MOIA-Genehmigung, die Dritte: Erprobung neuer Verkehre nach § 2 Abs. 7 PBefG keine Dienstleistungskonzession

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veröffentlicht am 11. Juli 2018

 

Die Vergabekammer Lüneburg hat den Nachprüfungsantrag gegen die Genehmigung an MOIA für den Betrieb des Elektroshuttle-Services in Hannover zurückgewiesen. Der Nachprüfungsantrag ist unzulässig und unbegründet. Insbesondere sei in der personenbeförderungsrechtlichen Genehmigung nach § 2 Abs. 7 PBefG keine Dienstleistungskonzession i.S.d. Vergaberechts zu sehen.

 

​(Vergabekammer Lüneburg, Beschluss vom 19. Juni 2018 - VgK-18/2018)

 

Die Antragstellerin vor der Vergabekammer, eine Taxizentrale aus Hannover, trug vor, es handele sich bei dem App-basierten Elektroshuttle-Service mit virtuellen Haltestellen um eine Konzessionsvergabe nach § 105 GWB. Hierfür zog die Antragstellerin vergleichend den Beschluss des OLG Hamburg vom 01. November 2017 (1 Verg 2/17) heran, wonach die behördliche Erlaubnis zum Betrieb der Hamburger Spielbank ein Vertrag und damit eine ausschreibungspflichtige Konzession nach § 105 GWB ist. Nach Auffassung der Antragstellerin liege die Konzessionsvergabe auch im öffentlichen Interesse, da sie im erheblichen Maße zur Umsetzung der im Mobilitätsmasterplan definierten Ziele hinsichtlich Umwelt, Sozialverträglichkeit und Effizienz beitrage.

 

Die Vergabekammer Lüneburg hat den Nachprüfungsantrag als unzulässig zurückgewiesen. Es fehle bei der erteilten Genehmigung zur praktischen Erprobung neuer Verkehrsarten bzw. Verkehrsmittel nach § 2 Abs. 7 PBefG an jedem, für eine Dienstleistungskonzession zwingend erforderlichen vertraglichen Aspekt. Weiterhin werde für den genehmigten Elektroshuttle-Service von der Stadt Hannover keine Zahlungen oder sonstige Vergünstigungen geleistet, weswegen es „[…] an der notwendigen Voraussetzung […]” eines Entgelts fehle. Demgemäß unterliege der Shuttle-Dienstbetreiber seinerseits keiner Leistungspflicht, da die Betriebspflicht des § 21 PBefG auf Gelegenheits- und Erprobungsverkehre keine Anwendung finde.

 

Ferner bestehe bei der erteilten Genehmigung an dem „Beschaffungselement”. Vielmehr habe MOIA aus eigenem Antrieb und wirtschaftlichem Interesse den Antrag gestellt. Schließlich fehle es an der für öffentliche Aufträge charakteristischen Auswahlentscheidung. Das Vergaberecht finde nach der EuGH-Rechtsprechung nicht in solchen Fällen Anwendung, wenn der öffentliche Auftraggeber bereit ist unter gleichermaßen gültigen Voraussetzungen mit allen interessierten Unternehmen Verträge abzuschließen. Das für Liniengenehmigungen bestehende Verbot der Mehrfachbedienung gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PBefG bestehe nicht für Erprobungsverkehre nach § 2 Abs. 7 PBefG. Personenbeförderungsrechtlich stehe es daher jedem Unternehmen offen, einen vergleichbaren Antrag auf praktische Erprobung neuer Verkehrsarten bzw. -mittel zu stellen. Auch sei nicht erkennbar, dass MOIA durch seine Genehmigung des Erprobungsverkehrs eine faktische Monopolstellung erlange, zumal die Genehmigung für maximal vier Jahre erteilt werden könne.

 

Gegen den Beschluss der Vergabekammer wurde sofortige Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht eingelegt.

 

Bewertung für die Praxis

Der Beschluss der VK Lüneburg wirft eine Reihe von (grundsätzlichen) Rechtsfragen im ÖPNV auf:

  • Denkt man die Argumentation der Antragstellerin konsequent zu Ende, wären alle Verkehre zu vergeben. Fraglich ist aber, wie eine solche Konzession begründet werden sollte. Erforderlich hierfür ist eine Vertragsbeziehung zwischen Auftraggeber und Genehmigungsinhaber. Zwar hatte das OLG Hamburg für die Erteilung einer Konzession zum Betrieb der Spielbank einen Vertrag gesehen, jedoch bestehen Zweifel an der von der Antragstellerin behaupteten Vergleichbarkeit zur Genehmigung von Erprobungsverkehren.

    Weiterhin ist fraglich, ob in einer PBefG-Genehmigung ein Verwertungsrecht i.S.d. Dienstleistungskonzession nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB zu sehen wäre. Dieser Punkt wurde durch die Vergabekammer Lüneburg nicht weiter vertieft. Hiergegen könnte sprechen, dass die personenbeförderungsrechtliche Genehmigung gerade kein Recht zur alleinigen Verwertung verleiht. Sie schützt den Genehmigungsinhaber lediglich vor übermäßiger Konkurrenz (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 PBefG).
  • Schließlich stellen sich Fragen zur rechtlichen Einordnung der „Experimentierklausel” nach § 2 Abs. 7 PBefG:

    - Ist § 2 Abs. 7 PBefG ein eigener Genehmigungstatbestand im Typenzwang des PBefG?
    Die konkrete Genehmigung hat etwa mit „virtuellen Haltestellen” einen starken Aspekt des Linienverkehrs. Fraglich ist daher, ob § 2 Abs. 7 PBefG nur im Zusammenhang mit einer Verkehrsform anzuwenden ist oder für sich einen eigenen Genehmigungstatbestand begründet.

    - Unterliegt der Verkehr nach der Experimentierklausel der Betriebs- und Beförderungspflicht nach §§ 21, 22 PBefG?
    Die Vergabekammer geht offenbar davon aus, dass die Betriebs- und Beförderungspflicht auf Erprobungsverkehre keine Anwendung findet. Nur der Mietwagenverkehr ist ausdrücklich nach § 49 Abs. 3 PBefG von der Betriebs- und Beförderungspflicht ausgenommen. Für den Erprobungsverkehr fehlt aber eine entsprechende gesetzliche Ausnahmeregelung.
  • Die zwei Regelungsbereiche des ÖPNV, das europarechtlich geprägte Vergaberecht mit seinem Rechtsweg vor den Vergabekammern und der ordentlichen Gerichtsbarkeit sowie das klassische Verkehrsgewerberecht mit dem Verwaltungsrechtsweg, rücken stärker aneinander und lassen sich nicht immer ohne Weiteres klar voneinander abgrenzen.

 

Angesichts der gegenwärtigen Debatte um die Reform des PBefG und der Stimmen für eine Liberalisierung des Taximarktes dürfte der Entscheidung über die sofortige Beschwerde eine hohe rechtspolitische Bedeutung zukommen.

 

Gerne übersenden wir Ihnen die Entscheidung.

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