Chancen und Risiken eines beitragsfinanzierten ÖPNV

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 15. Oktober 2025


Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Dialog-Gesundheit-Klima (DGK) hat ein Konzept für einen beitragsfinanzierten Nahverkehr vorgestellt, bei dem alle Bürger monatlich 29 EUR für ein Ticket aufwenden sollen und so eine vergleichbare Finanzierung des Systems erfolgen soll, wie für den verpflichtenden Rundfunkbeitrag. Der Rundfunkbeitrag ist einer vielfältigen juristischen Debatte ausgesetzt, sodass in dem folgenden Beitrag die Chancen/ Vorteile und Risiken/ Nachteile eines solchen Vorgehens diskutiert werden.

Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) steht vor finanziellen Herausforderungen. Damit die Verkehrswende erreicht werden kann, soll das Angebot ausgebaut und für die Fahrgäste attraktiver gestaltet werden. Ebenfalls sollen die Flotten elektrifiziert werden, was durch die kostenintensive Anschaffung neuer Fahrzeuge erfolgt. Die Finanzierung des ÖPNV besteht derzeit auf zwei Säulen, den öffentlichen Mitteln und Fahrgeldeinnahmen. Aufgrund der angespannten Haushaltslage können die öffentlichen Mittel nicht steigen und auch die Ticketpreise müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Gegenleistung der Beförderung bleiben. 

Um das System zu stabilisieren, schlägt die NGO DGK vor eine Finanzierung vor, die die Finanzierung durch einen gesetzlichen Beitrag breit streut und grds. alle Erwachsenen und Unternehmen einbezieht. Das beitragsfinanzierte könne das Deutschland-Ticket ersetzen und durch die stetigen Einnahmen könne die ÖPNV-Finanzierung hierdurch dauerhaft gesichert werden.

Bewertung für die Praxis

Pro:

Ein verpflichtendes beitragsfinanziertes ÖPNV-Ticket bietet zunächst einmal die Chance einer dauerhaften, stabilen Finanzierung zugunsten des ÖPNV, die den (politischen) Entscheidungsdruck aus einzelnen zu finanzierenden Maßnahmen nehmen könnte. Wird durch die Einnahmen eine entsprechende Angebotsausweitung (zeitlich und örtlich) finanziert, so stellt dies einen Vorteil für die Bevölkerung und Arbeitgeber dar, die von dem entsprechenden Angebot profitieren. 

Für eine solche Finanzierungsmaßnahme müsste bundesweit eine hinreichende Rechtsgrundlage geschaffen werden, dies dürfte bereits Fragen der gesetzlichen Zuständigkeit und Gesetzgebungskompetenz aufwerfen, da die Kompetenz im Bereich des ÖPNV grundsätzlich bei den Ländern liegt. 

Ein geringerer Beitrag für den Einzelnen, der jedoch verpflichtend ist, hebt ein beachtliches Finanzierungspotenzial für den ÖPNV. Analog zu anderen verpflichtenden Systemen sind jedoch zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Ausnahmetatbestände für einzelne Personengruppen zu etablieren, denen die Nutzung des Tickets im Sinne des Äquivalenzprinzips nicht möglich ist. 

ÖPNV-Nutzer profitieren vergleichbar zum Deutschland-Ticket von einer bundesweiten Nutzung, ohne unterschiedliche Tarifstrukturen und -Angebote vergleichen zu müssen.

Contra:

Das die öffentliche Hand einen wesentlichen Teil der Kosten des ÖPNV durch Zuwendungen verschiedenster Art trägt, ist politischer Konsens in diesem Land. Staatlicher mitfinanzierter, qualitativ hochwertigen öffentlicher Verkehr breiten Schichten der Bevölkerung in allen Gebieten der Republik zu einem relativ günstig​en Tarif anzubieten ist ein weithin akzeptiertes Mittel, um Ziele des Klimaschutzes, der Nachhaltigkeit, der sozialen Gerechtigkeit und der regionalen Kohäsion zu verwirklichen. Die Entscheidung für oder gegen öffentlich finanzierten Verkehr bzw. Höhe sowie Art und Weise, dessen Mitfinanzierung durch die öffentliche Hand ist und bleibt aber immanent politisch: Es muss dem Parlament mit seinen jeweiligen Mehrheiten und den aktuellen Regierungen zugestanden werden, Prämissen zu ändern, Finanzmittel zu erhöhen oder zu vermindern oder auch andere Ziele zu definieren, die dann gänzlich anderer Mittel zu deren Erreichung bedürfen. Dafür besitzen Legislative und Exekutive ein regelmäßig zu erneuerndes demokratisches Mandat. Die flankierende Finanzmittelausstattung erfolgt in der Regel über Steuern, die ihrerseits grundsätzlich nicht zweckgebunden sind, sondern allgemein das Budget des Staates füllen. Die Festlegung der Höhe der Steuersätze sowie die Ausgestaltung der Steuererhebung sind ebenfalls Ergebnis demokratischer Auseinandersetzung. Der ÖPNV und seine Finanzierung sind also Bestandteil des politischen Meinungskampfes – so wie das Grundgesetz es für fast alle Regelungsmaterien vorsieht. 

Dem widerspricht aber die Vorstellung, die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs aus dem Feld demokratischer Willensbildung herauszulösen und – versehen mit einem Liquiditätsautomatismus – zu einer dem politischen Alltagsgeschäft vermeintlich nicht aussetzbaren rechtlichen „Besonderheit“ zu erklären, ganz anders also als etwa die Finanzierung für Schulen, Krankenhäuser, Wohnungsgeld etc. An dieser Stelle hinkt dann auch der Vergleich mit der Finanzierung des öffentlichen rechtlichen Rundfunks durch gesondert zu zahlende Beiträge: Hiermit soll gerade die Staatsferne von Funk und Fernsehen ihren Ausdruck finden. Eine solche Staatsferne ist für den ÖPNV aber gar nicht von Nöten, er soll und muss hingegen wechselnden, demokratisch legitimierten Mehrheiten ausgesetzt bleiben.

Dass der ÖPNV „politisch“ ist, spiegelt s​ich auf Seiten der Grundrechtsberechtigten, also dem Bürger, in der Art wider, dass jeder staatliche Eingriff in Grundrechte verhältnismäßig bleiben muss. Bei einem Pflichtbeitrag zur Finanzierung des ÖPNV, der jedem Bürger eine Fahrberechtigung einräumt, dürfte aber schon an der Erforderlichkeit scheitern, wenn man als Ziel des Beitrags die Eröffnung eines Mobilitätsangebots sieht. Denn es muss jedem Bürger als Ausfluss seiner allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG überlassen bleiben, wie er seine Mobilitätsbedürfnisse befriedigt bzw. ob er solche überhaupt besitzt. Es ist nicht Aufgabe des Staates, paternalistisch festzulegen, dass Vorzugsvariante der Mobilität rechtlich verbindlich grundsätzlich der ÖPNV zu sein hat. Verfolgt der Regierung das – legitime – Ziel, den ÖPNV zu fördern, so muss er ihn angebotsseitig so attraktiv machen, dass der Bürger freiwillig dieser Intention folgt. Wird alternativ überwiegend ein Finanzierungsziel verfolgt, so ist die Regierung auf das allgemeine Steueraufkommen zu verweisen, dessen Höhe und Nutzung im Einzelnen politisch determiniert ist. Eine utilitaristische Legitimation unter der Prämisse des „guten Zwecks der Finanzierung“ hält dem Verfassungsrecht nicht Stand, weil dem Beitrag kein für jeden Beitragspflichtigen äquivalenter Nutzen gegenübersteht. Abgesehen von den bereits erwähnten unterschiedlichen – stets legitimen – subjektiven Interessen der Grundrechtsberechtigten bestehen objektiv ungleiche „Nutzen“ für den Bürger. Der ÖPNV auf dem Land ist nun einmal weniger gut ausgebaut als in der Stadt, Qualitäten und Quantitäten von Personenbeförderungsleistungen schwanken von Region zu Region. Wenn zur Finanzierung dieser ungleichen Leistung aber stets der gleiche Beitrag erhoben wird, dann steht ein evidenter Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG im Raum. Dass dies auch heute schon beim Deutschlandticket der Fall ist und diesbezüglich nachvollziehbare Kritik erfährt, ist dabei ohne Belang: Der Erwerb des Tickets ist freiwillig.​


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