Fahrscheinfreier Stadtbusverkehr unter der Lupe

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veröffentlicht am 7. Februar 2018

von Tim Silberberger

 

​Das ZDF berichtete in seiner Dokumentation „plan b” über den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in europäischen Städten. Die französische Stadt Dünkirchen pilotiert den kostenfreien Busbetrieb derzeit an Wochenenden, während sich das Konzept in der estnischen Hauptstadt Tallinn bereits etabliert hat. Das deutsche Pendant in dieser Betrachtung bildet der brandenburgische Luftkurort Templin.

 

Durch die Zunahme des motorisierten Individualverkehrs (MIV) verschlechterte sich die Luftqualität in Templin beträchtlich. Infolgedessen wurde der öffentliche Nahverkehr 1997 zunächst unentgeltlich, über Sponsoring, Parkgebühren und Kurtaxe finanziert. Das kostenlose Modell konnte allerdings nicht aufrechterhalten werden, da aufgrund gestiegener Fahrgastzahlen die Kapazität der bisherigen Fahrzeugflotten bald ausgeschöpft war und somit zusätzliche Busse beschafft werden mussten. Seit 2002 wird der öffentliche Nahverkehr über eine sog. „Jahreskurkarte” in Höhe von 44 Euro pro Person geregelt. Die Dokumentation ist noch bis 28. Oktober 2018 auf der ZDF-Seite verfügbar.

 

Bewertung für die Praxis

Seit Jahrzenten diskutieren Politik und Wissenschaft über die Möglichkeiten des fahrscheinfreien öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Durch die Debatte um den Klimawandel und die Einhaltung der Grenze für Stickoxide erhält diese Diskussion neue Nahrung.

 

Ökologische, soziale und ökonomische Argumente können für den fahrscheinfreien ÖPNV ins Feld geführt werden. Diese basieren auf Verlagerungseffekten vom motorisierten Individualverkehr zum ÖPNV. Die damit einhergehende Verringerung der Verkehrsbelastung kann insbesondere in Ballungsräumen zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit führen und trägt zu einer Reduzierung der Unfallzahlen sowie der Emission von Stickoxiden, Feinstaub und CO2 bei. Darüber hinaus ermöglicht der fahrscheinfreie ÖPNV Einsparungen beim Vertrieb sowie dem Verkaufs- und Kontrollpersonal und erhöht die Attraktivität als Wohn- und Wirtschaftsstandort, was langfristig steuerliche Mehreinnahmen mit sich bringen kann.

 

Bei den genannten Vorteilen, die mit der Einführung eines fahrscheinfreien ÖPNV einhergehen können, ist eine Abwägung der damit verbundenen Risiken unerlässlich. Wenngleich die bisherigen Beispiele auf eine Zunahme der ÖPNV-Nutzung hindeuten, lässt sich das konkrete Ausmaß der Verlagerungseffekte nicht zweifelsfrei vorhersagen. Gerade in großstädtischen Regionen könnten sich bereits vorherrschende Kapazitätsengpässe zu den Hauptverkehrszeiten noch verschärfen, so dass massive Angebotsausweitungen sowie umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur erforderlich werden könnten. In Mittelzentren hingegen – bei denen keine so strengen Restriktionen der Beförderungskapazitäten bestehen – könnte der Ansatz erfolgreich sein.

 

Ein fahrscheinfreier ÖPNV kann nicht mit einem kostenfreien ÖPNV gleichgesetzt werden. Auch wenn die Fahrgeldeinnahmen nur einen Teil der Betriebskosten decken, müssen im Falle eines vollständigen Verzichts hohe Summen anderweitig finanziert werden. Hierzu wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Möglichkeiten – beispielsweise eine Citymaut, die Arbeitgeberabgabe – diskutiert, deren rechtliche und ökonomische Umsetzbarkeit gewisse Hürden bietet1.

 

Die Einführung eines fahrscheinfreien ÖPNV kann daher zwar ein Element zur Förderung des Verkehrswandels darstellen, die Einbettung in einen ganzheitlichen Ansatz, welcher u.a. Angebotsverbesserungen und alternative Finanzierungsformen berücksichtig, ist dabei jedoch unerlässlich.

 

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1 Ein Überblick über die verschiedenen Ansätze zur Bürgerfinanzierung des ÖPNV findet sich beispielsweise unter http://www.roedl.de/themen/fokus-public-sector/juni-2013/ansaetze-zur-buergerfinanzierung-des-oepnv

 

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