Abwärme wirtschaftlich nutzbar machen: Wie aus Potenzial Realität wird

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​veröffentlicht am 1. September 2025



Die politischen und regulatorischen Grundlagen sind geschaffen, die technischen Potenziale identifiziert – doch wie wird aus Abwärme ein tragfähiges Projekt? Bereits in zwei vorausgehenden Fachbeiträgen wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie das Potenzial für Abwärme umfassend dargestellt (siehe Beitrag 1: Wärmeversorgung durch Abwärme und Beitrag 2: Abwärme als ein zentraler Pfeiler der Wärmewende).


Quelle: AGE​B (2024)​

Nach der flächendeckenden Einführung der Plattform für Abwärme, der Neufassung des Energieeffizienzgesetzes (EnEfG) und dem Inkrafttreten des Wärmeplanungsgesetzes (WPG) ist klar: Die Nutzung industrieller Abwärme ist kein theoretisches Szenario mehr, sondern konkreter Bestandteil der Wärmewende. Abwärme wird sowohl im WPG als auch im Gebäudeenergiegesetz (GEG) als potenzielle und nachhaltige Wärmequelle benannt. So können Versorger, Kommunen und Gemeinden durch den Einsatz von unvermeidbarer Abwärme die Zielvorgaben für eine nachhaltige Wärmeversorgung einhalten.

Doch der Weg von der gemeldeten Quelle bis zur eingespeisten Kilowattstunde ist anspruchsvoll. Er verlangt technisches Verständnis, wirtschaftliche Weitsicht und rechtliche Klarheit. Fernwärmeversorgungsunternehmen (FVUs) stehen nun vor der Aufgabe, die auf der Plattform gemeldeten Abwärmepotenziale zusammen mit den Abwärmequellen in konkrete Projekte zu überführen – wirtschaftlich tragfähig, rechtssicher und langfristig belastbar.

Die Relevanz industrieller Abwärme zeigt sich dabei nicht zuletzt in der Dynamik der gemeldeten Daten: Seit dem 14.1.2025 ist die auf der Plattform erfasste Gesamtwärmemenge von 160,4 TWh auf 241,1 TWh angestiegen (Stand: 18.6.2025). Das ist ein Zuwachs von über 80 TWh innerhalb von fünf Monaten. Der deutliche Anstieg zeigt, dass sich zunehmend mehr Unternehmen aktiv mit ihren Abwärmepotenzialen auseinandersetzen und diese sichtbar machen.


In diesem Beitrag zeigen wir, wie Versorger diesen wachsenden Potenzialen strukturiert begegnen können: Welche Schritte notwendig sind, wie tragfähige Geschäfts- und Liefermodelle entwickelt werden und worauf es bei der Vertragsgestaltung ankommt. Denn erst wenn Technik, Wirtschaftlichkeit und Recht ineinandergreifen, wird aus Potenzial ein Projekt.

Projektentwicklung konkret: Der strukturierte Weg zur Abwärmenutzung

Damit aus gemeldeten Potenzialen belastbare Wärmelösungen werden, bedarf es eines strukturierten Vorgehens. In der Praxis hat sich ein vierstufiger Prozess bewährt – von der ersten Potenzialanalyse bis zur rechtlichen Ausgestaltung. Jede Phase baut auf der vorhergehenden auf und erfordert ein interdisziplinäres Zusammenspiel von Technik, Wirtschaft und Recht.


Abbildung 1: Vierstufiger Prozess zur Abwärmenutzung​

1. Potenzialanalyse und Kontaktaufnahme

Der Einstieg erfolgt über die systematische Erhebung und Bewertung möglicher Abwärmequellen mithilfe der Plattform für Abwärme, auf der Unternehmen gemäß § 17 EnEfG ihre Daten veröffentlichen. Für Versorger entsteht hier ein strukturierter Zugang zu realen Wärmequellen.

Bei der Bewertung öffentlich gemeldeter Daten ist zu beachten, dass viele Angaben auf geschätzten oder modellierten Werten beruhen, die auf Erfahrungswerten, Standardkennzahlen oder Stichproben basieren. Diese sind zwar zulässig und müssen nachvollziehbar dokumentiert sein, ersetzen jedoch keine detaillierte Vor-Ort-Prüfung. In der Praxis dienen sie als erste Orientierung, die im weiteren Projektverlauf technisch und wirtschaftlich zu validieren ist (Merkblatt Plattform für Abwärme).

Im Fokus der ersten Analyse steht eine erste Bewertung der energetischen Nutzbarkeit insbesondere hinsichtlich Temperaturniveau, zeitlicher Verfügbarkeit, thermischer Leistung sowie des Abwärmemediums, also ob die Wärme diffus vorliegt (z. B. als Abstrahlung) oder gefasst über Wasser oder Luft geführt wird. Ergänzend gilt es, die bestehende Infrastruktur zu erfassen und eine erste Einschätzung der Kooperationsbereitschaft potenzieller Partner einzuholen. Der persönliche Austausch mit Industrieunternehmen bildet dabei die Grundlage für alles Weitere.

Für Wärmenetzbetreiber kann die Potenzialanalyse für Abwärme insbesondere im Rahmen eines Transformationsplans gefördert werden und dadurch die Integration in Wärmenetze vorangetrieben und wirtschaftlich attraktiv ausgestaltet werden. 

2. Technisches Konzept

Sobald eine geeignete Quelle identifiziert ist, folgt die Prüfung der technischen Machbarkeit. Dabei wird geprüft, ob die Abwärme zuverlässig ausgekoppelt und ins Wärmenetz eingespeist werden kann und ob dafür zusätzliche Technik wie Wärmepumpen oder Wärmespeicher erforderlich ist.

Eine sorgfältige Planung der Wärmeübergabe, der Transportwege sowie der Integration ins bestehende Netz ist entscheidend, um Investitionen sinnvoll zu steuern und Genehmigungsverfahren rechtssicher einzuleiten. Gerade im technischen Konzept kristallisiert sich erstmals heraus, ob ein Projekt dauerhaft tragfähig sein kann.

3. Techno-ökonomisches Businessmodell

Mit einem belastbaren technischen Konzept lassen sich Wirtschaftlichkeit und Finanzierung fundiert bewerten. Welche Investitionen sind erforderlich? Welche Förderprogramme wie z. B. Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) oder Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz (EEW) kommen infrage? Wie entwickeln sich Betriebskosten, Wärmepreise und Erlöspotenziale?

Ein zentrales Thema ist das sogenannte Adressrisiko: Was geschieht, wenn die Abwärmequelle zum Beispiel durch Produktionsstilllegung oder Standortverlagerung wegfällt? Nur wenn solche Risiken realistisch abgebildet und abgesichert werden, kann ein Projekt wirtschaftlich standhalten und Investoren wie Fördermittelgeber gleichermaßen überzeugen.

Damit ein Wärmenetzbetreiber solchen Risiken wirksam begegnen kann, ist ein belastbares Businessmodell erforderlich, das die Wirtschaftlichkeit des Projekts über den gesamten Lebenszyklus transparent darstellt und bewertet. 

Zentrales Instrument hierfür ist das Cashflow-Modell, das aufzeigt, wie sich Einzahlungen und Auszahlungen im Zeitverlauf entwickeln und welche Rendite auf das eingesetzte Kapital erzielt wird.

Im Zentrum der wirtschaftlichen Planung steht der sogenannte Free Cashflow, definiert als die Differenz aus liquiditätswirksamen Einnahmen und Ausgaben in einem Betrachtungsjahr. Auf der Einnahmenseite stehen insbesondere Wärmeerlöse, etwa durch die Einspeisung in ein Fernwärmenetz oder die direkte Lieferung an Endkunden. Ergänzt wird diese um sonstige Erträge, beispielsweise aus Nebendienstleistungen sowie um den Restwert des investierten Anlagevermögens, der am Ende des Betrachtungszeitraums als einmaliger positiver Liquiditätsstrom berücksichtigt wird.

Dem gegenüber stehen negative Liquiditätsströme, also Auszahlungen, die während der Projektlaufzeit anfallen. Dazu zählen die Investitionskosten im Startjahr, laufende Stromkosten (z. B. für Wärmepumpen), Kosten für den Bezug von Abwärme, regelmäßige Betriebsaufwendungen wie Wartung und Instandhaltung sowie mögliche Re- oder Neuinvestitionen in den Folgejahren.
 

Abbildung 2: Wirtschaftliche Planung – Cashflow-Modell

Die Abbildung veranschaulicht beispielhaft den Verlauf dieser Zahlungsströme über einen Zeitraum von typischerweise zehn bis zwanzig Jahren. Im Startjahr führt die hohe Anfangsinvestition zu einem deutlich negativen Cashflow. In den Folgejahren werden regelmäßig positive Liquiditätsströme generiert, die sich aus den laufenden Erträgen speisen. Parallel fallen über die gesamte Projektlaufzeit hinweg negative Liquiditätsströme an, die den Betrieb und die Instandhaltung der Anlage sichern. Der daraus resultierende Free Cashflow – dargestellt als graue Linie – entwickelt sich zunehmend positiv und erreicht mit dem zusätzlichen Einbezug des Restwerts zum Ende des Betrachtungszeitraums einen deutlichen Ausschlag.

Die jährlichen Free Cashflows bilden die Basis für die Berechnung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen wie dem Kapitalwert und der internen Verzinsung (IRR). Letztere stellt eine zentrale Entscheidungsgröße dar und zwar sowohl für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit als auch für die Förderfähigkeit und externe Finanzierung eines Vorhabens. Gerade bei Projekten mit hohen Anfangsinvestitionen, wie sie bei der Erschließung industrieller Abwärmequellen häufig auftreten, kommt der gezielten Inanspruchnahme von Fördermitteln eine besondere Bedeutung zu. Sie kann die anfängliche Liquiditätsbelastung spürbar senken und die Renditekennzahlen entscheidend verbessern.

Das vorgestellte Cashflow-Modell schafft damit eine nachvollziehbare und belastbare Grundlage zur wirtschaftlichen Beurteilung von Abwärmeprojekten – intern für strategische Investitionsentscheidungen sowie extern gegenüber Förderstellen und Finanzierungspartnern.

4. Rechtliche Ausgestaltung

Parallel zum Projektentwicklungsprozess muss der Rechtsrahmen für die Abwärmenutzung geschaffen werden. Sowohl im Verhältnis zum Abwärmelieferanten als auch zu den Endkunden muss das Projekt rechtlich hinreichend abgesichert sein. Bereits in der Anfangsphase empfiehlt sich ein „Letter of Intent“ oder ein Vorvertrag zwischen Abwärmelieferant und Wärmeversorger, um die verfügbare Abwärme zu sichern und Planungssicherheit herzustellen.

In der vertraglichen Umsetzung gilt es dann, Eigentumsverhältnisse, Investitionsverantwortung, Betriebspflichten, Preisregelungen, Haftungsfragen sowie Störfallmanagement detailliert zu regeln.

Besondere Beachtung verdienen zudem die Anforderungen aus der AVBFernwärmeV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme)  insbesondere im Hinblick auf Preisgleitklauseln und ihre Übertragbarkeit in die Endkundenverträge.

Hier ist es bereits frühzeitig erforderlich, dass sich Abwärmelieferant und Wärmeversorger auch mit den Pflichten im Endkundenverhältnis auseinandersetzen und die Regelungen im Vorbezugsvertrag entsprechend ausgestalten, damit beim Wärmeversorger als Zwischenglied zu einem späteren Zeitpunkt keine Probleme aufgrund mangelnder Koordinierung auftreten.

Ergänzend ist eine frühzeitige Abstimmung mit Genehmigungsbehörden essenziell, insbesondere im Hinblick auf Immissionsschutzrecht, Planungsrecht, Bauordnungsrecht, unter Umständen erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie Wasser- und Bodenschutz. Auch zentrale vertragliche Aspekte wie Eigentumsgrenzen, Infrastrukturerrichtung, Zugang zu Betriebsflächen, Lieferverpflichtungen und Regelungen bei Unterbrechung oder vorzeitiger Beendigung sollten frühzeitig adressiert werden, weil sie für die Kalkulation beider Parteien von entscheidender Bedeutung sind.

Darüber hinaus müssen die Parteien frühzeitig abklären, welche Verträge notwendig sind und diese aufeinander abstimmen. So kann ein Gestattungsvertrag hinsichtlich der Errichtung des Wärmenetzes auf öffentlichen Straßen und Wegen erforderlich sein oder ein gesonderter Errichtungsvertrag hinsichtlich der notwendigen Infrastruktur. Auch Grundstücknutzungs- und Zutrittsrechte erfordern eine vertragliche Absicherung, ggfs. auch über Eintragungen im Grundbuch.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen bilden das Fundament für eine erfolgreiche Nutzung industrieller Abwärme. Aufbauend darauf werden wir in der folgenden Ausgabe des Kursbuchs Stadtwerke die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten sowie unterschiedliche Liefer- und Geschäftsmodelle im Detail beleuchten. Dabei stehen insbesondere Fragen der Verantwortlichkeiten, der Investitions- und Betriebskostenverteilung sowie der langfristigen Sicherung der Wärmelieferung im Fokus.

Fazit

​Das technische Potenzial industrieller Abwärme ist inzwischen ebenso sichtbar wie die Erschließung dieses Potenzials politisch gewollt. Die Plattform für Abwärme, gesetzliche Vorgaben durch EnEfG, WPG und GEG sowie eine tragfähige Förderkulisse aus BEW und EEW bieten heute eine solide Ausgangslage für Projekte. Entscheidend ist nun die praktische Umsetzung.

Für Wärmeversorger bedeutet das: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um gezielt Projekte zu initiieren – angefangen bei der Identifikation geeigneter Abwärmequellen über die technische Planung bis hin zur wirtschaftlichen Bewertung und vertraglichen Umsetzung. Wer dabei frühzeitig interdisziplinär denkt und handelt, kann sich langfristige Vorteile sichern, nicht zuletzt bei der Erfüllung regulatorischer Anforderungen und im Wettbewerb um nachhaltige Wärmelösungen.

Wir unterstützen Sie hierbei als erfahrener Partner mit fundierter technischer, betriebswirtschaftlicher und juristischer Expertise. Gemeinsam mit Ihnen entwickeln wir tragfähige Lösungen, die sowohl regulatorischen als auch wirtschaftlichen Anforderungen gerecht werden und die Dekarbonisierung Ihrer Wärmenetze aktiv voranbringen.


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