Gebietsabflussbeiwert – Königsweg zur Einführung einer gesplitteten Abwassergebühr?

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​veröffentlicht am 24. September 2014

 

Nicht alle Kommunen haben ihre Abwassergebühren auf eine getrennte Schmutz- und Niederschlagswassergebühr umgestellt. Verwunderlich, schließlich sind gesplittete Abwassergebühren fast immer zwingend vorgeschrieben.

 

Und im Falle gesplitteter Abwassergebühren bestätigen Ausnahmengerade nicht die Regel, denn ein Abweichen von der Regel ist nur vereinzelt möglich bzw. kann nur schwer begründet werden. Allerdings ist eine pragmatische und kostengünstige Lösung zur Einführung gesplitteter Abwassergebühren keine Unmöglichkeit.
 

Warum sollen Schmutz- und Niederschlagswassergebühr getrennt werden?

Für Abwassergebühren gelten die Grundsätze der Gebührenerhebung. Dazu zählt das Äquivalenzprinzip. Demnach müssen Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Bei der Abwasserbeseitigung besteht die Leistung allerdings aus zwei Teilen: der Entwässerung von Schmutzwasser und der Entwässerung von Niederschlagswasser. Die Gegenleistung – also die Abwassergebühren – die sich nur an einer Teilleistung, dem Schmutzwasseranfall, bemisst, kann daher unsachgerecht sein und getrennte Abwassergebühren – an zwei Teilleistungen bemessen – bedingen.
 

Wann ist eine Trennung von Schmutz- und Niederschlagswassergebühr notwendig?*

Getrennte Abwassergebühren sind dann erforderlich, wenn weder eine homogene Siedlungsstruktur vorliegt noch die Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung geringfügig sind. Der Nachweis einer homogenen Bebauung ist regelmäßig kaum möglich. Hinsichtlich geringfügiger Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung hat sich als Geringfügigkeitsgrenze ein Anteil von mehr als zwölf Prozent an den gesamten Kosten der Abwasserbeseitigung etabliert. Dabei handelt es sich nur um den Kostenanteil der Niederschlagswasserbeseitigung für private Flächen (Grundstücke). Wird diese Schwelle von zwölf Prozent überschritten, scheidet eine ausschließlich am Frischwassermaßstab orientierte Einheitsgebühr aus. Ein zweiter Maßstab zur Bemessung der Niederschlagswassergebühr nach der entwässerten Fläche wird notwendig.
 
Getrennter Maßstab

Auf welche Weise kann die Niederschlagswassergebühr bemessen werden?

Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Möglichkeiten, den Flächenmaßstab auszugestalten. Einerseits kann die jeweils tatsächlich bebaute und befestigte Fläche eines Grundstücks als Wirklichkeitsmaßstab herangezogen werden. Ein anerkannter, jedoch in Ermangelung der notwendigen Flächen aufwändiger Weg. Andererseits können Gebietsabflussbeiwerte als Wahrscheinlichkeitsmaßstab herangezogen werden. Rechtlich zulässig können je nach Bundesland beide Varianten sein. Wohl dem, der diese Besonderheiten kennt, denn  dadurch lassen sich nennenswerte Kosten vermeiden!
 

Was ist der Gebietsabflussbeiwert genau?

Das Einsparpotenzial liegt in der Wahl des Verfahrens. Entgegen einer separaten und autonomen Erfassung von Grundstücken oder einer Befliegung wird im Gebietsabflussbeiwertverfahren das Versorgungsgebiet anhand von digitalen Flurkarten, amtlichen Luftbildern und dem Generalentwässerungsplan in Zonen eingeteilt. Für jede Zone wird damit anhand bereits existierender Daten ein statistisch zu erwartender (wahrscheinlicher) Wert an bebauter und befestigter Fläche gebildet, der sogenannte Gebietsabflussbeiwert. Der Gebietsabflussbeiwert ist der Mittelwert aus der umliegenden Bebauung und basierend auf Merkmalen des Bebauungsplans (Grundflächenzahl).
 
Er ermöglicht eine Aussage über die übliche zonenbasierte Bebauung. Ein Gebietsabflussbeiwert von 0,5 beschreibt beispielsweise eine Zone mit durchschnittlich hälftiger Bebauung und Befestigung. Infolgedessen kann in dieser Zone auch nur die Hälfte der Grundstücksfläche für die Ableitung von Niederschlagswasser relevant sein. Dieser Vorgehensweise folgend kann eine Abflussbeiwertkarte erstellt werden, die als Anlage zur Satzung maßgeblich ist. Die Gebührenschuldner können daraus die für sie einschlägigen Gebietsabflussbeiwerte ersehen.
 
Gebietsabfluss
Sollte ein Grundstück im Einzelfall mehr als eine festgelegte Toleranz (z.B. 20 Prozent) vom betreffenden Gebietsabflussbeiwert abweichen, kann der Grundstückseigentümer stattdessen eine Veranlagung nach den tatsächlichen Verhältnissen verlangen. Hierzu sind die tatsächlich bebauten und befestigten Flächen anzugeben und entsprechende Nachweise einzureichen. 

Dies ist vor allem dann der Fall, wenn vorhandene Zisternen der kommunalen Verwaltung nicht bekannt sind oder Niederschlagswasser über Mulden oder Bäche abgeleitet wird.
 

Warum ist der Gebietsabflussbeiwert vorteilhaft?

Die Bestimmung der Gebietsabflussbeiwerte ist methodisch vergleichsweise einfach und günstiger als andere Verfahren, da weder eine witterungsabhängige Befliegung des Entsorgungsgebiets notwendig ist, noch die Bürger frühzeitig informiert oder aktiv durch Zuarbeiten (Verifizieren der Daten durch eine Selbstauskunft) eingebunden werden müssen.

Zudem werden weniger Daten benötigt als bei der Ermittlung der tatsächlich bebauten und befestigten Fläche. Während für den Wirklichkeitsmaßstab für jedes Grundstück die überbauten und versiegelten Flächen (z. B. Garageneinfahrten) inkl. der Durchlässigkeit des verwendeten Materials (z. B. Kies) erforderlich sind und mittels Befliegung oder durch ”Herausmessen” aus der digitalen Flurkarte bzw. dem automatisierten Liegenschaftsbuch (ALB) ermittelt werden müssen, sind dies beim Gebietsabflussbeiwertverfahren nur die Grundstücksflächen der angeschlossenen Grundstücke, denen ein Abflussbeiwert beigemessen wird. Die Grundstücksflächen können üblicherweise problemlos aus dem ALB extrahiert werden. Das vorhandene Datenmaterial z. B. aus der Beitragsveranlagung, reicht dabei in der Regel aus!

Doch durch das Gebietsabflussbeiwertverfahren lassen sich nicht nur Kosten bei der erstmaligen Datenerfassung sparen. Darüber hinaus ist im laufenden Betrieb der Datenpflegeaufwand geringer, da zusätzliche Grundstücke einfach einzubinden sind und Änderungen der versiegelten Fläche durch Zubauten oder auch Entsiegelungen (Sparsamkeitsphänomen) nicht automatisch zu veränderten gebührenmaßgeblichen Flächen führen und damit auch keine zusätzlichen Kontrollarbeiten erfordern.

Daneben minimiert man auch den Abstimmungsbedarf mit den Kunden.
Die Bürger müssen erst im letzten Schritt vor der Einführung der gesplitteten Abwassergebühr aktiv werden. Sie erhalten ein Mitteilungsschreiben mit der festgestellten Grundstücksfläche und dem maßgeblichen Gebietsabflussbeiwert. Einzelveranlagungen sind nur nach Überschreiten einer Toleranzschwelle erforderlich. Widersprüche hingegen sind aufgrund der Beweislast für den Bürger nur selten erwägenswert.

Erfahrungen zeigen, dass gerade weil die Bürgereinbindung erst spät erfolgt, eine geeignete und nichtsdestotrotz rechtzeitige Kommunikation entscheidend ist. Kommunen sollten die Motive der Umstellung und des gewählten Verfahrens offenlegen, da ansonsten mit Widerstand zu rechnen ist bzw. ein hohes Ungerechtigkeitsempfinden aufgrund der systembezogenen Pauschalierungen herrscht.

Wie läuft die Umstellung genau ab?

Zunächst ist der Maßstab für die gesplittete Abwassergebühr und das Verfahren der Flächenermittlung (z.B. Gebietsabflussbeiwertverfahren) zu wählen. Anhand der vorhandenen Daten werden die Umsetzungsaktivitäten sowie begleitende Kommunikationsmaßnahmen festgelegt. Danach erfolgt die eigentliche Datenerfassungs- und -zuordnungsarbeit, die mit der Informationsschleife der Bürger und ggf. nachzubearbeitenden Einzelfallprüfungen abgeschlossen wird.
 
 Umsetzungsfahrplan

Fazit

Angesichts aktueller Entscheidungen im Hinblick auf die Ausgestaltung von Abwassergebühren ist der Verzicht auf gesplittete Abwassergebühren ein vermeidbares Risiko. Mit dem Gebietsabflussbeiwertverfahren existiert bereits eine praxisgerechte und bewährte Methode zur Einführung und Bemessung gesplitteter Abwassergebühren. Besonders geeignet ist diese, wenn überwiegend qualifizierte Bebauungspläne vorliegen und wenige Sondergrundstücke im Entwässerungsgebiet vorliegen. Wohl dem, der sich dieser Vorteile bewusst ist. Denn mit einem gut geplanten Umsetzungsfahrplan zur Einführung gesplitteter Abwassergebühren ist das Gebietsabflussbeiwertverfahren eine preiswerte Alternative zur nichtigen Gebührensatzung. Wenngleich kein universeller Königsweg, kann das Gebietsabflussbeiwertverfahren sehr wohl dazu beitragen, nicht in einer Sackgasse der aufwändigen Datenerhebung und abstimmungsintensiven Datenpflege zu enden. Eine erwägenswerte Alternative!
 
Lesen Sie in der nächsten Ausgabe:
KOSTEN- UND LEISTUNGSRECHNUNG – UNVERZICHTBARES INSTRUMENT WERTSCHÖPFUNGSORIENTIERTER GEBÜHRENKALKULATIONEN
 
 

*(Vgl. Artikel aus Fokus Public Sector, Ausgabe September 2012 ”Getrennte Abwassergebühren? Ja, aber richtig! - OVG Nordrhein-Westfalen erklärt Mehraufwandsmethode für unzulässig”) 
 

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Florian Moritz

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