Strompreissysteme im Visier der Gerichte

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veröffentlicht am 1. März 2016

 

Die Vorgaben für einseitige Preisanpassungsklauseln in Energielieferverträgen sind gerichtlich weitestgehend geklärt. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 25. November 2015 insoweit einen höchstrichterlichen Schlussstrich gezogen.

 

Selbstverständlich müssen Energieversorger ihren Kunden ein Sonderkündigungsrecht einräumen, sofern sie ihre Preise (einseitig) anpassen. Ob dies auch für die Weitergabe von Steuern, Abgaben und hoheitlich veranlassten Umlagen im Rahmen von Sonderkundenverträgen gilt, ist weiterhin unklar. Hierzu hat sich als erstes Instanzgericht der jüngeren Vergangenheit das Landgericht Düsseldorf geäußert. Es hält auch für Änderungen auf Grundlage von Steuern-, Abgaben- und Umlagenklauseln ein Sonderkündigungsrecht des Kunden für erforderlich. Das letzte Wort ist damit aber voraussichtlich noch nicht gesprochen.
 
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das erste Instanzgericht mit der Problematik beschäftigen wird, ob sogenannte Steuern-, Abgaben- und Umlagenklauseln in Energielieferverträgen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle standhalten. Konkret geht es darum, ob der Energielieferant im laufenden Vertragsverhältnis Kostenänderungen bei Steuern, Abgaben oder sonstigen hoheitlich veranlassten Belastungen (z.B. EEG-Umlage) an seine Kunden weiterreichen darf, ohne ihnen als Ausgleich ein Sonderkündigungsrecht im Sinne des § 41 Abs. 3 Satz 2 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) einräumen zu müssen. Das Landgericht Düsseldorf hat sich dieser Thematik nun angenähert und die Rechtsfrage erstinstanzlich entschieden (hierzu unter I.).
 
Die Entscheidung des Gerichts ist für die Energiebranche von großer Bedeutung, da sich in den letzten Jahren vor allem in Stromlieferverträgen Preissysteme etabliert haben, in denen sogenannte separate Preisbestandteile verwendet werden. Diese erfreuen sich bei Stromlieferanten großer Beliebtheit, da sie die Vertragsabwicklung im Massenkundengeschäft enorm erleichtern. Die Vielzahl an staatlich veranlassten Umlagen ändert sich jeweils zum 1. Januar eines Jahres und es ist praktisch und geradezu charmant, diese Änderungen (Erhöhungen wie Ermäßigungen) sozusagen „eins zu eins” an die Kunden „durchzureichen”, ohne ihnen ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen. Dies ist freilich nur dann interessant, wenn Preisänderungen nicht (auch) aufgrund von Änderungen anderer Entgeltkomponenten – in erster Linie sind hier Beschaffungskosten zu nennen – durchgeführt werden (müssen).
 
Die Alternative hierzu bilden Komplettpreissysteme, bei denen sämtliche Strompreisbestandteile einschließlich der Vielzahl an Umlagen und zum Teil auch der Steuern und Abgaben im Ausgangspreis enthalten sind. Änderungen dieser Preisbestandteile werden dann einheitlich auf Grundlage einer einseitigen Preisanpassungsklausel an die Kunden weitergegeben. Diesen wird im Gegenzug bekanntlich ein Sonderkündigungsrecht eingeräumt. Vor dem Hintergrund der großen Anzahl an Umlagen ist für Stromlieferanten eine Preisanpassung zum 1. Januar eines Jahres so gut wie unausweichlich.
 
Zu den Anforderungen an einseitige Preisanpassungsklauseln in Stromlieferverträgen hat sich jüngst auch der Bundesgerichtshof (BGH) geäußert. Erfreulicherweise gab es erneut gute Nachrichten aus Karlsruhe (hierzu unter II.). Im Hinblick auf die Zulässigkeit von Steuern-, Abgaben-, Umlagenklauseln wirft die Entscheidung jedoch auch Fragen auf.
 

I. Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 22. Oktober 2015

Das Landgericht Düsseldorf kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass eine Steuern-, Abgaben-, und Umlagenklausel in einem Sonderkundenvertrag Strom unwirksam ist, weil die Klausel gegen § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG verstoße.
  
Die Problematik ist nicht neu. Der BGH hatte sich bereits im Jahr 2003 mit der Frage beschäftigt, ob ein Stromversorger Mehrbelastungen nach dem EEG und KWKG im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einer Steuern- und Abgabenklausel an seine Kunden weiterwälzen darf. Im Ergebnis hat der BGH diese Frage bejaht, d. h. die Vorgehensweise für zulässig erachtet, ohne sich in der Entscheidung jedoch mit dem fehlenden Sonderkündigungsrecht der streitgegenständlichen Steuern- und Abgabenklausel auseinanderzusetzen.
  
Die für die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf zentrale Norm des § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG, aus der das Gericht das Sonderkündigungsrecht herleitet, ist allerdings erst mit der EnWG-Novelle 2011 am 4. August 2011 neu in das Energiewirtschaftsgesetz eingeführt worden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich aufgrund europarechtlicher und verbraucherschützender Vorgaben für Energielieferverträge seit der Entscheidung des BGH ganz wesentlich verändert.
 

§ 41 Abs. 3 EnWG hat folgenden Wortlaut:

1 Lieferanten haben Letztverbraucher rechtzeitig, in jedem Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode und auf transparente und verständliche Weise über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und über ihre Rücktrittsrechte zu unterrichten.2 Ändert der Lieferant die Vertragsbedingungen einseitig, kann der Letztverbraucher den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen.”
  
Das Landgericht Düsseldorf vertritt die Auffassung, dass auch Preisanpassungen aufgrund hoheitlicher Belastungen Vertragsänderungen im Sinne dieser Vorschrift sind und deshalb ein gesetzliches Sonderkündigungsrecht zugunsten der Kunden besteht. Dieses würde durch eine Steuern-, Abgaben- und Umlagenklausel umgangen, die lediglich eine Information des Kunden über die Weitergabe der Mehrkosten, nicht jedoch ein Sonderkündigungsrecht vorsieht. Das Gericht vertritt ein weites Verständnis des Wortes „Vertragsänderung” i.S.d. § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG und fasst hierunter auch Änderungen des vom Kunden zu zahlenden Strompreises, die bereits bei Vertragsschluss vereinbart, aber noch nicht erfolgt sind, wie etwa durch die Einräumung des Rechts, für die Preiskalkulation relevante Veränderungen einzelner Kostenpositionen optional oder verpflichtend weiterzugeben.
   
Das Landgericht Düsseldorf beruft sich hierzu auf die Gesetzesbegründung3 und die entsprechenden europäischen Vorgaben. Insoweit habe weder der europäische noch der deutsche Gesetzgeber einen Anlass gesehen, zwischen Preisanpassungen gemäß einer „klassischen” Preisanpassungsklausel und der auf Basis einer Steuern-, Abgaben-, und Umlagenklausel zu differenzieren, sondern würden jede Gebührenänderung als zur Kündigung berechtigende Vertragsänderung im Sinne der zitierten Vorschrift ansehen. Zudem spreche unter Zweckgesichtspunkten für die Annahme eines Sonderkündigungsrechts, dass im Rahmen der Grundversorgung nichts anderes gilt, denn den Kunden würde dort ausnahmslos ein Sonderkündigungsrecht zustehen, d. h. auch bei der Anpassung der Preise infolge von Änderungen hoheitlicher Belastungen.
  
Mit der Folgefrage, ob die vertragliche Regelung, dass der Lieferant den Kunden über die Weitergabe der Mehrkosten informieren wird, gegen § 41 Abs. 3 Satz 1 EnWG verstößt, hat das Gericht sich dann letztlich nicht mehr beschäftigt, da die Klausel bereits wegen des Verstoßes gegen § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG als unwirksam angesehen wurde.
 

II. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. November 2015 4

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 25. November 2015 eine „selbst gestaltete” Preisanpassungsklausel in einem Sonderkundenvertag Strom, soweit ersichtlich, erstmals für wirksam befunden. Grundlage der Entscheidung war eine Preisanpassungsklausel, in der Anlass, Modus und Voraussetzungen für künftige Preisanpassungen nach Auffassung der Richter ausreichend ausführlich beschrieben worden sind, sodass der Verbraucher etwaige Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen könne.
  
Im Kern ging es um die Frage, ob der Stromversorger zusätzlich einen Hinweis auf die Möglichkeit der gerichtlichen Prüfung von Preisanpassungen gemäß § 315 BGB auf ihre Billigkeit in die Klausel aufnehmen müsse. Diese Frage hat der BGH zutreffend verneint, da sich dies für den Kunden bereits unzweifelhaft aus dem Gesetz (§ 315 BGB) ergebe. Eines zusätzlichen Hinweises in der vertraglichen Regelung bedürfe es demzufolge nicht.
  
Der BGH hat es sich aber nicht nehmen lassen, die Klausel auch im Übrigen auf die AGB-rechtskonforme Ausgestaltung zu prüfen. Dies war nicht Gegenstand des Verfahrens, da Anlass ein wettbewerbsrechtlicher Konkurrentenstreit zwischen zwei Stromanbietern war, bei dem lediglich einzelne Klauseln des Preissystems bzw. einzelne Rechtsfragen zur Entscheidung gestellt wurden.
  
Die weitergehenden Ausführungen des BGH lassen beim Leser jedoch Zweifel im Hinblick darauf zurück, welchen Vorgaben Steuern-, Abgaben- und Umlagenklauseln unterliegen, über die auch das Landgericht Düsseldorf zu entscheiden hatte. Mit deren Wirksamkeit hat sich der BGH jedoch inhaltlich nicht befasst, sondern stellt lediglich in Bezug auf die einseitige Preisanpassungsklausel fest, dass Erhöhungen der für die Preisbildung relevanten Steuern, Abgaben und hoheitlich auferlegten, allgemeinverbindlichen Belastungen bereits nach separaten Vertragsklauseln an den Kunden weitergereicht werden und daher jedenfalls nicht zusätzlich Anlass für eine Preisanpassung auf Grundlage der einseitigen Preisanpassungsklauseln geben könnten. Ein Kündigungsrecht zugunsten der Kunden ist allerdings – soweit ersichtlich – nur für die einseitige Preisanpassung vorgesehen, also gerade nicht für die Weitergabe von Änderungen infolge von Steuern, Abgaben und hoheitlich veranlassten Umlagen.
  
Hieraus könnte sich ableiten lassen, dass der BGH die betreffenden Steuern-, Abgaben- und Umlagenklauseln für zulässig erachtet und dies auch ohne Kündigungsrecht. Aufgrund des speziellen wettbewerbsrechtlichen Verfahrens wird dieser Schluss aber so nicht ohne weiteres gezogen werden können. Zumindest ist aber die Nichtbeanstandung der Klauseln in diesem Verfahren durchaus als positiv zu werten.
  

III. Fazit

Nach mehr als einem Jahrzehnt gerichtlicher Auseinandersetzungen um die Wirksamkeit von einseitigen Preisanpassungsklauseln setzt der BGH mit seinem Urteil vom 25. November 2015 einen ersten, erfreulichen Schlussstrich. Die Branche hat hier bekanntermaßen leidvolle Erfahrungen machen müssen. Zurückgeblieben sind – auch durch den Wegfall der angenehm einfach umsetzbaren Leitbildrechtsprechung – sehr komplexe Vertragsklauseln, die allerdings den verbraucherschützenden Transparenzvorgaben standhalten.
   
Mit der Zulässigkeit von Preissystemen mit separaten Preisbestandteilen wird sich der BGH hingegen wohl noch einmal dezidiert auseinandersetzen müssen. Separate Preisbestandteile, die es Energieversorgern ermöglichen, Steuern, Abgaben und hoheitlich veranlasste Umlagen (z.B. EEG-Umlage) an die Kunden „durchzureichen”, bieten für das Massenkundengeschäft eine praktikable und charmante Lösung. Die Verwendung dieser Preissysteme beinhaltet allerdings weiterhin ein rechtliches Risiko, wie die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf gezeigt hat. Gleichwohl sprechen unseres Erachtens gute Gründe für die Nichtanwendbarkeit von § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG, d. h. für eine „Nichtauslösung” des Sonderkündigungsrechts des Kunden, sofern die Weitergabe von derartigen Belastungen – anders als in dem vom Landgericht Düsseldorf entschiedenen Fall – nicht im Ermessen des Versorgers steht und er diese Änderungen zum gleichen Zeitpunkt und in der gleichen Höhe an seine Kunden weitergibt. Dafür spricht schließlich auch, dass der Versorger auf die staatlichen Preisbestandteile und deren Änderungen keinerlei Einfluss hat. Vor diesem Hintergrund nimmt jedoch die Komplexität der Vertragsgestaltung erneut zu, wie das Urteil des BGH gezeigt hat, der offenbar übersehen hat, dass die Weitergabe von Netzentgelten entgegen seiner ausdrücklichen Aussage über zwei unterschiedliche Regelungen möglich war. Es bleibt also spannend!
   
 
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1 LG Düsseldorf vom 22. Oktober 2015, Az.: 14d O 4 /15

2 BGH, Urteil vom 22. Dezember 2003, Az.: VIII ZR 90/02

3 BT-Drs. 17/6072 vom 6. Juni 2011, Seite 85.
4 BGH Urteil vom 25. November 2015., Az.: VIII ZR 360/14.

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Alexander von Chrzanowski

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