategie, die auf eine nachvollziehbare Darlegung der Gründe und Wirkung der Umstellung ausgerichtet ist, hat sich daher als unerlässlich erwiesen.

 

 

Kommunikationsstrategie

 

 

 

Die Frage- und Aufgabenstellungen rund um die Entgeltgestaltung sind also vielfältig, deren Bearbeitung stellt jedoch die Grundlage für eine solide Finanzierung und damit für eine sichere und nachhaltige Wasserversorgung dar. Gerne unterstützen wir Sie dabei.

 

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1 Vgl. hierzu bspw. Arbeitsgemeinschaft Trinkwassertalsperren e. V. (ATT) (2020) et al: Branchenbild der Deutschen Wasserwirtschaft, S. 7 ff.
2 Vgl. hierzu https://www.bdew.de/presse/presseinformationen/zahl-der-woche-305-milliarden-euro/, zuletzt aufgerufen am 31.8.2020.
3 Vgl. hierzu bspw. Wasserentgelte in Bayern – 10 Thesen (Stand Januar 2020), https://www.roedl.de/themen/wasser-kompass/2020/01-2020/wasserentgelte-bayern-10-thesen-2020, zuletzt aufgerufen am 31.8.2020.

4 Vgl. hierzu bspw. Faulhaber, A. (2012): Alternative Tarifmodelle in der Wasserversorgung als Antwort auf den demografischen Wandel.
5 Vgl. hierzu bspw. BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (2018): Preise/Gebühren in der Wasserwirtschaft 2018 – Analyse.
6 Vgl. hierzu bspw. Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen et al (2020): Wasserversorgung in Nordrhein-Westfalen, Benchmarking-Projekt, Ergebnisbericht 2017/2018, S. 20 f.
7 Vgl. hierzu bspw. Landeskartellbehörde Niedersachsen legt Vergleich von Trinkwasserpreisen und -gebühren vor, https://www.roedl.de/themen/wasser-kompass/2020/09-2020/landeskartellbehoerde-niedersachsen-vergleich-von-trinkwasserpreisen-trinkwassergebuehren, zuletzt aufgerufen am 31.8.2020.
8 Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (2012): Technische Regel – Arbeitsblatt DVGW W 406 (A), S. 14 ff.

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